Im Windschatten einer weltpolitisch turbulenten
Zeit entfaltete sich 2021 zu einem prominenten
Literaturjahr, das sich hervorragend zum Lesen
in den heimischen vier Wänden eignete. Große
Namen der Literaturszene brachten – teils nach
Jahren Pause – hochgeachtete Werke auf den
Markt: von Jonathan Franzen über Bernhard
Schlink und Haruki Murakami bis zu
Eva Menasse
und
T.C. Boyle.
Im März des Jahres sorgte Juli Zeh mit ihrem
Roman Über Menschen für literarische
Aufmerksamkeit. Der über 400 Seiten lange Roman
wirft einen schonungslosen Blick auf die
Gegenwart, welcher auch die im Jahr 2021 akute
Corona-Krise erzählerisch mit einbezieht. Satt
vom Leben in Berlin zieht die Hauptfigur Dora
aus der Stadt in die ländliche Region. Von dort
erhält sie einen neuen Blick auf die Welt – eine
Gegenwart, die von zerrissenen Biografien
geprägt ist.
Zu den prominenten weiblichen Stimmen der
Literaturwelt gehört auch Eva Menasse, die
bereits in der Vergangenheit zahlreiche Preise
einsammeln konnte: Vom Heinrich-Böll-Preis 2013
über den Österreichischen Buchpreis 2017 bis zum
Ludwig-Börne-Preis 2019. Menasse, Halbschwester
von Schriftsteller Robert Menasse, beleuchtet in
ihrem 2021er-Erfolgsroman Dunkelblum ein
düsteres Kapitel europäischer Geschichte. Die
österreichische Kleinstadt Dunkelblum,
Handlungsort des Romans, hat mit einem
schrecklichen Geheimnis zu ringen. Das
Spannungsfeld aus Verdrängen und
Erinnerungskultur, Schuld und Verantwortung
entfalten in Menasses Roman eine prominente
Rolle.
Immer wieder im Dunstkreis des
Literaturnobelpreises genannt wird der
japanische Schriftsteller Haruki Murakami, der
durch seine Karriere als Literat hindurch
Unterhaltung und große Literatur kunstvoll
miteinander zu verbinden weiß. In Form von acht
Kurzgeschichten präsentierte Murakami 2021 mit
Erste Person Singular prägnante Erzählungen in
seinem etablierten Literaturstil. Ob skurrile
sprechende Affen, das mysteriöse Verschwinden
einer Geliebten oder die Murakami-typische
introspektive Selbstreflexion nachdenklicher
Protagonisten – Fans von Murakami kamen 2021 auf
ihre Kosten.
Wer die etwas provokativere literarische Route
bevorzugt, durfte sich 2021 über einen neuen
Roman von
T.C. Boyle freuen. Mit „Sprich mit
Mir" servierte Boyle mit einem zweijährigen Release-Abstand zum letzten Roman ein neues
Meisterwerk seiner Erzählwelten. Einen Einblick
in die Seele von Primaten zeichnet das Werk
nach, das den Leser in die Naturforschung der
70er-Jahre katapultiert. Wie ähnlich sind die
Schimpansen dem Menschen? Und welche
komplizierten Fragestellungen erwachsen aus der
Antwort? Mit literarischem Geschick taucht er in
die Fragen der modernen Tierethik ein. Und weiß
auch literarisch zu unterhalten.
Spätestens seit seinem Werk Die Korrekturen (The
Corrections) aus dem Jahr 2001 galt Jonathan
Franzen als Star der amerikanischen
Literaturszene. Allein dieses Werk wurde mit
zahlreichen Preisen überhäuft – darunter der
National Book Award. Es verkaufte sich als
Bestseller über 2,8 Millionen Mal weltweit.
Seine Beleuchtung der zerrissenen Lebenswelten
amerikanischer Familien setzte er 2010 mit
seinem Werk Freiheit fort. 2021 schließlich
erschien Crossroads, eine lang-erwartete
Fortsetzung seiner facettenreichen Erzählwelten.
Dabei ist das neue Werk als Auftakt einer
Trilogie konzipiert, die mit einer
Familienerzählung in den 70er-Jahren beginnt. Im
klassischen Franzen-Stil werden dabei die
Lebensabschnitte der Familienmitglieder einzeln
aus einer subjektiven Erzählperspektive
beleuchtet – und in einen größeren Zusammenhang
gebracht. Franzen lässt sich typischerweise Zeit
mit seinen Romanen, der letzte große namens
Unschuld erschien 2015. Umso größer war die
Aufmerksamkeit ob der seltenen
Neuveröffentlichung im Jahr 2021.
