Literaturjahr 1907
Literatur in Deutschland
1907 veröffentlichten die Gebrüder Lumière die
ersten Farbfotografien. Beide waren auch die
Wegbereiter des Films mit ihrem erfundenen
Kinematographen der beweglichen Bilder. Eine ihrer
Vorführungen war legendär, beinhaltete die Ankunft
eines Zuges im Bahnhof, so dass dieser direkt auf
den Zuschauer zuzufahren schien. Panikartig
flüchteten diese daraufhin aus dem „Café Paris“, in
dem der Kurzfilm gezeigt wurde, da sie dachten, der
Zug würde sie tatsächlich überrollen.
Den Literaturnobelpreis bekam ein für die
Verhältnisse des Überreichens doch recht junger
Schriftsteller, der 32-jährige Rudyard Kipling.
James Joyce behauptete von ihm, er könne sich
durchaus mit dem russischen und großen
Schriftsteller Tolstoi vergleichen lassen. Der
Engländer wurde in Indien geboren und erhielt den
Preis aufgrund seiner fabelhaften Beobachtungs- und
Erfindungsgabe. Kipling war der Schöpfer des
berühmten „Dschungelbuchs“.
Zwei der bahnbrechendsten französischen
Schriftsteller, die nicht unterschiedlicher sein
konnten, starben im Jahr 1907. Der eine an
Tuberkulose, der andere an Krebs. Die Rede ist von
Alfred Jarry und Joris-Karl Huysmans.
Alfred Jarry war einer der großen Vertreter des
absurden Theaters und eine wichtige Gestalt des
Pariser Bohème-Lebens. Er war auch der Begründer der
Pataphysik, mit seinem Romanfragment „Heldentaten
und Ansichten des Doktor Faustroll“. Pataphysik war
die absurde Wissenschaft imaginärer Lösungen, eine
Parodie des Nonsens in Methode und Theorie.
Künstlerisch fühlten sich etliche Schriftsteller
durch Jarry inspiriert. Verwendet wurden u. a. auch
gerne Palindrome, Sätze, die sich vorwärts wie
rückwärts gleich lesen ließen.
Teil der Pataphysik war z. B. die Erweiterung von
Raum und Dimension, so dass eine Untersuchung der
Oberfläche Gottes eine der zu suchenden Berechnungen
war. Jarry stellte die These auf: Gott sei der
kürzeste Weg von Null bis Unendlich. Bekannt wurde
er durch sein Stück „König Ubu“, das später eines
der Vorzeigeexemplare der Futuristen und
Surrealisten wurde. Dieses war eine Mischung aus
Scherz, Ironie, Satire und Tiefsinnigkeit. Die
Premiere für dieses Skandalstück fand 1896 statt,
ein unglaublicher Misserfolg, der große Empörung
auslöste, so dass, als König Ubu das Wort „merdre!“
ausrief, die Vorstellung für Minuten unterbrochen
werden musste, da im Publikum ein wahrhafter Tumult
losbrach. Was wiederum wenige wissen, ist, dass die
Idee und Umsetzung zu diesem Stück gar nicht von
Jarry selbst stammte. Er bediente sich an einer
kreativen Gemeinschaftsarbeit zweier einstiger
Klassenkameraden, die mit Jarry als Urheber des
Stückes allerdings sehr locker umgingen, eher
belustigt waren.
Während die Leute das Stück also ausbuhten, geriet
dagegen der Dichter Stéphane Mallarmé, selbst ein
Vorreiter der modernen Lyrik, in wahren
Enthusiasmus. Er bezeichnete Jarry als einen
„Bildhauer des Dramas“.
Huysmans wiederum wurde insbesondere mit seinem
Roman „Gegen den Strich“ bekannt, obwohl dieser
wahrhaft wunderbar dekadente, poetische Roman mehr
einem eher anspruchsvollerem Publikum behagte,
seinerzeit nicht den Erfolg brachte, den Huysmans
verdiente, jedoch später Kultstatus annahm. In ihm
kreierte Huysmans im Grunde den ersten Dandy, der
sich „gegen den Strich“, damit gegen alle wendete.
Sein Protagonist Jean Des Esseintes, der letzte
Spross einer hochadligen Familie, floh aus einer
trivial empfundenen Wirklichkeit und erschuf sich
nach und nach ein künstliches Paradies unabhängigen
Seins, erbaute sein Haus, kreierte das Ambiente,
verfeinerte seine Behaglichkeit, seine Vorlieben, um
hinter dieser Künstlichkeit allmählich ganz zu
verschwinden und als einzige Rettung den Sprung
zurück in die natürliche Welt zu vollführen. Der
Roman „Gegen den Strich“ wurde in Frankreich durch
die darin enthaltende These des Ästhetizismus zum
Vorzeigebuch der Dekadenz des „Fin de siècle“ und
der Held dieses Romans entsprach ganz Nietzsches
Ausspruch aus „Also sprach Zarathustra“:
„
Und auch dies Gleichnis gebe ich euch: nicht
wenige, die ihren Teufel austreiben wollten, fuhren
dabei selbst in die Säue.“
Ein anderes Werk Huysmans war „Tief unten“, ein
düsteres, fast satanisch anmutendes Buch. Huysmans
war immer hin- und hergerissen in seinem Glauben an
Gott. Jahrelang war er überzeugter Atheist, fand
dann aber, im Älterwerden, zu Gott zurück, änderte
seine Einstellung radikal. In „Tief unten“ wiederum
wandte er sich einem naturalistischen Spiritualismus
und der Tiefenauslotung menschlicher Abgründe zu.
Sein Protagonist war der blutrünstige Gilles de Rais,
in dem der andere Hauptcharakter Dural einen
Glückssuchenden zu erkennen vermeinte. Während Dural
versuchte, den Massenmörder zu ergründen, geriet er
nach und nach selbst in die okkulte Strömung des
Satanismus‘. Seine Rettung war am Ende allein der
Sprung zurück in den Glauben.
Neben diesen beiden Größen der Literatur starb auch
der erste Literaturnobelpreisträger Sully Prudhomme.
So brachte das Jahr 1907 wenige bekanntere Bücher
hervor, erinnerte durch den Tod jedoch noch einmal
an wichtige Erneuerer der Literatur.
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