Literaturjahr 1908
Literatur in Deutschland
1908 war das Jahr der Lüfte. Zumindest erhoben sich
erstmalig mehrere motorbetriebene Flugzeuge vom
Boden. Hans Grade war der Pionier des ersten
deutschen Motorflugzeuges. Es folgte der Amerikaner
Wilbur Wright, dessen Flug mehr als zwei Stunden
andauerte.
An anderer Stelle fand das längste Autorennen der
Welt statt. Die Strecke begann in New York, führte
über Moskau und endete in Paris.
Während sich die Menschheit in ihren technischen
Errungenschaften weiterentwickelte, rächte sich die
Natur anderen Ortes. In Sizilien starben mehr als
hunderttausend Menschen durch ein schweres Erdbeben.
Mit seinen witzigen Geschichten von „Max und Moritz“
war Wilhelm Busch bekannt geworden. Er starb Anfang
des Jahres 1908. Ein anderer, vor acht Jahren
verstorbener Philosoph lebte in diesem Jahr eine
Weile wieder auf, da posthum sein Werk „Ecce homo“
herauskam – Friedrich Nietzsche. Da Nietzsche in
dieser Schrift Bezug auf seine Werke und auch auf
seine eigene Größe und Bedeutung als Philosoph nahm,
wurde über diese Zeilen häufig die Geisteskrankheit
gestellt, mit der er Ende seines Lebens zu kämpfen
hatte. Nietzsche schrieb an diesen autobiografischen
Zeilen, die übersetzt: „Sehet, welch ein Mensch!“
lauten, von 1888 bis zu seinem Zusammenbruch 1889.
Er beurteilte darin nicht nur seine Aufgabe als
Philosoph oder die Gefahren des Christentums,
sondern stellte immer wieder die Frage, ob man ihn
auch richtig verstanden hätte. Am Ende und in seinem
letzten Satz stand Dionysos dem „Gekreuzigten"
gegenüber.
Von Arthur Schnitzler erschien 1908 das Werk „Der
Weg ins Freie“. Dies ist zugleich der erste Roman
des Autors, der noch einige große Novellen und
Dramen schaffen sollte, darunter seine
„Traumnovelle“, die den Regisseur Stanley Kubrick zu
seinem beeindruckenden Film „Eyes Wide Shut“
inspirierte.
Bei seinem Erstlingswerk aus der Sicht eines jungen
Komponisten, der die Melodie in der Natur sucht,
drehte sich das Grundthema um das schwierige Leben
der Juden in Österreich-Ungarn. Beeindruckend war an
Schnitzlers Roman die Wertfreiheit, wenn sie auch
nicht ganz ohne Sentimentalität auskam.
Ein berühmtes und historisches Werk wurde von dem
französischen Schriftsteller und späteren
Nobelpreisträger für Literatur Anatole France in
Druck gegeben. Der Roman hieß „Die Insel der
Pinguine“ und behandelte ein Land namens Alka, das
fiktiv eine Satire auf Frankreich darstellte und das
christliche Abendland in Frage stellte. France
zeichnete die französische Geschichte in ihren
Anfängen bis in die Gegenwart als ein Land der
Pinguine, wobei die Uneinsichtigkeit dieser Tiere,
ihre Habgier und die daraus resultierende
Schreckensherrschaft zum Untergang führte. Mit
seiner geschaffenen Anti-Utopie war France einer der
Wegbereiter des Science-Fiction-Genres. Im gleichen
Jahr setzte sich France auch mit der Figur der
Johanna von Orleans auseinander, die er in ihrer
Position als nationale Ikone zu entthronen
versuchte. France war, wie Zola, einer der politisch
links gerichteten Mitkämpfer in der Dreyfus-Affäre.
Er unterschrieb nicht nur die Petition, setzte sich
in dessen Prozess für Zola ein, sondern schilderte
das Zeitgeschehen auch in seiner Erzählung „Die
Affäre Crainquebille“.
Ein weiterer, wichtiger Roman jenes Jahres war „Ein
Mann, der Donnerstag war“ von G. K. Chesterton. Der
Schriftsteller und Journalist äußerte sich gegen
viele Missstände kritisch, so war er gegen
Rassenhass, Euthanasie, Eugenik oder den gefräßigen
Kolonialismus Großbritanniens. Auch dieser Kurzroman
war eine politische Satire, die in den Bereich der
fantastischen Literatur fiel und sich mit vielen
theologischen und philosophischen Fragen befasste.
Die Grundstory behandelte die fixe Idee
anarchistischer Terroristen, die in ihrem Vorhaben
immer mehr in eine Welt der Verfremdung und des
Wirklichkeitsverlustes gerieten.
Der Architekt Adolf Loos brachte seine Aufsehen
erregende Schrift „Ornament und Verbrechen“ heraus,
ein radikaler Angriff auf die Verschnörkelung in der
Architektur, die sich darüber hinaus auch auf den
Menschen auswirken würde, der in seinem „Gehen mit
der Mode“ erneut rückständig zu werden drohte und
dem das Ornament, frank und frei gesagt, alleine als
Maske seiner selbst diente.
Von Robert Walser wiederum kam der kleinere, aber
umso feinere Roman „Der Gehülfe“ heraus, worin er
sich mit dem Niedergang der Familie eines Erfinders
beschäftigte, und Jakob Wassermann schrieb sein aus
vielen wirklichen Quellen geschöpftes Werk „Casper
Hauser oder Die Trägheit des Herzens“.
Der Literaturnobelpreis wurde an den deutschen
Professor für Philosophie und Pädagogik Rudolf
Christoph Eucken verliehen. Seine Werke zeichnete
die stete Suche nach der Wahrheit aus und der
Versuch, die Philosophie und eine ideale
Weltanschauung einem größeren Publikum näher
zubringen.
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