Der Vietnamkrieg
Es erscheint zunächst schwer
verständlich, wie ein relativ kleines, der
Mentalität seiner Bevölkerung nach eher freundliches
südostasiatisches Land, dessen Zeit als bedeutende
Wirtschaftsmacht schon mehrere Jahrhunderte
zurückliegt, den Mittelpunkt eines der grausamsten
Konflikte der zweiten Hälfte des zwanzigsten
Jahrhunderts bilden konnte. Die Gründe hierfür sind
hauptsächlich im Kalten Krieg zu suchen. Noch in den
Jahren vor 1945 waren die von Ho Chi Minh geführten
vietnamesischen Rebellen faktisch mit den USA im
Kampf gegen das Japanische Kaiserreich verbündet.
Schon damals hatten die Kommunisten in der Liga für
die Unabhängigkeit Vietnams (Viet Minh) die
Vorherrschaft gewonnen. Man hatte sich aber nicht
nur der Japaner, sondern auch der französischen
Kolonialmacht zu erwehren.
Als die Viet Minh im
August 1945 den unabhängigen Staat Vietnam
ausriefen, sorgte dies in Washington für Unbehagen.
Nach dem Sieg über das Deutsche Reich hatte
inzwischen die Eindämmung des Kommunismus oberste
Priorität.
Und so unterstützten die USA nun die Bemühungen
Frankreichs um den Erhalt der Kolonialherrschaft.
Doch
1954 musste Paris sich geschlagen geben.
Während der Norden Vietnams von Hanoi aus
kommunistisch regiert wurde, etablierte sich im
Süden in Saigon unter dem Schutz der USA ein
autoritäres, strikt antikommunistisches Regime. Die
Repressionsmaßnahmen beider Regierungen führten
jeweils zum Tod tausender Menschen.
Der Umstand, dass der südvietnamesische Präsident
völlig an den Bedürfnissen der Landbevölkerung
vorbeiregierte, trieb diese immer mehr den
Kommunisten in die Arme. 1960 formierte sich die vom
Norden unterstützte Nationale Befreiungsfront FNL,
worauf die US-Militärhilfe stark aufgestockt wurde.
Während Präsident John F. Kennedy mehr aus Gründen
der politischen Glaubwürdigkeit an seiner
unnachgiebigen Konfrontationshaltung gegenüber Hanoi
festhielt, akzeptierte sein Nachfolger
Lyndon B.
Johnson von vornherein keine Alternative zu dieser
Politik und sprach sich für eine militärische
Intervention aus.
Den erwünschten Anlass für eine Resolution, die
Präsident Johnson in dieser Frage freie Hand gab,
lieferte
1964 eine kleine Rangelei zwischen dem
US-Kriegsschiff Maddox und drei nordvietnamesischen
Schnellbooten im Golf von Tonkin, die von Seiten des
US-Militärs zu einem unprovozierten Angriff durch
letztgenannte umgedeutet wurde. Im selben Jahr gaben
Moskau - wo der auf Ausgleich bedachte Chruschtschow
gerade dem Hardliner Breschnew hatte weichen müssen
- und Peking ihre bisher abwartende Haltung auf und
begannen, die FLN zu unterstützen. Als diese Anfang
1965 erstmals Angriffe auf US-Militärbasen wagte,
antwortete Washington mit der drei Jahre währenden
Operation "Rolling Thunder", die durch
Flächenbombardements den Ho-Chi-Minh-Pfad, das Wege-
und Versorgungsnetz der sogenannten "Viet Cong"
(eine abwertend gemeinte Verballhornung der
Eigenbezeichnung vietnamesischer Kommunisten),
unbrauchbar machen sollte.
Die Operation forderte
hunderttausende Menschenleben, schadete der FLN
unter militärischen Gesichtspunkten jedoch kaum.
