Chronik 1878 - Ende der Balkankrise, Attentate auf den Kaiser, neuer Papst
Nach fast 500 Jahren wurde Bulgarien im Zuge des
Türkenkrieges (Russisch-Osmanischer Krieg) von der
osmanischen Herrschaft wieder unabhängig. Wenig
später erklärte auch Rumänien seine Unabhängigkeit
vom Osmanischen Reich. Im März wurde der „Frieden
von Stefano“ geschlossen. Dem Osmanischen Reich
blieb nichts anderes übrig, als den Diktatfrieden zu
unterzeichnen, der für Russland sehr günstig gewesen
war. Den europäischen Großmächten ging nun
allerdings der Machtzuwachs Russlands zu weit.
Deshalb wurde im Juni desselben Jahres der „Berliner
Kongress“ einberufen, an dem die Großmächte Europas
unter dem Vorsitz von Otto von Bismarck (1815-1898)
teilnahmen sowie das Osmanische Reich. Die
Balkankrise wurde offiziell beendet. Für
Südosteuropa wurde eine neue Friedensordnung
ausgehandelt und die politische Situation auf dem
Balkan wurde neu geregelt. Im Deutschen Reich wurden
derweil zwei Attentat auf den Kaiser Wilhelm I.
(1797-1888). Das erste fand im Mai statt. Der
Leipziger Klempnergeselle Max Hödel (1857-1878)
gelangte durch seine Revolverschüsse auf den in
einer offenen Kutsche vorbeifahrenden Kaiser zu
unrühmlicher Bekanntheit. Alle Schüsse verfehlten
ihr Ziel, niemand wurde verletzt. Doch den jungen
Mann kostete seine Tat den Kopf. Er wurde sofort
nach dem Attentat verhaftet und wenig später vom
Preußischen Staatsgerichtshof wegen Hochverrats zum
Tod durch Enthaupten verurteilt. Die Zeit bis zu
seiner Hinrichtung verbrachte er im Berliner
Gefängnis Moabit. Das Land reagierte mit Empörung
auf diesen Attentatsversuch.
Reichskanzler Bismarck
forderte ein Verbot der Sozialdemokratie. Es war
noch kein Monat vergangen, da war der Kaiser erneut
Ziel eines Attentats. Diesmal wurde er durch zwei
Schrotschüsse schwer verwundet. Der Attentäter, Karl
Eduard Nobiling (1848-1878), erschoss sich
anschließend selbst, war jedoch nicht sofort tot. Er
starb wenige Tage an seinen Verletzungen. Der
Einzeltäter Nobiling hatte zwar, wie auch sein
Attentats-Vorgänger Hödel, Kontakte zur
Sozialdemokratie gehabt, doch ob die Taten
tatsächlich politisch motiviert gewesen waren, wurde
nie eindeutig geklärt. Doch für den Reichskanzler
waren diese beiden Vorfälle ein Instrument zur
Durchsetzung des Sozialistengesetzes. Der Reichstag
hatte nach dem ersten Attentat ein Verbot der
Sozialdemokratie abgelehnt. Nun wurde er am 11. Juni
1878 nach den Bestimmungen der Verfassung vom Kaiser
aufgelöst. Bei der Neuwahl errangen die
Konservativen einen klaren Sieg, bedingt durch die
beiden Attentate, die in der Bevölkerung für großen
Unmut gesorgt hatten. Nun hatte der Reichskanzler
eine Mehrheit für sein Sozialistengesetz erreicht,
das im Oktober beschlossen wurde. Mit dem „Gesetz
gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie“ wurde die Sozialistenverfolgung im
Deutschen Reich legal. Der Beginn des Jahres 1878
hatte einen Wechsel auf dem Papstthron erforderlich
gemacht. Nach dem bis dato am längsten währenden
Pontifikat war Papst Pius IX. (1792-1878) am 7.
Februar gestorben. Er war 31 Jahre und 8 Monate
Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche gewesen.
