Geschichte der
Psychiatrie - früher und heute
In seinem Werk „Wahnsinn und Gesellschaft“ hat Michel
Foucault (1926-1984) sehr anschaulich und ausführlich
darüber geschrieben, wie die Psychiatrie sich mit der
Zeit herausbildete, was alles als geistig ungesund
betrachtet und wie dagegen angegangen wurde. Heute
gehört die Psychiatrie und Psychoanalyse zum Alltag,
doch es gab auch frühere Zeiten, in der geistig kranke Menschen
wie Straftäter vor der Gesellschaft weggesperrt oder wie
außergewöhnliche Schauobjekte einem Publikum vorgeführt
wurden. Der Wahnsinn selbst durchlebte viele Phasen der
Anerkennung und Ablehnung, war sogar Trend, insofern er
als Abweichung vom Alltäglichen und Vorausgesetzten
angesehen wurde. Wahnsinn wurde mit Exzentrik
gleichgesetzt. Auch galt eine Erkrankung eine lange Zeit
als Bestrafung Gottes.
All das ist längst Geschichte, und diese Geschichte der
Psychiatrie reicht weit zurück, bis in die Zeiten der
Römer, in der erste Krankheitsbilder bereits ausgemacht
werden konnten, wie aus verschiedenen Briefen von z. B.
Cicero bekannt waren und die tatsächlich auch schon
behandelt wurden. So setzte man Massagen, Diäten,
Aderlässe oder Kopfwickel als Gegenmaßnahme an. Der
Verstand sollte wieder in Gang gebracht werden, indem
der Betroffene schwierige Texte lesen und verinnerlichen
sollte. Da in einem gesunden Körper ein gesunder Geist
zu herrschen hatte, wurde die Aktivität gefördert, Sport
betrieben, Theatergänge befohlen. Der Kranke konnte
damit versuchen, seiner eigenen inneren Welt zu
entkommen, was natürlich selten gelang. Diejenigen, bei
denen die Behandlung nicht anschlug, wurden isoliert und
in psychiatrische Krankenhäuser eingeliefert, die
bereits aus der Antike bekannt sind.
In der Zeit der Römer und auch danach, ging man gegen
geistige Erkrankungen hauptsächlich mit der Reinigung
der vier damals bekannten Körpersäfte vor. Das waren das
Blut, der Schleim, das Ausmachen einer gelben oder
schwarzen Galle. Mittels Gesprächen sollte
herausgefunden werden, was mit dem Kranken nicht
stimmte.
Im 12. Jahrhundert gab es die ersten isolierten
Anstalten für Geisteskranke, die zuvor, wie einfache
Verbrecher, mit diesen zusammengesperrt worden waren.
Jene Verwahrungshäuser entstanden überall auf der Welt,
wobei besonders unruhige oder aggressive Kranke sogar in
Holzkisten gesperrt oder angekettet wurden. Diese
Praktiken reichten bis ins
Mittelalter hinein, das gegen
diese Krankheitserscheinungen jedoch noch vehementer
vorging, da Geisteskrankheit als Teufelswerk angesehen
wurde und deshalb bekämpft werden musste. Insbesondere
die Inquisition jagte derartige Menschen, folterte sie
und stellte sie an den Pranger. Etliche Menschen mussten
zwischen dem 15. und 17. Jahrhundert ihr Leben lassen,
wurden auf Scheiterhaufen verbrannt. Teufelsbeschwörung,
Reliquien oder Dämonenaustreibung waren die Alternativen
und Heilmethoden.
Ab dem 17. Jahrhundert wurden wieder Spitäler
eingeführt. Bekannt waren das „Hôpital général“ in
Paris, eher ein Bettlergefängnis als ein tatsächliches
Hospital, so genannte Zuchthäuser in Deutschland oder
Arbeitshäuser in
England. Zu den Kranken wurden auch
Landstreicher, Gauner und Mörder gesperrt. Die Insassen
wurden dabei nicht nur aus der Gesellschaft entfernt,
damit sie niemanden belästigten, sondern mussten schwere
körperliche Arbeit verrichten, denen sie häufig nicht
gewachsen waren und ihnen deshalb zum Opfer fielen. Sie
wurden misshandelt und die Unterbringung war mehr als
fragwürdig, denn die Kranken verwahrlosten auf nassem
Stroh und Stein. Zu dieser Zeit wurde z. B. in Wien der
berüchtigte Narrenturm erbaut, um die geistig
Verwirrten einem Publikum vorzuführen.
Später wurde die Behandlung der Kranken allmählich
humaner. Im 18. Jahrhundert und Anfang des 19.
Jahrhunderts entwickelte sich durch Forschung und
medizinisches Interesse an den geistig Verwirrten
endlich die klinische Psychiatrie. Einer der besorgten
und engagierten Vorreiter war der angesehene Psychiater
Phillippe Pinel (1745-1826), der die Kranken in der
Anstalt „Bicêtre“ endlich von ihren schweren Ketten
befreite und sich gegen die Zwangsmaßnahmen aussprach,
die zu seiner Zeit in der Psychiatrie noch die Regel
waren, wie beispielsweise Schläge und Misshandlungen,
denen die Kranken tagtäglich ausgesetzt waren. Nach und
nach kam allgemeine Kritik über die Zustände in
Krankenanstalten auf, so dass dagegen vorgegangen werden
konnte. Psychisch Kranke galten nunmehr nicht mehr als
Verbrecher und Aussätzige, sondern tatsächlich als
Kranke.
Die Forschung konnte sich so endlich ernsthaft mit den
Krankheitsbildern auseinandersetzen, konnte mit den
Studien über Hysterie oder verschiedene Neurosen
beginnen, die hauptsächlich noch mit körperlichen
Ursachen verbunden wurden. Erst durch den Arzt Joseph
Breuer (1842-1925) und schließlich
Siegmund Freud
(1856-1939) konnte die Psychiatrie ganz neue Schritte
gehen und durchsetzen, so dass viele Nachfolger die
Forschung fortsetzten und es heute überhaupt möglich
ist, gegen geistige Erkrankungen vorzugehen und an einer
Heilung zu arbeiten.