Cathy wird schwanger
Die erste eigene Wohnung bezog Lemmy mit
Ming. Namenlose Typen gingen ein und
aus, schliefen bei ihnen und bevölkerten
die Wohnung, bis sie fast überquoll. Die
Situation wurde aber nicht nur dadurch
schwieriger, sondern vor allem durch die
Tatsache, dass Lemmys Freundin Cathy
schwanger wurde. Es wurde ein Junge,
Seal. Cathy war fünfzehn und Lemmys
erste Liebe. Die Väter der Jung-Eltern
regelten das „Missgeschick“ auf ihre
Weise. Der Junge wurde zur Adoption
freigegeben. Schließlich verlor Lemmy
die Freundin aus den Augen.
Die Wohnung war auch nicht mehr zu
halten. Immerhin lebten, schliefen und
soffen inzwischen sechsunddreißig
Menschen darin. Der Vermieter hatte kein
Einsehen und so landete der ganze Trupp
auf der Straße. Damit endete auch die
Zweisamkeit mit Ming. Der ging nach
Wales und tauchte in ein bürgerliches
Leben ein.
Lemmy schloss sich einer anderen
Bewegung an, die auf dem Land zu jener
Zeit Mode war – das Herumtreiben.
Äußerlich erkennbar waren diese
Jugendlichen an ihren US-Armeejacken,
die mit den Autogrammen der anderen
Bewegungs-Teilnehmer verziert wurden.
Die jungen Leute zogen durchs Land,
nächtigten dort, wo sich eine
Gelegenheit fand. Das waren nicht selten
herrenlose Bahnwagen oder ein Platz
unter freiem Himmel. Man war miteinander
„unterwegs“, so eine Art Durchreisende
und für diese abenteuerbereiten Typen
hatten Mädchen immer ein
romantisch-offenes Herz oder einen Platz
unterm Rock. Außerdem sorgten sie dafür,
dass die „Reisenden“ etwas zu essen
bekamen. Die Herumtreiber fanden das
abenteuerlich und die Zeiten zu Beginn
der sechziger Jahre waren wie für so ein
In-den-Tag-Leben gemacht. Zum
Umherziehen waren natürlich keine langen
Fußmärsche angesagt, schließlich waren
sie kein Wanderverein. Trampen hieß das
Zauberwort. Das konnte allerdings auch
schiefgehen, wenn ein Truckfahrer
beispielsweise zu viel Gefallen an einem
der Jungs fand. Es gab mitunter auch
eine Tracht Prügel. Wofür genau, hätte
keiner zu sagen vermocht.
In Sachen Musik schwappte damals der
Merseybeat in die jungen Ohren der
Land-auf-Land-ab-Reisenden. Durch
Manchester und Liverpool zog sich ein
Fluss namens Mersey, der dieser Musik
seinen Namen gab. Es gab unzählige
Bands, die alle ein Repertoire von etwa
zwanzig Songs spielten. Jede Band
versuchte, irgendwie Individualität
hineinzubringen und sei es durch ein
besonderes Bühnen-Outfit. Aber
letztendlich waren es doch Coverbands.
Eigene Titel? Fehlanzeige.
Egal, in dieser Welt fühlte sich Lemmy
zuhause. Dort wollte er sich seinen
Platz suchen, er konnte schließlich
nicht ewig durch Nordwales ziehen. Und
nachdem er Little Richards „Lucille“ und
„Good Golly, Miss Molly“ gehört hatte,
wusste er, dass er Gitarrist werden
musste. Little Richard war nach Buddy
Holly der Zweite, der ihn derart
beeindruckt hatte. Es war nicht nur die
Musik von Little Richard, auch dessen
Ungehorsam machte ihn für Lemmy
liebenswert.
Die Entscheidung, Gitarrist zu werden,
bedeutete für ihn nicht, bei irgendwem
Unterricht zu nehmen. Zu dem, was er im
Blut hatte, kam viel harte Arbeit, durch
die er sich das Gitarrespielen selbst
beibrachte. Genaugenommen verspürte er
keinen künstlerischen Anspruch im
intellektuellen Sinn. Es musste Musik
sein, die den Leuten einen Schauer über
den Rücken jagt, bei der sie ihren
beschissenen Alltag hinter sich lassen
und abrocken konnten, Musik eben, wie
sie ihn selbst erschauern ließ. Außerdem
hatte er stets im Hinterkopf, dass ein
Gitarrist den Mädchen imponierte. Das
Angepasstsein war von jeher nicht seine
Art. Eine anarchistische Denk- und
Lebensweise begann sich schon damals
einen festen Platz in seinem Wesen zu
suchen.
Lemmy
zäumte seine Musikerlaubahn von hinten
auf >>>
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