Sein Nachfolger wurde Vincenzo Gioacchino Pecci, der
sich den Namen Leo XIII. (1810-1903) gab. Die
Krönung war am 3. März erfolgt. Mit dem neuen Papst
war der Kulturkampf informell beendet worden.
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Ereignisse & Schlagzeilen
1878
Im Januar
In Deutschland wird das erste Mutterschutzgesetz erlassen. Es sah
nach der Entbindung drei arbeitsfreie Wochen vor.
9. JanuarIm Russisch-Osmanischen Krieg gelingt den Russen die Gefangennahme
einer osmanischen Armee am umkämpften Schipkapass, was den Siegern ein Vorrücken
nach Rumelien gestattet.
Im Februar
Der Nauruischer Stammeskrieg findet statt. Krieg zwischen den zwölf
verschiedenen Stämmen auf der pazifischen Insel Nauru. Er dauerte 10 Jahre.
Gerbillus pusillus, eine so genannte Zwerg-Rennmaus, wird das erste
Mal wissenschaftlich beschrieben.
7. Februar
Papst Pius IX. stirbt. Sein Pontifikat dauerte 31 Jahre und 8
Monate. Er war damit der am längsten amtierende Papst in der Geschichte der
römisch-katholischen Kirche.
10. Februar
Der Frieden von Zanjón wird geschlossen. Ein zehnjähriger Krieg um
die Unabhängigkeit Kubas geht mit der Kapitulation der Aufständischen zu Ende.
Die spanische Autorität über Kuba wird akzeptiert.
20. Februar
Das Konklave wählt Vincenzo Gioacchino Pecci zum Papst, er wird Leo
XIII.
21. Februar
New Haven (Connecticut) verfügt über das weltweit erste Verzeichnis
der Telefonteilnehmer. Es umfasst 50 Einträge.
3. März
Frieden von San Stefano
Das Osmanische Reich muss sich einem für
Russland günstigen Diktatfrieden beugen. Da der Machtzuwachs Russlands den
Großmächten Österreich-Ungarn, Großbritannien und Frankreich zu weit geht, wird
es noch im gleichen Jahr zum Berliner Kongress kommen. Bulgarien wird nach fast
500 Jahren osmanische Herrschaft wieder unabhängig.
12. März
Die Walfischbucht und ein sie umgebender Landstreifen im südwestlichen
Afrika werden britischer Besitz.
23. März
Am Theater an der Wien in Wien wird Karl Millöckers Operette Das
verwunschene Schloss uraufgeführt.
Im April
Thomas Edison entwickelte in den USA die Glühbirne.
21. April
Die Inscrutabili Dei consilio wird veröffentlicht.
11. Mai
Nach dem Attentat Max Hödels auf Kaiser Wilhelm I. fordert
Reichskanzler Otto von Bismarck ein Verbot der Sozialdemokratie.
11. Mai und 2. Juni
Auf Kaiser Wilhelm I. werden in Berlin nacheinander zwei
Attentate verübt
Ein Täter wird hingerichtet, der andere kann sich vor dem
Zugriff der Wachmannschaften selbst richten.
22. Mai
Rumänien erklärt seine Unabhängigkeit vom Osmanischen Reich.
28. Mai
Auf Kuba endet offiziell der zehnjährige Krieg gegen die Kolonialmacht
Spanien. Der Provisorischen Regierung gelingt es, auch die von Antonio Maceo
befehligte Rebellengruppe zum Anerkennen des Friedens von Zanjón zu bewegen.
Darin kapituliert die kubanische Unabhängigkeitsarmee.
31. Mai
Im Ärmelkanal kollidieren die beiden deutschen Kriegsschiffe „König
Wilhelm“ und „Großer Kurfürst“ miteinander; beim Untergang der „Großer Kurfürst“
sterben 269 Menschen.
2. Juni
Der deutsche Kaiser Wilhelm I. wird bei einem Attentat durch einen
Schrotschuss von Karl Eduard Nobiling schwer verwundet.
4. Juni
Großbritannien erhält in einem zunächst geheimen Vertrag mit dem
Osmanischen Reich die Insel Zypern abgetreten, doch behält sich der Sultan
Souveränitätsrechte vor. Die Briten versprechen, ihn im Gegenzug gegen russische
Expansion zu unterstützen.
