1870
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1878
1879
Mode 1870 bis 1879 - als
das Gesäß zum Blickfang
wurde
Auch wenn man es auf kein genaues Jahr einengen
kann, so lässt sich doch für das Jahrzehnt ab 1870
sagen, dass in der Mode und in der Kunstgeschichte
überhaupt, das Zweite Rokoko beendet war oder
zumindest zügig seinem Ende entgegenging. In den
europäischen Ländern schritt der wirtschaftliche
Fortschritt mit einem enormen Tempo voran. Die
Großbourgeoisie hatte Oberwasser gegenüber dem Adel
gewonnen und jeder wollte zeigen, dass er in der
Lage war, sich ein besonders großes Stück vom
Warenkuchen zu leisten vermochte. Die
Massenproduktion ermöglichte es, dass sich immer
mehr Menschen beispielsweise preiswerte Möbel kaufen
konnten. Protzen und angeben war an der
Tagesordnung. Der handwerkliche Wertbestand einer
Ware rückte zugunsten der Massenfertigung in den
Hintergrund. Die Stile, die das Durcheinander der
Möbel bestimmten, zeigten sich auch in der Mode. Es
ging schon ein bisschen chaotisch zu in jener Zeit.
Die Krinoline, wie der mit Rosshaar oder Stahlstäben
versteifte Unterrock genannt wurde, war
weitestgehend aus der Damenbekleidung verschwunden.
Dafür wurde bereits um 1879 die Turnüre in die
Unterbekleidung aufgenommen. Zunächst waren es sehr
aufwändige und umständliche Gebilde, die dazu
dienten, das Gesäß, überhaupt das ganze hintere
Unterteil der Frauen zu erweitern, es optisch in den
Vordergrund zu rücken. In der Modegeschichte ist die
Rede von der Ersten Turnüre. Die Zweite Turnüre kam
erst im 1880er Jahrzehnt auf und war dann längst
nicht mehr so pompös gestaltet. Aber zunächst war
noch die Erste Turnüre modisch aktuell und zwar bis
etwa 1875. Dieses halbkreisförmige Gestell, das
zumeist aus Stahl- und/oder Fischbeinstäbchen
gefertigt war und dessen Polsterungen aus Rosshaar
bestanden, wurde über das Gesäß gelegt und
befestigt, so dass der Rock, der darüber getragen
wurde, eine gewaltige hintere Auswuchtung erhielt.
Vorn war das Kleid eng anliegend, der Blick wurde
automatisch auf das riesige Hinterteil gelenkt.
Diese Mode gab reichlich Anlass für Spott. Es fanden
sich zahlreiche Karikaturen in den damaligen
Zeitungen, die die Damen in ihrer Silhouette
tatsächlich sehr komisch aussehen ließen. Durch das
enge Korsett, das natürlich unbedingt zur
Grundausstattung jeder Frau gehörte, wurde die Brust
nach oben gedrückt und die spitzen oder viereckigen
Ausschnitte machten immerhin ein schönes Dekolleté.
Ein etwas seltsam anmutender Einfall der Mode um das
1870er Jahrzehnt, der sich aber nur kurze Zeit
behaupten konnte, war die Betonung des Unterleibes,
die durch Raffungen, durch Falten oder Plissierungen
erreicht wurde. Man hätte es für eine
Schwangerschaftsmode halten können, die es aber
nicht war. Seltsam war diese modische Verirrung
deshalb, weil es gewöhnlich nicht als angemessen
galt, eine Schwangerschaft äußerlich hervorzuheben.
Ein wichtiges Accessoire der damaligen Zeit war der
Fächer. Auch der spitzenbesetzte Sonnenschirm war in
Mode, wobei der Fächer zu allen Tageszeiten getragen
werden konnte. Bei den Sonnenschirmen – womit die
Damen reichlich ausgestattet waren – galt es stets,
darauf zu achten, dass er zu den Farben der Kleider
passte. Handschuhe und Schleier waren ebenso
angesagt. Die zumeist hochgesteckten Frisuren waren
mit einem Hütchen geschmückt, an dem schulterlange
Bänder zur Verzierung angebracht waren. Das Hütchen
wurde entweder ein wenig keck seitlich getragen oder
auf dem Hinterkopf platziert, konnte aber auch
gerade vorn auf dem Kopf getragen werden. In jedem
Fall hielten es zwei Bänder, die am Hals vorn zu
einer Schleife gebunden waren. Hierfür gab es die
Bezeichnung „Kapotthütchen“, die sich bis in die
späteren Jahrzehnte, sogar noch bis in die Mitte der
1950er Jahre hielt, dann allerdings mehr als
Bezeichnung für einen unmodernen Hut.
Üblich waren in der Tageskleidung auch Tuniken. Etwa
von 1877 bis 1875 erfuhr diese Art des Überkleides
eine Renaissance als ein abgewandeltes Zitat an das
Hemdgewand der Ägypterinnen. Besonders beliebt waren
diese Tuniken an kühleren Tagen als ein Ersatz für
einen Mantel oder einen Umhang.
