Geschichte der Gewerkschaften
Die Gewerkschaften als Zusammenschlüsse von
Arbeitern, Angestellten und Beamten mit dem Ziel,
gemeinsam die Interessen der Arbeitnehmer gegenüber
den Arbeitgebern zu vertreten, haben ihre Ursprung
im engen Zusammenhang mit der Industriellen
Revolution. Es gibt aber auch vorindustrielle
Zusammenschlüsse von abhängig Beschäftigten, wie z.
B. Gesellenvereine oder Handwerkerbruderschaften, an
deren Organisationsstrukturen und
Solidaritätstraditionen die im 19. Jahrhundert
entstehenden Gewerkschaften in gewisser Weise
anknüpften.
Die ersten gewerkschaftsähnlichen Organisationen
entstanden Ende des
18. Jahrhunderts in England.
Dort waren die industrielle Entwicklung und die
damit verbundenen sozialen
Veränderungen in der Arbeitswelt am weitesten
fortgeschritten. 1824 führten radikale Proteste von
Arbeitern („Maschinenstürmerei“) zur Aufhebung des
bis dahin geltenden Koalitionsverbots. In Folge
erlebte die britische Arbeiter- und
Gewerkschaftsbewegung einen bedeutenden Zulauf. 1872
erhielten die „Trade Unions“ genannten britischen
Gewerkschaften ihre endgültige staatliche
Anerkennung.
In den Ländern des Deutschen Bundes, wo die
industrielle Revolution im Vergleich zu
Großbritannien verzögert Wirkung zeigte, begann die
Gewerkschaftsbildung erst in der Biedermeierzeit über
den Umweg der Gründung von Selbsthilfevereinen durch
vom System der Handwerkerbünde nicht erfasster Heim-
und Fabrikarbeiter. Diese frühen Gewerkschaften
traten insbesondere in der Revolutionsjahren 1848/49
auch mit politischen Forderungen und Streikaktionen
an die Öffentlichkeit. Sie spielten dann aber
aufgrund massiver Repressionen durch die mit der
Arbeitergeberseite verbündete Staatsmacht bis in die
1860er Jahre kaum eine Rolle.
Erst im Verbund mit der Gründung der 1875 durch
Vereinigung des Allgemeinen Deutschen
Arbeitervereins von 1863 (Ferdinand Lassalle) und
der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei von 1869
(Wilhelm Liebknecht, August Bebel) zur SPD gewann
die Gewerkschaftsbewegung an Bedeutung. Dabei
spielte auch der sich im Zuge massiv verstärkter
Industrialisierung verschärfende Klassenkonflikt
eine wichtige Rolle. Nach der Aufhebung des
Sozialistengesetzes
1890 schlossen sich die der SPD
nahestehenden Freien Gewerkschaften
1892 zur
Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands
zusammen. Dieser von Carl Legien geführte
Gewerkschaftsverbund löste sich 1906 aus der
Abhängigkeit der SPD („Mannheimer Abkommen“) und
vertrat seitdem eine unabhängige, vor allem auf die
Verbesserung der Lebensverhältnisse ausgerichtete
Politik. Im Gegensatz zur SPD wurde dabei das
herrschende Lohnsystem nicht grundsätzlich in Frage
gestellt. 1913 hatten die Freien Gewerkschaften etwa
2,5 Millionen Mitglieder. Daneben konnten sich
weitere, kleinere gewerkschaftliche Verbände
etablieren. Dazu zählten insbesondere die dem
katholischen Zentrum nahestehenden Christlichen
Gewerkschaften (350.000 Mitglieder) und die
liberalen Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine (150.000
Mitglieder).
Im
Ersten Weltkrieg übten die deutschen
Gewerkschaften im Rahmen des „Burgfriedens“
weitgehend Zurückhaltung bei ihren Forderungen. Den
großen Streiks vieler Rüstungsarbeiter zu Ende des
Kriegs stand die Gewerkschaftsführung zum größten
Teil ablehnend gegenüber.
Nach 1918 gelang es den jetzt im ADGB (Allgemeiner
Deutscher Gewerkschaftsbund) organisierten
Gewerkschaften eine Reihe von sozialpolitischen
Forderungen (Achtstunden-Tag, Anerkennung von
Tarifverträgen) durchzusetzen. 1920 - damals zählten
die Gewerkschaften acht Millionen Mitglieder –
scheiterte der rechtsradikale Kapp-Putsch vor allem
am geschlossenen Widerstand der Gewerkschaftler.
Der Einfluss der Gewerkschaften nahm aber im Zug der
Weltwirtschaftskrise in Deutschland und anderen
Staaten erheblich ab. Dort, wo sich Diktaturen
etablieren konnten, wie in Deutschland, Italien oder
Spanien, wurden die Gewerkschaften in systemkonforme
Organisationen integriert. Im Deutschen Reich zum
Beispiel erfolgte diese Gleichschaltung durch die
Auflösung der Gewerkschaften im Mai 1933 und der
Übertragung deren Vermögenswerte in die Arbeitgeber
und Arbeitnehmer zwangsvereinende NS-Organisation
Deutsche Arbeitsfront (DAF). Viele Gewerkschaftler
gingen in den Untergrund und nahmen aktiv am
Widerstand teil.