10. Juni
In der Bayrakli-Moschee in Prizren wird die Liga von Prizren
gegründet, die erste albanische Vereinigung ihrer Art, die sich zum Ziel gesetzt
hatte, alle mehrheitlich von Albanern bewohnten Gebiete im Osmanischen Reich zu
einem Nationalstaat zu schaffen. Drei Jahre später wurde die Liga von
osmanischen Soldaten und Polizisten gewaltsam aufgelöst.
11. Juni
Weil der Reichstag nach einem Attentat auf Kaiser Wilhelm I.
mehrheitlich ein Verbot der Sozialdemokraten abgelehnt hat, wird er den
Bestimmungen der Verfassung gemäß vom Kaiser aufgelöst. Die darauffolgende
Neuwahl bringt den Konservativen einen klaren Sieg bei den Mandaten, nachdem
zuvor ein zweites Attentat auf den Regenten bei Teilen der Bevölkerung für
weiteren Unmut gesorgt hat.
13. Juni bis 13. Juli
Berliner Kongress unter dem Vorsitz Otto von Bismarcks
Rumänien, Serbien und Montenegro werden unabhängig, Rumänien erhält zudem die
Dobrudscha, muss dafür jedoch einen Teil von Bessarabien an Russland abtreten.
Bulgarien erhält einen Sonderstatus, bleibt jedoch dem Osmanischen Reich
gegenüber tributpflichtig. Österreich-Ungarn darf Bosnien und die Herzegowina
besetzen, Großbritannien erhält Zypern pachtweise, während Raszien, Albanien,
Makedonien und Rumelien beim Osmanischen Reich verbleiben.
29. Juli
Österreich-Ungarn besetzt Bosnien und die Herzegowina gemäß dem beim
Berliner Kongress getroffenen Frieden.
30. Juli
Die deutsche Reichstagswahl wird nach zwei in diesem Jahr
vorausgegangenen Attentaten auf den Kaiser Wilhelm I. von den Konservativen
gewonnen, die nun eine Mehrheit für das vom
Reichskanzler Otto von Bismarck
gewünschte Sozialistengesetz finden können.
13. August
Im Nordwesten von Virginia werden zufällig die Luray Caverns
entdeckt. Die drei Entdecker verheimlichen zunächst den Fund des Höhlensystems
und erwerben den Grund und Boden preiswert in einer laufenden
Zwangsversteigerung. Ihr Kauf wird später nach Erkennen des wahren Werts
annulliert.
16. August
Im westsibirischen Eismeer wird die Insel Ensomheden („Einsamkeit“)
entdeckt.
19. August
Bei ihrem Einmarsch in Bosnien nehmen österreichische Truppen unter
dem Befehl von Joseph Philippovich von Philippsberg die Stadt Sarajevo ein.
15. Oktober
Shōzō
Kawasaki gründet in Tokio die Schiffswerft Kawasaki Tsukiji
Shipyard.
19. Oktober
Der Deutsche Reichstag beschließt mit 221 Stimmen von Konservativen
und Liberalen gegen 149 Stimmen von Fortschrittlichen, Zentrum und
Sozialdemokraten das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der
Sozialdemokratie und legalisiert damit die von Otto von Bismarck zur
Staatsdoktrin erhobene Sozialistenverfolgung.
31. Oktober
In Stockholm kommt es zu einem Großbrand in der Schrotmühle
Eldkvarn im Stadtteil Kungsholmen. Die Zerstörung durch das Feuer schafft Platz
für den 1911 beginnenden Bau des Rathauses Stockholms stadshus an diesem Ort.
12. November
US-Präsident Rutherford B. Hayes entscheidet als von Argentinien
gebetener Schiedsrichter im Streit über den Grenzverlauf im Gran Chaco zu
Gunsten Paraguays und zu Lasten der Tripel-Allianz.
13. November
Bei Parlamentswahlen in Portugal gelingt es den Republikanern zum
ersten Mal ein Mandat zu erringen.
