1900
1901
1902
1903
1904
1905
1906
1907
1908
1909
Das
Modejahr 1906 Mode – Die Diskretion der
Herrenschneider
Es ging hoch her in der Welt. Das deutsch-britische
Rüstungswettrennen erreichte eine neue Etappe durch
das Auslaufen des derzeit weltgrößten
Kriegsschiffes, der „Dreadnought“. Streiks und
Arbeitskämpfe um bessere Löhne und kürzere
Arbeitszeiten machten der Wirtschaft zu schaffen.
Ausnahmereglungen im Kinderschutzgesetz
legalisierten Arbeit für Kinder ab 9 Jahren. Die
später erst anerkannte Künstlervereinigung „Die
Brücke“, die sich dem Expressionismus verschrieben
hatte, eröffnete ihre erste Ausstellung, die
allerdings kaum beachtet wurde. Ihr erging es wie
dem Reformkleid.
Doch bei der Reformbekleidung trug
die Zähigkeit allmählich erste Früchte. Die neue
Pariser Mode, die dem Empire nachgeahmt wurde, war
daran nicht unschuldig. Sie wirkte locker und
feminin, auch wenn sie längst noch nicht ohne das
Korsett auskam. Die Optik war jedoch nicht auf die
absolute schlanke Linie ausgerichtet. Ein klares
Bekenntnis zur Reformbekleidung war das seitens der
Haute Couture nicht.
Die Damen des Bürgertums bevorzugten neben den
Kleidern mit schlanker Optik auch die Kostüme, die
immer mehr Anhängerinnen gewannen. Diese
Veränderung, die schon in den Jahren zuvor begonnen
hatte, erForderte nur bedingt Mut, denn unter den
schmucken Kostümen trugen Frau unverdrossen das
Sans-Ventre-Korsett. En vogue waren diese Kostüme
für den Tag mit einem hohen Rock, der unter der
Büste endete und mit einem kurzen Bolero getragen
wurde. Samtwesten waren ebenso gefragt. Doch auch
die langen, mantelähnlichen Jacken waren sehr
schick. Das Bequemste an diesen Kostümen war die
Weite des Rockes, die die Beine umspielte und mit
Verzierungen betont wurde.
In Paris versuchte Paul Poiret die strenge
Korsett-Linie und die bequeme Funktionalität der
Reformkleidung in Einklang miteinander zu bringen.
Vom Empire inspiriert und aus leuchtenden Stoffen
gearbeitet, die eine Gruppe Maler bevorzugte – „Les
Fauves“, die Wilden – schuf Poiret Kreationen, die
sehr gewagt waren. Er hatte sie ohne Korsett
kreiert. Es gehörte viel Mut dazu, diese Modelle zu
tragen. Die Mode der konservativen Couturiers hatte
es deutlich leichter. Für die Reformbekleidung war
es ein gelungener Schritt, bis in die Haute Couture
vorgedrungen zu sein, wenngleich die
herrschaftlichen Damen sich noch längst nicht von
der Sans-Ventre-Linie abwenden konnten. Die
Intellektuellen unter den Frauen wagten bereits die
ersten Versuche und wurden dafür scheel angesehen,
während die feine Frau an den Korsett-Kleidern
festhielt und tagsüber das Kostüm bevorzugte, das
nur mit Schleppe salonfähig war. Die Sommerkleider
dieser Linie ließen inzwischen ein wenig Haut sehen.
Auch wenn die nur am Arm sichtbar war, musste diese
kleine Nacktheit dennoch verdeckt werden. Hier kamen
lange Handschuhe zum Einsatz.
Hut und Sonnenschirm gehörten nach vor unbedingt zur
kompletten Garderobe der gut gekleideten Frau.
Am
Abend durfte die üppige Eleganz sich in grenzenloser
Pracht zeigen. Schwarz-weiße Streifen im Chiffon,
Seidenstoffe oder Kleider, die vollends aus Spitze
gefertigt waren, gehörten zu den absoluten Favoriten
der Abendgarderobe, wobei kein Kleid dem anderen
ähnelte, sah man einmal von der Schnittform ab.
Modern waren auch Röcke, die den Kleiderunterteilen
ähnelten und mit einer besonders edlen Bluse
getragen wurden. Seide und Spitze, gemusterte
Atlasstoffe und Tüll waren sehr beliebt. Auch hier
gab es für die Fantasie beim Zusammensetzen
verschiedener Materialien keine Grenzen.
Was für die Damenmode Paris war, war für die
elegante Herrenmode Großbritannien. Der moderne
Mann, so er aus gut situierten Kreisen kam, musste
zu jeder Gelegenheit richtig angezogen sein. Die
Etikette war streng, doch Mann kannte sich aus. Er
hatte die Wahl zwischen einem Gehrock konservativen
Anstrichs, einem Sakko sportlicher Art und dem
Cutaway für den Tag. Selbst für den Abend konnte er
zwischen dem Smoking oder dem Frack wählen. Was der
Anlass erForderte, wusste er. Wer es nicht so genau
wusste, wurde von seinem Schneider instruiert.
Diskrete, kleine Schriftstücke beinhalteten, welche
Kleidung für welchen Anlass angemessen war. Und auch
die Accessoires wurden berücksichtigt. Was Mann
nicht wusste, erfuhr er von seinem Schneider.
Mit der Mode hatten die Herren kaum Probleme.
Ärgerlicher war für die Herren die Einführung der
Kraftfahrzeugsteuer. Die gleichzeitige Einführung
der Autokennzeichen bereitete ihnen keine
Kopfschmerzen. Dass Mann – der in diesem Fall auch
für die Frau zur Zahlung verpflichtet war – Geld für
den Besitz eines Automobils aufbringen musste, war
allerdings ungeheuerlich. Und dass dies nicht nur
eine Mode-Erscheinung war, ist heute noch zu spüren.
<<
Mode 1905
|
Mode 1907 >>