Literaturjahr 1905
Literatur in Deutschland
1905 war für Russland ein blutiges Jahr. Der
sogenannte „Petersburger Blutsonntag“ fand statt und
bildete den Auftakt zur Russischen Revolution.
Friedliche Demonstranten wurden in Petersburg brutal
niedergeschlagen und auseinandergetrieben. Etliche
starben oder wurden verletzt. Die Folge waren
Streiks, Aufstände, Morde an Industriellen und
Grundbesitzern. Das Proletariat erhob sich zu seiner
vollen Größe, der Bolschewismus sammelte sich zum
Widerstand gegen den Zaren.
In Deutschland wurde die Künstlergruppe „Die Brücke“
gegründet. Die spätere Spionin Mata Hari trat mit
ihrem berühmten, zur damaligen Zeit in aller Exotik
faszinierenden Schleiertanz in Berlin auf und die
erste Frau, die aus Österreich stammende
Schriftstellerin Bertha von Suttner, erhielt den
Friedensnobelpreis.
Der Literaturnobelpreis wiederum wurde an den aus
Polen stammenden Schriftsteller Henryk Sienkiewicz
für seine epischen und geschichtsträchtigen Werke
verliehen.
Durchaus erstaunlich ist, welch eine große Rolle
eine simple Katze in der Romanwelt einnahm, sogar
heute noch in Werken von z. B. Haruki Murakami zu
finden ist. 1797 fühlte sich Ludwig Tieck durch den
Stoff, den er bei Charles Perrault fand, zu dem
Märchen „Der gestiefelte Kater“ angeregt, den die
Gebrüder Grimm in die bekannteste Fassung
umarbeiteten. Gleichzeitig bildete Tiecks Werk die
Vorlage für den berühmten Roman von E. T. A.
Hoffmann, „Lebensansichten des Katers Murr“. Der
Vorgänger und tatsächliche Erfinder einer solchen
Figur wiederum war Giovanni Francesco Straparola aus
Caravaggio. 1905 erschien das Werk „Ich, der Kater“
von Natsume Soseki. Auch hier schrieb der Japaner
aus der Sicht eines vorwitzigen, intelligenten
Katers, der gedanklich das Geschehen im Hause eines
Englischlehrers wiedergibt und sich satirisch mit
dieser Welt auseinandersetzt. Das Werk erlangte
große Bedeutung und Beliebtheit in Japan, ist bis
heute ein Klassiker.
Heinrich Mann brachte in Deutschland seinen
„Professor Unrat“ heraus. Dieses Werk galt, neben
seinen anderen Werken, als eines seiner wichtigsten.
Er schrieb das „Ende eines Tyrannen“ innerhalb
weniger Monate nieder und erntete bei der
Erscheinung herbe Kritik, beziehungsweise den
Wunsch, den Roman totzuschweigen, da sich Mann
etlicher Charaktere aus seinem Umfeld bedient hatte,
ähnlich auch, wie es sein Bruder Thomas für die
„Buddenbrooks“ machte. Der Professor stand als
Karikatur für den typisch deutschen Bildungsbürger
in seiner ganzen Doppelmoral. Später wurde das Werk
mit Marlene Dietrich als „Blauer Engel“ verfilmt.
Eine andere wichtige Auseinandersetzung fand in
Upton Sinclairs Roman „Der Dschungel“ statt.
Sinclair war bekannt für seine sozialkritischen
Themen. In „Der Dschungel“ setzte er sich mit den
verheerenden Zuständen auf den Schlachthöfen
auseinander, der Ausbeutung von Tier und Mensch,
während darüber hinaus der gesamte Kapitalismus und
die Korruption in Amerika in Frage gestellt wurden.
Der Roman, 1905 zunächst in einer Zeitschrift
herausgegeben, bewirkte einen großen Verlust und
Umsatzrückgang für die Konserven- und
Fleischfabriken. Sinclair hatte in einer solchen in
Chicago für sein Werk recherchiert und im Roman dann
u. a. auch davon berichtet, dass Arbeiter, aufgrund
fehlender Toiletten und Zeit, in das Fleisch
uriniert hätten, dass sogar ganze Arbeiter
mitverarbeitet und eingedost wurden, da es vorkam,
dass diese ab und an in die riesigen Bottiche fielen
und ertranken. Solche Berichte konnten den Appetit
schon erheblich bremsen. Die Wirkung war, dass die
Qualität der Konserven in Amerika verbessert wurde,
jedoch nicht die schweren Bedingungen der dort
tätigen Akkordlohnarbeiter. Selbst Präsident Theodor
Roosevelt beschimpfte Sinclair als „Dreckwühler“ und
forderte ihn auf, Ruhe zu geben.
Sinclairs Reaktion darauf waren die Worte:
„Ich zielte auf das Gewissen der Amerikaner, traf
aber nur ihren Bauch.“
Wenigstens andere Schriftsteller verteidigten ihn,
darunter George Bernhard Shaw oder Jack London, und
Bertolt Brecht fühlte sich später zu seiner Lektüre
„Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ angeregt. Wie
in Russland der Kommunismus bald seine eigenen
blutigen Kämpfe austrug, galt Sinclairs Werk als
Klassiker des amerikanischen Proletariats.
Einer der bedeutendsten Fantasie- und
Science-Fiction-Schriftsteller aller Zeiten,
Wegbereiter nicht nur für das Genre überhaupt,
sondern ebenso für viele wissenschaftliche
Untersuchungen und Erfindungen am 25. März 1905 –
Jules Verne. Der Autor von „Reise zum Mittelpunkt
der Erde“ oder „In achtzig Tagen um die Welt“ hatte
immer mit seiner Verwandtschaft zu kämpfen. Den
eigenen Sohn musste er in eine Besserungsanstalt
geben, ein geisteskranker Neffe schoss 1883 auf ihn,
wobei Verne nur knapp überlebte. Die faszinierende
Produktivität Vernes brachte etliche Werke hervor,
die sich über Frankreich hinaus bald weltweit großer
Beliebtheit erfreuten und bis heute immer noch die
Jugendlektüre vieler zukünftiger Leser bildet.
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