Literatur 1900 Literatur in Deutschland
Der Beginn des neuen Jahrhunderts wurde in
Berlin mit einer Jahrhundertfeier eingeleitet.
Kaiser Wilhelm II. winkte dem Volk zu, während
gleichzeitig das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft
trat, das bis heute, mit veränderten Bedingungen,
seine Gültigkeit hat. Auf Wilhelm I. wurde ein
Attentat verübt, das dieser jedoch mit schweren
Kopfverletzungen überlebte. In Italien wiederum
besuchte König Umberto I. in einer offenen Kutsche
die Stadt Monza und wurde durch den Anarchisten
Gaetano Bresci mit einem Revolver niedergeschossen.
Er erlag seinen Verletzungen.
Friedrich Nietzsche, schon einige Jahre vor sich
hindämmernd und von seiner Schwester gepflegt, die
ihren kranken, schnauzbärtigen Bruder einem Publikum
vorführte, als wäre er sein eigenes
Ausstellungsstück, starb im August, und in Paris tat
es ihm Oscar Wilde nach, ebenso in Portugal der
Schriftsteller José Maria de Eça de Queiroz.
Tod und Geburt. Ende und Neubeginn. Das war die
Stimmung dieser Zeit. Ein neues Jahrhundert erweckte
im Menschen grundsätzlich Zukunftsängste und
Unsicherheit. Der Wechsel in das 20. Jahrhundert war
in seiner Umbruchstimmung auch in der Literatur zu
spüren.
Der Naturalismus blieb zwar eine wichtige
Stilrichtung, wobei Wert auf eine exakt dargestellte
Wirklichkeit ohne subjektive Ansichten gelegt wurde,
jedoch wurde diese bald durch nachnaturalistische
Strömungen abgelöst. 1900 hatte sich der
Naturalismus soweit entwickelt, dass Techniken wie
der Sekundenstil und der innere Monolog ihren
Höhepunkt erreichten.
Der Sekundenstil zeichnete sich z. B. dadurch aus,
dass tatsächlich Sekunde für Sekunde Dialoge mit
allen Dialekten, Gedankenpausen und Wortfetzen,
daneben Zeit und Raum geschildert wurden, die
Realität dem Leser glasklar vor Augen geführt wurde.
Im Grunde war der Naturalismus durch die
Industrialisierung und den Wachstum der Großstädte
geprägt, alles wurde technischer, so auch der
Schreibstil, häufig einhergehend mit einer enormen
Langeweile, die gerade in der Moderne nicht mehr
jedermanns Sache ist. Dennoch verkörperten diese
Werke ein aufrichtig authentisches und damit
historisch wichtiges Bild ihrer Zeit.
Daneben schwappte aus Frankreich die Welle des Fin
de Siècles herüber. Neuromantik, Symbolismus,
Impressionismus und Jugendstil erreichten ganz
Europa. Die Décadence hielt Einzug und spiegelte
Niedergang und Neubeginn als Literatur der
Lebensmüdigkeit und des dem gegenüberstehenden
Lebenshunger wider. Das „Ich“, die Subjektivität und
Individualität des Erzählens löste die
naturalistische Objektivität ab. Während Nietzsche
das Zeitliche segnete, war seine Wirkung beachtlich.
Sein „Gott ist tot“ und die Stärke des Menschen
waren Richtlinien, nicht immer richtig verstanden.
Ebenso Max Stirners Schrift „Der Einzelne und sein
Eigentum“.
Eines der wichtigsten Werke, das 1900 als Druck
erschien, war Sigmund Freuds Studie der
Traumdeutung, die ebenfalls großen Einfluss auf die
damalige Zeit wie auch die darauf folgenden
Jahrzehnte hatte. In seiner Studie beschäftigte sich
Freud mit der Entschlüsselung von Träumen.
Er warf die These auf, dass der Traum und die darin
erlebten Handlungen und Bilder Symbole seien, die
sich deuten ließen. Die Bilder wären demnach nicht
prophetisch oder alleine eine Verarbeitung der
Tageserlebnisse, sondern würden auf die Kindheit und
die darin erfahrenen Bedingungen zurückführen, damit
einfach eine intime Botschaft sein. Durch
Selbsterkenntnis würde demnach eine Entschlüsselung
möglich sein, um eine Diagnose stellen zu können und
eine geeignete Therapie zu finden. Bis heute gilt
Freuds Analyse, wenn sie auch maßgeblich für die
Tiefenpsychologie war, als umstritten, insbesondere
in der Hirnforschung. Auch Freuds Reduzierung auf
die rein sexuelle Bedürfnisbefriedung und Steuerung
durch die Libido konnten ihre Festigkeit über die
Zeit nicht behaupten. 1900 jedoch sorgte die
Veröffentlichung der Traumdeutung für großes
Aufsehen und veränderte damit auch die Literatur.
Joseph Conrad schrieb sein beeindruckendes Werk
„Lord Jim“ zu Ende und, wohl eine der wichtigsten
Veröffentlichungen jenes Jahres, blieb L. Frank
Baum’s „Der Zauberer von Oz“, eines der
Kinderbücher, das großen Einfluss auf die
amerikanische Kultur hatte. Der erste Druck wurde
mit Illustrationen von William Wallace Denslow
veröffentlicht.
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