Wie eine Modezeitung aus dem Jahr 1875 zeigt, waren
die Ärmel an den Kleidern mit reichlich
Spitzenbesatz versehen oder hatten zumindest einen
Rüschenabschluss. Für den Alltag im Freien waren die
Kleider hochgeschlossen geknöpft und endeten am Hals
mit einem kleinen Kragen. Erst der Mantel, der
darüber getragen wurde, hatte einen sogenannten
Kutscherkragen, der auffiel, da er in mehreren,
etagenweise übereinanderliegenden Stoffbahnen
gefertigt war. Der Kutscherkragen wurde auch
Carrickkragen genannt. Der ursprünglich aus England
stammende Carrickmantel gehörte eigentlich zur
Herrenmode, wurde aber bereits zu Beginn des 19.
Jahrhunderts auch in verschiedenen Ausführungen in
die Damenmode übernommen. Er hatte sich als
Reisemantel bewährt. Die Lagen der Stoffbahnen, die
etagenweise angebracht waren, schrieb die Mode nicht
zwangsweise vor, aber es galt als vornehm, wenn es
mehr als drei oder vier Bahnen waren.
Für die Abendgarderobe gab es zu jener Zeit bereits
die Haute Couture, die ein Engländer ins Leben
gerufen hatte – Charles Frederich Worth (1826-1895).
Auch herausragende Schneider wie beispielsweise
Jacques Doucet (1853-1929) einer war, wurden von der
maßgeschneiderten Garderobe inspiriert. Er
erweiterte um 1871 das Geschäft seines Vaters und
entwarf edle Abendkleider.
Die Herrenmode
Während sich die Damen Gedanken machen mussten,
welche Farbe zum Teint passt, welche Stoffe die
vornehme Blässe unterstützten und welche eine
unpassende oder zu strenge Wirkung hatten, gab es
für die Männer recht wenige Probleme. Die Farben
waren für sie unabhängig vom Teint. Sie bevorzugten
ohnehin alles, was dezent und gedeckt war. Durch
Farben fielen die Herren gewiss nicht auf. Dafür
hielten schon eher edle Stoffe her, aus denen
Sakkos, Gehröcke und Hosen geschneidert waren. Die
Herren schauten nach England, wenn sie sich für
modische Vorgaben interessierten, aber da die
Herrenmode generell praktisch ausgerichtet war und
keines besonderen „Schnickschnacks“ bedurfte,
konnten die Männer in ihrer Bekleidung beruhigt über
einen langen Zeitraum den Stil beibehalten, an den
sie sich gewöhnt hatten. Lediglich der Frack
verschwand allmählich aus der alltäglichen Garderobe
der Herren. Der Gehrock (Cutaway) hatte sich als
zweckmäßiger erwiesen. Bei festlichen Anlässen fand
der Frack durchaus weiterhin Verwendung.
Einer der bekanntesten Herrenschneider war der
Engländer Henry Creed (1824-1914). Seine
Familientradition lässt sich bis zum Beginn des 18.
Jahrhunderts zurückverfolgen. Das Unternehmen
existiert heute noch, hat aber in den 1980er Jahren
in die Parfümeriebranche gewechselt. Damals, im
Jahrzehnt, das 1870 begann war Creed ein gefragter
Name bei der Fertigung königlicher Reitkleidung.
Bei aller Schlichtheit in der Herrenmode ließen es
sich die Männer nicht nehmen, größte Sorgfalt auf
die Accessoires zu legen. Mann kannte bereits die
Krawatte, die sich im Laufe der Jahrzehnte sehr
verändert hatte, aber dieser – mancherorts auch
Schlips genannte Binder – Farbtupfer in der sonst
gedeckt gehaltenen Kleidung hatte sich längst die
Welt der Herrenmode erobert. Diesen Trend erkannten
auch pfiffige Unternehmer und so entstanden die
ersten Läden, in denen diese Accessoires der
Herrenbekleidung aus feinstem Stoff und nach
neuesten Trends hergestellt wurden. Diese
Unternehmen hatten dauerhaft Bestand, einige
existieren noch immer – beispielsweise „Pelo“, das
1870 in Berlin gegründete Geschäft, in dem aus Seide
und anderen edlen Materialien Krawatten und Schals
für den Herrn zu kaufen waren. Heute ist das
Unternehmen eine Company mit internationalem Ruf.
Der Name „Pelo“ setzt sich zusammen aus den beiden
Gründern Hermann Pellens und Johannes Loick.
Die Kinderbekleidung
Zwar kannte man schon die uniformähnliche Bekleidung
für Knaben und Mädchen – den Matrosenanzug, den es
vornehmlich in blau, aber auch in weißen Modellen
gab – doch im Großen und Ganzen waren die Kinder
nach dem Vorbild der Erwachsenen gekleidet. Die
Mädchengarderobe richtete sich nach der Kleidung der
Mütter, nur dass die kleinen Damen nicht zwingend an
die bodenlangen Säume gebunden waren. Da konnte das
Kleid in der Silhouette der erwachsenen Frau auch
einmal nur knielang sein. Die Beinchen wurden mit
hohen, bis fast ans Knie reichenden Stiefelchen
bekleidet. Die Buben sahen normalerweise auch wie
ihre Väter gekleidet aus. Das war in allen
Gesellschaftsschichten ähnlich, zumal die
Matrosenkleidung ohnehin nur den begüterten Kreisen
vorbehalten war.
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