Geschichte der
Erfindungen
Als der Kabarettist Hagen Rether
die Vision einer Welt ohne Autos, Computer und
Telefone entwarf, kam er zu dem erschütternden
Fazit: "Wir würden den ganzen Tag nur noch
fernsehen."
Beim Deuten absurder Pointen ist immer Vorsicht
geboten. Trotzdem bietet diese einen guten Anlass,
sich gedanklich ein wenig mit der uralten
Dreiecksbeziehung zwischen Mensch, Natur und Technik
auseinanderzusetzen.
Für die meisten von uns ist es inzwischen
unvorstellbar, sich für längere Zeit ausschließlich
mit natürlich gewachsenem zu umgeben. Warum sollten
wir auch? Es gibt neben zahllosem Unfug ebenso viele
schöne und nützliche Dinge, die ohne menschlichen
Einfluss nie entstanden wären. Viele davon sollten
das Leben nicht nur angenehmer, sondern auch
sicherer gestalten. Andere halfen beim Erweitern des
eigenen Aktionsradius - oder des eigenen Horizonts.
Das Erfinden - was nichts anderes bedeutet als das
Entwickeln nutzbarer Anwendungen mittels einer
bisher unbekannten Kombination
bereits vorhandener
Elemente - war ein wesentlicher Teil der
Menschwerdung unserer steinzeitlichen Vorfahren. Es
ist der Ausdruck einer Gabe, die im Tierreich
ihresgleichen sucht: der Vorstellungskraft, die mit
"Was wäre, wenn..."-Gedankenspielen einhergeht. Für
eine endgültig "erfolgreiche" Rückkehr zur Natur
müssten wir uns zuallererst von dieser Gabe trennen.
Schon vor fast einer Million Jahren schufen Menschen
erstmals Werkzeuge, die nicht einfach nur der
Nahrungsbeschaffung dienten, sondern für die
Herstellung anderer, sehr viel effizienterer
Werkzeuge (insbesondere Jagdwaffen) gebraucht
wurden, welche man nur mit Fingern, Zähnen und
unbearbeiteten Steinen unmöglich hätte anfertigen
können. Das dürfte der Beginn jeder menschlichen
Erfindung gewesen sein. Weitere basierten immer
entweder auf Naturbeobachtung oder auf schon
vorhandenen Geräten und Techniken. Das dürfte -
neben der noch für sehr lange Zeit fehlenden
Fähigkeit zur Sprache - auch erklären, warum die
Fortentwicklung in der Frühphase so schleppend
verlief.
Für die Urmenschen war es mit Sicherheit ein Segen,
als sie vor etwa 500.000 Jahren Methoden fanden, mit
selbst erzeugtem Feuer die Kälte aus ihren
Unterkünften zu vertreiben, ohne darauf warten zu
müssen, dass irgendwo ein Baum durch Blitzschlag in
Brand gesetzt wurde. Und es dauerte nochmals über
400.000 Jahre, bis der Mensch begann,
selbstgefertigte Kleidung zu tragen und Hütten zu
bauen. Diesem entscheidenden Schritt aus der Natur
in die Kultur folgte vor ungefähr 35.000 Jahren das
Anfertigen von Skulpturen und Musikinstrumenten. Vor
etwa 6.000 Jahren schließlich wurde das Rad erfunden
- eine Großtat, die im heutigen Sprachgebrauch
synonym für jede bedeutsame Erfindung steht, und
natürlich ein Meilenstein im Fortschreiten der
Globalisation.
Als sich im Zuge des Übergangs von der
Steinzeit zur
Bronzezeit die ersten Stämme zu Völkern
zusammenschlossen, gewannen Kriegswaffen an
Bedeutung. Zeitgleich entstand mit der Keilschrift
eine Möglichkeit, jedes gesprochene Wort
aufzuzeichnen. Dass somit Militär und Verwaltung
sich etablieren konnten, machte die Entstehung von
Staaten erst möglich. Seither besteht eine ständige
Verquickung zwischen zivilen und militärischen
Entwicklungen, für die der Erfinder Archimedes ein
besonders prominentes Beispiel bot. So war es vor
allem das um 1000 in China erfundene Schwarzpulver,
das im Laufe des folgenden Jahrtausends die
Kriegsführung revolutionierte. Diese Entwicklung,
während derer der Nahkampf zunehmend an Bedeutung
verlor, gipfelte in den Materialschlachten beider
Weltkriege.
Vor rund dreieinhalbtausend Jahren gelangen
entscheidende Fortschritte beim Schiffbau. Wieder
"schrumpften" die Entfernungen zwischen den Völkern.
Ebenso schrumpften die Zeitabstände zwischen
technischen Neuerungen. Ab dem fünften
vorchristlichen Jahrhundert erweiterte die Erfindung
des Flaschenzugs und des Baukrans die Möglichkeiten
der Architektur. Die antiken Griechen kannten
bereits Urformen der Dampfmaschine, des
Computers
und des
Getränkeautomaten. Allerdings betrachteten
sie diese eher als Spielereien denn als bedeutsame
Errungenschaften. Die Zeit war wohl noch nicht reif
dafür.
Offensichtlich musste sich das allgemeine Denken
erst der technischen Entwicklung anpassen. Wichtige
Stationen auf dem Weg zu einer effektiven
Informationsverbreitung waren die Papierherstellung
in China um das Jahr 100 und ab 1445 der
Buchdruck
mit beweglichen Lettern, dessen zweiter Erfinder
Johannes Gutenberg war. Die Koreaner hatten diese
Technik schon in den beiden vorhergehenden
Jahrhunderten genutzt.
Die bald darauf zu neuer Blüte gelangenden
Wissenschaften erklärten das bisher oft nur
geduldete Erfinden endgültig zur Tugend. Neue
Präzisionsinstrumente erlaubten den Blick auf andere
Planeten wie auch in mikroskopisch kleine Gebilde
und eine immer genauere Zeitmessung. Ein weiterer
Dammbruch gelang James Watt, der
1769 eine
vielseitig einsetzbare Dampfmaschine mit hohem
Wirkungsgrad entwickelte. Die Folge war eine
inzwischen sprichwörtliche industrielle Revolution,
ohne welche die
Elektrizität sicherlich nicht hätte
nutzbar gemacht werden können. Die
Eisenbahn (eine
direkte Weiterentwicklung der Dampfmaschine)
beschleunigte wie auch das einige Jahrzehnte später
erfundene
Telefon den Puls des Lebens erneut. Eine
ähnliche Wirkung konnten seitdem das Automobil, das
Flugzeug und der Computer entfalten. Gewächshäuser
und immer ausgefeiltere Düngungen brachten eine
zuvor nie gekannte Zuverlässigkeit der
Nahrungserzeugung mit sich, die viele Menschen noch
weiter vom natürlichen Jahresrhythmus entfremdete.
Da wir neben Ernährung und Mobilität auch Muße und
Unterhaltung brauchen, darf in der Aufzählung
natürlich das seit den dreißiger Jahren für
Privathaushalte verfügbare Fernsehen nicht fehlen.
Womit wir wieder bei der Eingangsthese angelangt
wären, für deren Richtigkeit sich natürlich bislang
niemand verbürgen wollte.
Das Fahrrad