17. November
Auf Italiens König Umberto I. wird vom Koch Giovanni Passannante
in Neapel ein Attentat verübt. Der Herrscher erleidet leichte Verletzungen.
22. November
Mit der von der britischen Armee in der Nähe des Chaiber-Passes
gewonnenen Schlacht von Ali Masjid setzt der Zweite Anglo-Afghanische Krieg ein.
Der Krieg dauert bis 1880 an.
Im Juni
Der unter dem Namen Mehmed Emin Pascha bekannte Afrikaforscher Eduard
Schnitzer aus Oppeln wird zum Gouverneur der türkisch-ägyptischen
Äquatorial-Provinz in Zentralafrika ernannt.
14. Mai
Die Handelsmarke Vaseline wird für Robert Chesebrough registriert, der
seit sechs Jahren das Patent auf die Herstellung der Salbe hält.
15. Mai
In Tokio wird die Börse gegründet.
3. Juli
Die Spielkartensteuer wird gesetzliche Einnahmequelle im Deutschen
Reich und löst Landesabgaben ab.
Im Juli
Die Brauerei Moritz Fiege wird gegründet.
9. Mai
David Edward Hughes präsentiert in der Royal Society in London ein
verbessertes Mikrofon, das von ihm entwickelte Kohlemikrofon.
4. Juli
Von Göteborg aus startet Adolf Erik Nordenskiöld zur ersten
erfolgreichen Nordostpassage.
9. September
Auf dem Burgberg von Pergamon beginnt Carl Humann mit
Ausgrabungen. Zu den bedeutsamen Funden nach mehrjähriger Arbeit zählt der
Pergamonaltar.
Im Juli
In Klein Nordende wird mit 1338 Metern ein neuer Tiefbohrrekord
aufgestellt.
Im August
Josiah Willard Gibbs entwickelt seine Phasenregel der Thermodynamik.
Im September
Carl Gustav Patrik de Laval erfindet die Milchzentrifuge.
Im Juni
Adolf von Baeyer entwickelt die Indigosynthese.
25. Mai
Die komische Oper H.M.S. Pinafore; or, The Lass that Loved a Sailor des
Komponisten Arthur Sullivan und des Librettisten William Schwenck Gilbert,
bekannt als Gilbert und Sullivan, hat an der Opera Comique in London ihre
Uraufführung.
12. September
In London wird am Ufer der Themse ein ägyptischer Obelisk
aufgestellt, einer der Nadeln der Kleopatra. Den Obelisken hatte Muhammad Ali
Pascha im Jahr 1819 Großbritannien geschenkt, doch die Transportkosten wollte
jahrzehntelang niemand tragen.
28. Dezember
Am Théâtre des Folies Dramatiques in Paris wird Jacques Offenbachs
Opéra-Comique Madame Favart uraufgeführt.
2. Juli–27. Juli
Zweite Lambeth-Konferenz der Anglikanischen Kirche
14. Oktober
Im englischen Sheffield wird das erste Fußballmatch unter Flutlicht
gespielt. Vier Bogenlampen der Firma Siemens sorgen für die Beleuchtung auf dem
Spielfeld des FC Sheffield.
Im Oktober
Der Augsburger EV wird gegründet, der älteste Eissport treibende
Verein in Deutschland.
Im Mai
Der englische Fußballverein Manchester United wird als Newton Heath LYR
gegründet.
9. August
Beim Wallingford-Tornado, dem schwersten Tornado in der Geschichte
Connecticuts, kommen 34 Menschen ums Leben, über 70 werden verletzt.
3. September
Der britische Ausflugsdampfer Princess kollidiert auf der
Themse mit einem Kohlenfrachter und sinkt in vier Minuten. 640 Menschen sterben.
Es handelt sich um das bis heute schwerste Schifffahrtsunglück in britischen
Inlandgewässern.
18. Dezember
Der französische Passagierdampfer Byzantin kollidiert bei
orkanartigem Wetter am Eingang der Dardanellen mit dem britischen Dampfschiff
Rinaldo und kentert. Etwa 150 Menschen sterben.