Während sich Franzen mit seinen epischen
Familienerzählungen der amerikanischen
Werbung
Gesellschaft widmete, tauchte mit
Ken Follett
2021 ein Meister des historischen Romans mit
einem neuen Werk auf. Nach dem unvergessenen
Welthit Die Säulen der Erde (1990) aus der
langjährigen Kingsbridge-Reihe, präsentierte er
dem neugierigen Publikum in diesem Jahr den über
800 Seiten langen Roman „Never". Die mit dem
Untertitel „Die letzte Entscheidung" ergänzte
Erzählung wendet sich jedoch von den klassischen
historischen Romanen Folletts ab. Stattdessen
die Gefahr eines dritten Weltkriegs erzählerisch
in den Fokus gerückt. Das untypische moderne
Thema behandelt internationale politische
Interdependenzen, die im schwersten Fall fatale
Folgen haben können. Dabei stellt er auch die
Frage: Wie können Einzelpersonen auf die reale
Gefahr eines dritten Weltkriegs reagieren? Ein
düsteres Thema, das sich an der Realpolitik der
Gegenwart orientiert.
Zu den jungen Stars der deutschsprachigen
Literaturszene zählt Benedict Wells, ein
deutsch-schweizerischer Schriftsteller, dessen
Wurzeln sich bis in seine Geburtsstadt München
zurückverfolgen lassen. Zu seinen frühen
Romanhits zählt der Titel Becks letzter Sommer,
der im Stil eines Roadtrips konzipiert ist. Nach
weiteren Werken wie Fast Genial (2011) und Vom
Ende der Einsamkeit (2016) folgte 2021
schließlich das populäre Werk Hard Land. Im Stil
eines Coming-of-Age taucht der Roman in die
Erzählwelt der 80er-Jahre ein, um die
Freundschaften, das Erwachsenwerden und die
Liebe aus dem Blickwinkel des fünfzehnjährigen
Sam zu beleuchten. Mit Referenzen an Feris
Bueller und Hommagen and Breakfast Club und co.
glänzt der Roman und bildet zugleich einen
erzählerischen Kontrast zu den eher düsteren
Werken des Jahres – ob die eines Ken Follett
oder die einer Eva Menasse.
Wer stattdessen die düstere und gruselige Note
vorzieht, bekam in diesem Jahr ein neues Werk
des Horror-Altmeisters Stephen King geboten. In
„Später" kehrt Stephen King zu seinen populären
Geistergeschichten zurück. Der junge Sohn einer
Literaturagentin kann mit Geistererscheinungen
kommunizieren, die in ihren Antworten an den
Jungen der Wahrheit verpflichtet sind. Dabei
tritt er mit dem kürzlich verstorbenen Klienten
seiner Mutter in Kontakt, um dessen letzten
Roman zu vollenden. Doch, wie in einem
King-Roman üblich, entfalten sich bald
unvorhergesehene und bedrohliche Ereignisse, die
eng mit der Gabe des Jungen verknüpft sind. Wer
klassisches King-Entertainment feiert, musste
also auch 2021 nicht leer ausgehen.
Leer ausgehen mussten außerdem nicht die Fans
eines weiteren Altmeisters. Bernhard Schlink,
Literat von Weltrang und Autor des Bestsellers
Der Vorleser, ließ 2021 mit dem Werk „Die
Enkelin" wieder von sich hören. Wie auch schon
in seinem Meisterwerk Der Vorleser geht es in
Die Enkelin um die deutsche Lebenswelt der
60er-Jahre, dabei richtet sich der Fokus diesmal
auf Ost-Berlin und die DDR. Der Mitte 70-Jährige
Kaspar hat mit dem Tod seiner Frau einen
schweren Schicksalsschlag zu verkraften. Um
diesen zu verarbeiten macht er sich auch die
Suche nach ihrer Vergangenheit, das
unvorhergesehene Geheimnisse parat hält. Mit Die
Enkelin gelingt Schlink ein weiterer Höhepunkt
seiner Bibliografie: Er beweist, dass Schlink
auch 2021 noch zu den besten deutschsprachigen
Autoren gehört. Zugleich beweist 2021 mit großen
Romanen von Eva Menasse, T.C. Boyle Jonathan
Franzen sowie Bernhard Schlink, dass es zu den
besten Literaturjahren der Gegenwart gehört.