Lemmy war gerade einmal zwei Wochen
zurück in London, da stellte er sich
seine eigene Band zusammen. Und er
rächte sich auf seine Weise bei Hawkwind
für den Rausschmiss. Aus deren Lagerraum
stahl er sich sein Equipment. Als er
alles im Auto verladen hatte, wurde er
von Alan Powell erwischt. Der konnte
nichts mehr tun, nur Lemmy
hinterherschauen. Der saß auf dem
Beifahrersitz im Auto seines künftigen
Schlagzeugers Lucas Fox und fuhr seinem
neuen musikalischen Leben entgegen.
Lachend. Schließlich hatte er sich an
Powell auch durch die Affäre mit dessen
Frau gerächt. Ob der das damals wusste?
Lemmys eigene Band sollte drei
Vorbildern gerecht werden. Das waren die
MC5 aus Detroit, die mit ihrer rohen
Rockmusik genau das propagierten, was
Lemmy lebte: Freiheit in Rock'n'roll,
Drogen und Sex. Das war zudem Little
Richard, der schon in den 1950er Jahren
erfolgreich war und ein grandioses
Comeback in den Sechzigern mit seiner
Weiterentwicklung von Soul und Funk
feierte. Das dritte Vorbild war Hawkwind.
Schließlich war Lemmy nicht aus
musikalischen Gründen und schon gar
nicht freiwillig ausgeschieden,
wenngleich er der Band den Niedergang
prophezeit hatte. Zwei Schlagzeuger in
einer Band, das konnte auf Dauer nicht
gutgehen.
Lemmy, der seine eigene Band
ursprünglich Bastards nennen wollte,
weil das seiner Meinung nach den Nagel
auf den Kopf traf und außerdem seinem
Gefühlsleben zu jener Zeit entsprach,
gab ihr schließlich den Namen Motörhead.
So hieß sein letzter Titel, den er für
Hawkwind geschrieben hatte. Und der
passte mit seinem amerikanischen Slang
für einen Speedfreak wie Faust aufs
Gretchen.
Hier muss Lemmy selbst zu Wort kommen:
„Okay, ich hab ‘ne neue Band. Motörhead.
Darf ich vorstellen? Lucas Fox am
Schlagzeug. Dann haben wir hier Larry
Wallis, ehemals bei den Pink Fairies.
Ich suche immer noch nach einem zweiten
Gitarristen. Irgendein heißer Typ. Das
wird eine…äh…eine fantastische Band.“
Er behielt Recht.
Dass Motörhead nach vierzig Jahren noch
die Hallen füllte, konnte er allerdings
nicht wissen.
Eigentlich wollte Lemmy in seiner Band
nicht mehr singen. Doch es fand sich
kein geeigneter Sänger. Er musste den
Part notgedrungen selbst übernehmen.
So wurde er mit seiner rauchigen und von
Whiskey durchtränkten Stimme zu einem
Markenzeichen der Band.
Er wurde die Band.
Ein anderer Sänger ist gar nicht
vorstellbar.
Lemmy ist Motörhead.
In den britischen Musikzeitschriften
hatte sein Ende bei Hawkwind für viel
Aufsehen gesorgt. Die Neugier war groß
auf das, was Lemmy nun vorhatte. Er
klaute sich Zeilen von Dr. Hook, einer
Pop- und Country-Rock-Band aus Union
City im US-Bundesstaat New Jersey und
erklärte dem „Sounds“ gegenüber: „Es
wird die dreckigste Rock’n’Roll-Band der
Welt sein. Wenn wir nebenan einziehen
würden, würde dein Rasen eingehen!“
Vielversprechend.
Lemmy hatte Hawkwind im Mai verlassen
und kam wie Phoenix aus der Asche schon
am 20. Juli 1975 mit Motörhead wieder
zum Vorschein. Und zwar im Roundhouse.
Sie traten als Vorband für Greenslade
auf, einer englischen
Progressive-Rockband, die schon drei
Alben auf den Markt gebracht hatte,
deren Erfolg aber nur mäßig war.
Lemmys Verstärker, die in
psychodelischen Farben angemalt waren,
hatte er mattschwarz angestrichen und
als Intro-Tape – das hatten damals alle
Bands, die etwas auf sich hielten –
brachte er sein Hobby auf die Bühne, die
Geschichte des Zweiten Weltkriegs: Ein
dröhnender Sound, der kalt, kraftvoll
und angsteinflößend zugleich war,
Stechschritt auf deutschem
Kopfsteinpflaster. Dieselbe Aufnahme mit
ihren „Sieg Heil“-Rufen wurde auch das
Outro am Ende der Show.