Ilse Aichinger Lebenslauf
Im Jahre 1947 gründete sich die Gruppe 47, benannt nach
dem Jahr der Zusammenschließung, eine Vereinigung von
Schriftstellern, die nach der Stunde Null nach
Fundamenten für den Neubeginn der deutschsprachigen
Literatur suchten. Es handelte sich um ein loses
Kollektiv ohne Vereinsstatuten, die Abläufe der
Versammlungen der Gruppe forderten oftmals harsche
Kritik heraus: Bei öffentlichen Lesungen mussten die
jeweiligen Autoren das oftmals strenge Urteil der
Kollegen über sich ergehen
lassen, ohne sich dazu äußern
zu dürfen. Nichtsdestoweniger galt die Gruppe 47 als
eine Institution, die in Bereichen der Kultur und
Literatur meinungsbildend war. Deswegen galt auch der
bei diesen Lesungen, die anfangs zweimal, zu späteren
Zeiten einmal jährlich stattfanden, verliehene Preis als
wichtige Empfehlung bei Medien und Verlagen, trotzdem er
finanziell nicht von Bedeutung war.
Im Frühjahr 1952 erhielt diesen Preis die am
1. November 1921 in Wien geborene und dort
heute noch lebende österreichische Schriftstellerin Ilse
Aichinger für ihre "Spiegelgeschichte", die den
rückwärtigen Ablauf eines Menschenlebens schildert.
Aichinger zählt zu den großen weiblichen
Repräsentantinnen der Literatur der Nachkriegszeit, ihr
schriftstellerisches Werk wurde mit zahlreichen Preisen
ausgezeichnet. Die Autorin widmet sich in ihren
Erzählungen existentiellen Grundbedingungen und Fragen
des Menschen, sie setzt sich mit Fragen der Toleranz und
Verantwortung auseinander.
Bei einem Blick auf ihre Lebensgeschichte vermag dies
nicht weiter zu verwundern. Geboren als Kind einer
jüdischen Mutter, die von ihrem Mann im Zuge des
aufkommenden Antisemitismus und der Rassengesetze aus
Angst vor Restriktionen verlassen wurde, war Ilse
Aichinger bereits in ihren frühen Lebensjahren mit
Intoleranz konfrontiert. Nach dem Anschluss
Österreichs
an nationalsozialistische Deutschland plante die Familie
die Flucht nach
England, dies gelang jedoch nur Aichingers
Zwillingsschwester Helga. Ilse hingegen verblieb in
Österreich bei ihrer Mutter und konnte diese so vor
Verfolgung schützen, da sie als Erziehungsberechtigte
einer noch nicht volljährigen und somit unmündigen "Halbarierin"
nicht belangt werden konnte. Nach Erlangen der
Volljährigkeit jedoch schwebte vor allem die Mutter in
Lebensgefahr und wurde von Ilse Aichinger versteckt. Die
junge Frau lebte isoliert und abgeschieden, ein
Studienplatz wurde ihr aufgrund ihrer halbjüdischen
Abstammung verweigert, durch die untergetauchte Mutter
lebte sie in ständiger Angst vor Entdeckung und
Deportation.
Aichinger und ihre Mutter überstanden den Krieg jedoch
unbeschadet, nach dem Krieg konnte ein Studium der
Medizin begonnen werden. Dieses brach die
Schriftstellerin jedoch ab, um ihren ersten und einzigen
Roman, "Die größere Hoffnung" zu schreiben.
1951
erfolgte die Einladung der
Gruppe 47, bei der sie ihren
späteren Mann, den bedeutenden Lyriker und ersten
Preisträger der Gruppe, Günter Eich kennenlernte.
Das spätere literarische Schaffen Aichingers war geprägt
von Pausen, Unterbrechungen und immer unregelmäßigeren
Veröffentlichungen, nach dem Unfalltod ihres Sohnes
1998 zog
sich die Österreicherin mehr und mehr in Privatleben
zurück.