Es begann ein zermürbender Krieg zwischen ungleich
agierenden Gegnern. Zwar verfügten die Arsenale der
USA (und des bereits in schleichender Auflösung
befindlichen Regimes in Saigon) über weitaus
massivere Feuer- und Sprengkraft. Für mehrere Jahre
detonierten im Mekong-Delta durchschnittlich etwa
200 Kilogramm TNT pro Sekunde. Doch die FLN verstand
es, durch hilfreichen Beistand wie auch durch
brutale Einschüchterung ihren Rückhalt in der
Bevölkerung zu sichern. Mao Zedong hatte den
FLN-Kämpfern geraten, sich zu verhalten wie Fische
im Meer. General McNamara soll, als er davon erfuhr,
gesagt haben: "Dann müssen wir das Meer eben
trockenlegen." Dementsprechend nutzte die FLN jede
Tarnung (im Dschungel wie auch inmitten der
Landbevölkerung), die sich ihr bot, während die
Streitkräfte der USA und Südvietnams genau diese
Tarnungsmöglichkeiten weitgehend zu zerstören
trachteten. Im Rahmen des Phoenix-Programms wurden
unzählige Verhöre und Verhaftungen vorgenommen,
welche FNL-Aktivisten aus dem Verkehr ziehen
sollten, aber wegen ihrer oft maßlosen
Gewaltanwendung und willkürlichen Durchführung ihr
Ziel völlig verfehlten. Traurige Berühmtheit
erlangte das Dorf My Lai, dessen Einwohner im
März
1968 ohne jede Ausnahme von US-Soldaten erschossen
wurden, weil man dort einen FLN-Stützpunkt
vermutete. Aus nervenaufreibenden militärischen
Operationen im Dschungel konnten die US-Truppen
zumeist nur wenig Nutzen ziehen. Großflächig
gestreute Entlaubungsmittel wie Agent Orange sollten
eine Überwachung des Dschungels aus der Luft
ermöglichen, trafen jedoch vor allem die
Zivilbevölkerung, die schwere langanhaltende
Gesundheitsschäden davontrug.
Einen symbolträchtigen Wendepunkt bedeutete die am
30. Januar 1968 begonnene Tet-Offensive, in deren
Zuge die FLN kurzzeitig große Teile des Südens unter
ihre Kontrolle brachte. Da ihre barbarischen
Strafaktionen, denen neben echten und vermeintlichen
Feinden selbst Kinder zum Opfer fielen, erst später
bekannt wurden, konnte die Bewegung sich auch nach
ihrer vorläufigen Niederlage im
September 1968 einer
breiten internationalen Solidarität sicher sein.
Während die FLN sich psychologisch und moralisch
gestärkt fühlte, begannen die USA unter dem
wachsenden Druck der weltweiten Protestbewegung,
sich schrittweise aus dem Krieg zurückzuziehen -
auch, um China nicht zum Eingreifen zu provozieren.
Der Konflikt wurde "revietnamisiert". Die Truppen
Saigons sollten
1969 im Lande die Hauptarbeit übernehmen,
während US-Bomber in Kambodscha ihre Last abwarfen,
um der FLN eine wesentliche Ausweichmöglichkeit zu
nehmen. Deren Oster-Offensive zeigte 1972, dass die
südvietnamesische Armee ihrer Aufgabe nicht
gewachsen war. Noch massivere Bombardierungen des
Nordens durch US-Truppen glichen das
Kräfteverhältnis vorläufig aus. Parallel dazu wurden
Friedensverhandlungen geführt, die den
US-Streitkräften einen Gesichtsverlust durch ihren
Rückzug ersparen sollten. Im Januar 1973 wurde der
Friedensvertrag unterzeichnet, und im März verließen
die letzten US-Soldaten den Vietnam.
Es dauerte noch zwei Jahre, bis Saigon fiel. In der
Folgezeit verschwanden hunderttausende
Südvietnamesen in Umerziehungslagern, viele
Angehörige der vormaligen Führungsschicht wurden zu
Tode gefoltert. Über eine Million Menschen fielen
den Straf- und Erziehungsmaßnahmen der neuen
Regierung zum Opfer.
Angesichts des Sieges der Nordvietnamesen verwundert
es nicht, dass ihre Kriegsverbrechen bislang kaum
aufgearbeitet wurden. So kann auch darüber, wieviele
Kriegsopfer von welcher Seite zu verantworten waren,
nur spekuliert werden. Gesichert ist lediglich, dass
während des Vietnamkrieges ungefähr 58.000
US-Soldaten und etwa zwei bis drei Millionen
Vietnamesen ihr Leben verloren.