Das
Modejahr 1905 Mode – Der Kampf ging weiter
Die Thematisierung der Reformbekleidung hielt
unvermindert an. Während die bourgeoisen Damen das
neue, gesunde und körperfreundliche Kleid noch immer
ablehnten, es gar als einen Reformsack bezeichneten,
fand es in den Kreisen der aktiven Frauenbewegung
großen Anklang und wurde auch getragen. Inzwischen
gab es nicht nur die Künstlermodelle, die nicht
bezahlbar waren. Es gab auch schlichte,
preisgünstige Modelle. Diese lose fallenden Kleider
gönnten sich die Damen der Gesellschaft als
Hausbekleidung, wenn sie glaubten, auf das Korsett
verzichten zu können. Das eigentliche Reformkleid
wurde allerdings nicht von ihnen getragen. Das wäre
nun doch zu unpassend gewesen.
Selbst zuhause ging
die leichte Bekleidung als Haus- oder Teekleid in
den vornehmen Sprachgebrauch ein. Das änderte nichts
daran, dass das Neue nach und nach an Akzeptanz
gewann.
Für die Abendgarderobe war natürlich die
Sans-Ventre-Linie immer noch die einzig tragbare
Kleidung, wollte man nicht unangenehm auffallen und
das Majestätische der damenhaften Haltung verlieren.
Die Modelle wurden in diesem Jahr vom Rokoko
inspiriert. Das bedeutete das Aufkommen der
Taillen-Schleppe, die einen edlen Fächer bedingte.
Nur damit wurde Frau dem modischen Trend gerecht.
Mit orientalischen Raffinessen rückte der Franzose
Paul Poiret in den Mittelpunkt des Modegeschehens.
Er betonte zwar die schlanke Linie, war aber kein
strenger Verfechter des Korsetts. Neues aus seiner
kreativen Feder warf seine Schatten voraus, als er
den Reisemantel im asiatischen Kimono-Stil kreierte,
der durch den Kontrast der dunkelroten Außenfarbe
und dem sichtbaren hellen Innenfutter bestach. Auch
seine neue Linie, „La Vague“, fand große
Aufmerksamkeit, konnte sich aber noch nicht
durchsetzen, weil sie dem Stil der Reformbekleidung
zu nahe kam.
Als Farbe des Jahres war ein knalliges Gelb
angesagt. Genau vor dieser Farbe wurde im „Blatt der
Hausfrau“ gewarnt. Nicht aus modischen Erwägungen,
sondern aus Kostengründen. Ein Kleid dieser Farbe
wirkte in der nächsten Mode-Saison unmodern. Es
gehörte ein gewaltiges Kapital dazu, sich in jeder
Saison neu einzukleiden. Da war gerade das
auffallende Gelb ungeeignet, wollte man sich mit
einigen Änderungen auf den neuesten Stil einstellen.
Selbst die Begüterten waren nicht alle so reich.
Anders war es mit den Rosen, die absolut en vogue
waren. Sie wurden in den unterschiedlichsten
Rot-Tönen als schmückender Seidenaufputz für Hüte
verwendet, zierten Kleidersäume und Mäntel an der
Vorderseite.
Den modischen Trend bestimmten Kostüme, die sommers
aus Wollstoffen mit oder ohne kleinkarierter
Pepita-Musterung aktuell waren. Im Winter trug man
diese Kostüme aus Samtstoffen. Die Röcke waren
zumeist aus Bahnen gefertigt, verzichteten aber
nicht auf die Schleppe, die ihrer Eleganz wegen
immer noch Anklang fand. Die praktischen Aspekte
spielten dabei keine große Rolle, zumal Frau die
Röcke inzwischen recht charmant zu raffen gelernt
hatte, um die verzierten Strümpfe zu zeigen.
Die Herrenmode hatte sich nicht maßgeblich
verändert. Die Reformkleidung für Männer, die in den
beiden letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
immerhin das sogenannte Jägerhemd hervor gebracht
hatte, nahm auf die Alltagskleider der Herren keinen
Einfluss. Sie war auch kein viel diskutiertes Thema.
Das sollte sich erst später ändern, als die
Arbeitskleidung unter anderen Gesichtspunkten
gefertigt wurde. Derzeit waren die Herren mit ihrer
Bekleidung zufrieden. Dass die schon im Vorjahr
modern war, brachte sie nicht aus der Ruhe. Darin
unterschieden sie sich maßgeblich von den Damen, die
durchaus begierig auf Neues waren, nur noch nicht
wagemutig genug, es anzunehmen. Reformen, welcher
Art auch immer, setzen sich halt nicht so leicht
durch. Und die Gesundheit war kein Kriterium, dass
die Mode schnell beeinflussen konnte. Damen, die
schön sein wollten, litten gern. Damals wie heute.
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