Literatur 1938 Das literarische Jahr

In „Der Waldgang“ schrieb Ernst Jünger über das Phänomen, das sich 1938 im Nazireich ereignete, dass bei einer Volksabstimmung Hitlers Partei mit 99 Prozent gewählt wurde. Jünger sagte ganz richtig, dass die 99 Prozent mehr imponieren mussten als glatte 100. Ohne das fehlende Prozent, gäbe es keine Mehrheit.
Angst und Schrecken verbreitete auch die Reichspogromnacht, insbesondere unter den Juden. Denn die fingierte Nacht erlaubte eine böse Rache der Nazis.
Von da an begannen die Zerstörungen jüdischer Synagogen und Geschäfte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November folgte dann die Reichskristallnacht, in der Brände gelegt und Scheiben jüdischer Institutionen eingeschlagen wurden. Jüdische Kinder wurden aus den Schulen ausgeschlossen, Plakate an Geschäften verwiesen darauf, dass bei Juden nicht gekauft wurde.
In Paris wurde von Bertolt Brecht das Stück „Furcht und Elend des Dritten Reiches“ aufgeführt, eine der Gegenmaßnahmen in dieser Zeit. Von Ernest Hemingway kam der Roman „Haben und Nichthaben“ heraus, der später mit einem Drehbuch von William Faulkner auch verfilmt wurde, jedoch stark von Hemingways Werk abwich, und André Breton veröffentlichte „L’Amour fou“, ein kleines Buch, das sich mit der Beziehung zu seiner Muse und Ehefrau Jaqueline Lamba befasste. Der Verleger Gallimard hatte mit Breton so seine Schwierigkeiten, da der Surrealist darauf bestand, in dieses Buch zwanzig Fotografien mit aufzunehmen, was den Druck erheblich teurer machte, während sich die Versicherungen Bretons, der Band würde sich besser als seine anderen Bücher verkaufen, nicht erfüllten. Breton versuchte in „L’Amour fou“ Kunst, Traum und Wirklichkeit zu einem dritten Begriff aufzulösen, um daraus die Vorstellung des Surrealismus zu gewinnen.
Von Max Frisch erschien „Antwort aus der Stille“ und handelte von einem Mann, der vor seiner eigenen Hochzeit kalte Füße kriegt und die Flucht ergreift. Frisch hatte in seinem Leben einige „Leidenschaften“ auszustehen, so die Liaison mit Ingeborg Bachmann. Beide Liebenden fassten ihre Enttäuschung später in Literatur. Frisch schrieb "Mein Name ist Gantenbein" und Bachmann ihr wunderbares Werk "Malina".
Beeindruckend war auch das 1938 erschienene Erstlingswerk „Ferdydurke“, das von dem Polen Witold Gombrowicz als eine Art Anti-Roman geschrieben wurde, ein Schriftsteller, der sich später einen großen Namen machte und auch mit seinen Tagebüchern wunderbare Eindrücke seiner Zeit hinterließ. Bei der Veröffentlichung löste „Ferdydurke“ heftige literarische Diskussionen aus, denn Gombrowicz provozierte mit einer neuen Sprache, vollzog Brüche nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Form, brach die Regeln der herkömmlichen Literatur. Für ihn war der Unsinn Teil des Lebens, sein Werk verkörperte Wortwitz und Nonsens in einem und ermöglichte dennoch einem Leser, Sinn daraus ziehen zu können. Letztendlich blieb der Roman eine Abrechnung Gombrowicz' mit den ewig übereilten Meinungen der Kritiker, die er durch die Grundstory aufs Korn nahm. Ein dreißigjähriger Schriftsteller bringt einen Roman heraus mit dem Titel „Tagebuch aus der Epoche der Reifung“ und wird von den Kritikern einstimmig als unreif abgetan. Daraufhin verwandelt sich der enttäuschte Autor aus Trotz wieder in einen siebzehnjährigen Schüler und Rotzbengel, um herauszufinden, weshalb er nicht erwachsen war.
Der Titel des Romans, so Gombrowicz, konnte mit dem Rohrschachtest verglichen werden. Wie der Inhalt des Romans war auch der Titel ein Symbol für die Unreife, das Ungestaltete, ein Chaos verkörperndes Etwas, das dem Leser die eigene Deutung aufzwang.
Virginia Woolf zeigte sich 1938 von ihrer emanzipierten Seite und veröffentlichte den feministischen Essay „Drei Guineen“. Darin fand eine Art Frage-und-Antwort-Spiel statt, so dass ein Dialog über verschiedene Themen erfolgte, darunter die Rolle der Frau, die Förderung ihrer, die Gefahren des Krieges und andere. Die scharfe Kritik Woolfs an der Einstellung zur Frau erboste nicht nur die Männerwelt, sondern auch ihren eigenen Ehemann Leonard Woolf. Letzterem fehlte besonders der ansonsten ironische Unterton seiner Frau. Virginia Woolf zeigte u. a. in ihrem Essay auch auf, dass solche Entwicklungen wie Faschismus und totalitäre Systeme nur durch die männliche Vorherrschaft möglich waren. Sie kritisierte den üblichen Gehorsam der Frau, die ihre eigene Stärke solidarisch in einer von Männern dominierten Welt zum Ausdruck bringen müsste, um Faschismus und Krieg abwenden zu können. Der Essay spiegelte mitunter nicht nur die Einstellung Woolfs zu den Männern, sondern offenbarte auch ihre Befürchtungen über die Entwicklung in Deutschland. Immerhin war sie selbst betroffen, denn Leonard war Jude.
George Orwell berichtete in „Mein Katalonien“ wiederum über seine Erlebnisse im Spanischen Bürgerkrieg. All das, was er dort zu sehen bekam, ließ ihn den Stalinismus deutlicher als das, was er war, erkennen. Er lehnte ihn entschieden ab, was ihm zu dieser Zeit gerade von den kommunistischen Sympathisanten einiges an Kritik und Ablehnung einbrachte. Dagegen sympathisierte Orwell mit den Anarchisten, die zwar die soziale Entwicklung innerhalb der Russischen Revolution befürworteten, jedoch die „Verbürgerlichung der Revolution“ ablehnten. Das gleiche Thema griff Orwell noch einmal später auf. Durch seine Erinnerungen an Spanien schrieb er seine bekanntesten Werke nieder - „1984“ und „Farm der Tiere“.
Der Literaturnobelpreis ging 1938 an Roger Martin du Gard. Er wurde ganz allgemein für sein Talent und Engagement ausgezeichnet.
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