Nach dem
Zweiten Weltkrieg entstanden die
Gewerkschaften im von den Alliierten besetzten
Deutschland neu. In den Westzonen beziehungsweise
der Bundesrepublik etablierte sich
1949 der Deutsche
Gewerkschaftsbund (DGB) mit zunächst 16 große
Autonomie besitzenden Einzelgewerkschaften wie der
IG (Industriegewerkschaft) Metall oder der IG
Chemie.
Dabei ging es den Gewerkschaften nicht nur um die in
anderen Ländern als Deutschland wesentlich häufiger
mit Mitteln des Arbeitskampfes begleitete
Durchsetzung von Lohnforderungen. Vielmehr
verstanden sich die DGB-Gewerkschaften nach einer
Phase der kritischen Distanz zur durch das Stichwort
„Soziale Marktwirtschaft“ vorgegebenen
Sozialpartnerschaft der Tarifparteien auch als
Förderer des sozialmarktwirtschaftlichen Prinzips.
In diesem Zusammenhang gehörte auch das Interesse
der Gewerkschaften über Mitwirkung in
Selbstverwaltungsgremien insbesondere der
Sozialversicherungsträger auf die Sozialpolitik des
Landes Einfluss nehmen zu können. Auch wurde die
Wichtigkeit der Besetzung von Aufsichtsratssitzen in
Großkonzernen durch Gewerkschaftler als zentral
wichtig erkannt.
Neben den DGB-Gewerkschaften, die
1991 mit über elf
Millionen Mitgliedern (2015: 6 Millionen in acht
Gewerkschaften) ihren höchsten Organisationsgrad
erreichten, spielten andere Gewerkschaften meist nur
eine nachgeordnete Rolle. Noch am wichtigsten war in
dieser Hinsicht die Deutsche
Angestelltengewerkschaft (DAG, 1995: 0,5 Millionen
Mitglieder), die 2001 in der neuen großen
DGB-Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aufgegangen
ist. Daneben gelang es auch der 2010 1,25 Mitglieder
zählenden Beamtengewerkschaft Deutscher Beamtenbund
(DBB, gegründet 1919, neugegründet 1949) sich
dauerhaft durch in der Öffentlichkeit nicht selten
als Partikularinteressenvertretung wahrgenommene
Politik als wichtiger Faktor zu etablieren.
Wie auch viele Gewerkschaften in anderen Ländern
verloren die DGB-Gewerkschaften seit Mitte der
1990er Jahren nicht unerheblich an Einfluss. Die
Gründung von Kleingewerkschaften in zentralen
Bereichen wie Klinikpersonal, Lokführer oder
Fluglotsen, eine Umstrukturierung der Arbeitswelt
zuungunsten klassischer Industriearbeitsplätze sowie
massiver Mitgliederschwund
wurden zu wesentlichen Gründen für den
Bedeutungsverlust der DGB-Gewerkschaften. War in den
1960er etwa ein Drittel der Arbeitnehmerschaft
gewerkschaftlich organisiert, waren es um 2015
schätzungsweise weniger als 20 %.
In der sowjetisch besetzten Zone, beziehungsweise
der DDR, wurden die Gewerkschaften wie im gesamten
Ostblock nach einem völlig anderen Prinzip
organisiert. Die
1990 aufgelöste
DDR-Einheitsgewerkschaft FDGB (Freier Deutscher
Gewerkschaftsbund) verstand sich als
„Transmissionsriemen der Partei“ und organisierte
die Umsetzung der Beschlüsse der SED im
Arbeitnehmerbereich. Daneben spielte der FDGB aber
auch eine große Rolle beim Transfer von staatlichen
Sozialleistungen an die Arbeitnehmerschaft.
Im Gegensatz zum FDGB und anderen
Ostblock-Gewerkschaften ging die polnische
Gewerkschaft Solidarność (
1980 gegründet) als
Beispiel für eine auch unter totalitären
Verhältnissen mögliche freie Gewerkschaftsbewegung
in die Geschichte ein. Die 1980 auch staatlich
anerkannte Solidarność (Vorsitzender Lech Walesa)
wurde zwar 1982 wieder verboten, konnte aber aus dem
Untergrund heraus tatkräftig am Wandel der
politischen Verhältnisse in Polen bis zur erneuten
Zulassung und bis zu freien Wahlen 1989 wirken.
Begründeten die frühen europäischen Gewerkschaften
im engen Zusammenhang mit den sozialistisch
geprägten Arbeiterbewegungen eine, später oft
abgeschwächte, klassenkämpferische Tradition, so war
die Grundausrichtung der ersten, nach dem
Bürgerkrieg entstehenden US-Gewerkschaften eine
andere. Hier stand der Aufbau von Lohnkartellen der
Mitglieder zur Abgrenzung zu Nichtmitgliedern im
Vordergrund. Aber auch soziale Forderungen wie der
Achtstundentag wurden früh gestellt. 1886 wurde die
gewerkschaftliche Schlagkraft durch die Gründung des
Dachverbandes AFL (American Federation of Labour)
erhöht. Nach Abspaltung der CIO (Congress of
Industrial Organizations) 1938 und Wiedervereinigung
1955 zur AFL-CIO waren etwa 35 % der US-Arbeiter
gewerkschaftlich organisiert. 50 Jahre später waren
es weniger als 10 %. Dementsprechend gering ist der
gewerkschaftliche Einfluss in den USA geworden.