Geschichte des Faschings
Vor beinahe fünftausend Jahren,
als der Mensch gerade erst begonnen hatte, der
Nachwelt schriftliche Zeugnisse seines Tuns und
Lassens zu vererben, kannte man in Mesopotamien
schon den Brauch, einmal im Jahr die - noch nicht
sehr lange bestehenden - gesellschaftlichen
Schranken aufzuheben. Für wenige Tage galten alle
vom hohen Würdenträger bis zum Sklaven gleich viel,
auf dass sie unterschiedslos ausgelassen das noch
junge neue Jahr in Gestalt des Frühlings begrüßen
konnten.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Tradition von
anderen Kulturen übernommen. Auch die antiken
griechischen Dionysien und die altrömischen
Saturnalien hatten hierin ihren Ursprung. Bei
letzteren tauschten Herren und Sklaven sogar
vorübergehend die Rollen. Man gönnte sich ausgiebige
Ess- und Trinkgelage, veranstaltete Festumzüge und
ließ seinem Redebedürfnis - geschützt durch die
Narrenfreiheit jener Festtage - freien Lauf. Es wird
angenommen, dass auch Germanen und Kelten wilde
Rituale zur Vertreibung des Winters praktizierten.
Die Christianisierung Europas beendete das nun als
unsittlich empfundene Treiben. Doch im ausgehenden
Hochmittelalter keimte es vielerorts in neuer
Gestalt wieder auf. Zum Kirchenjahr gehörten nämlich
auch eine vierzigtägige Fastenzeit vor Weihnachten
und eine ebenso lange vor Ostern. Lebensmittel, die
den Gläubigen während der Fastenzeit verboten waren,
wären verdorben, hätte man nicht vorher die
Speisekammern "leergeräumt". Vermutlich entstand der
neue Name des Festes aus diesem "Abschied vom
Fleisch", im Mittellateinischen "carnelevale". Indem
man die Lehre des Kirchenvaters Augustinus beim Wort
nahm, wonach dem Staat Gottes ein Staat des Teufels
gegenübersteht, ließ man ab dem dreizehnten
Jahrhundert unter vielgestaltigen Ausschweifungen
die civitas diaboli symbolisch Gestalt annehmen,
damit diese dann mit Beginn der vorösterlichen
Fastenzeit vom Reich Gottes besiegt werden konnte.
Auf eine lehrsame Wirkung dieses Spiels hoffend,
duldete der Klerus oft sogar närrisches Treiben in
den Kirchen bis hin zum Abhalten von Eselsmessen und
der "Inthronisation" eines Pseudopapstes. Nur wer
noch nach Anbruch des Aschermittwoch in
karnevalistischer Ausgelassenheit angetroffen wurde,
musste für Leib und Leben fürchten. Wer der
Renaissance des Faschings im
Mittelalter huldigen
möchte, sollte sich zum nächsten Karneval in mittelalterliche Kostüme hüllen.
Damals begannen sich regionale Spielarten zu bilden,
in denen sich
neben unterschiedlicher
Termingestaltung - lediglich der Aschermittwoch
blieb verbindlicher Schlusspunkt - auch neue
Bezeichnungen etablierten. Von vorläufig
letztmaligem Alkoholgenuss kündet der Fastenschank,
also der Fasching. Die schwäbisch-alemannische
Fastnacht lässt sich wahrscheinlich auf den
indogermanischen Wortstamm "pwos" zurückführen, der
ebenfalls "fasten" bedeutete. Letzterer verschaffen
insbesondere die bizarr und archaisch anmutenden
Kostümierungen, die direkt an mittelalterliche
Bräuche anknüpfen, ihren unverwechselbaren
Charakter.
Eine interessante Ausprägung erfuhr der Karneval im
siebzehnten Jahrhundert in der Republik Venedig.
Dort beging man dieses Fest durchaus kultiviert.
Viele bedeutsame Musik- und Theaterwerke der
venezianischen Kultur wurden anlässlich des Karneval
verfasst. Allerdings dienten die seit Jahrhunderten
üblichen Masken oft lediglich dem Zweck, Männern auf
der Suche nach amourösen Abenteuern dort Zutritt zu
verschaffen, wo sie eigentlich nichts zu suchen
hatten - beispielsweise in
Nonnenklöstern. Überhaupt bot die Maskierung Deckung
für allerlei Konspiration, was der dortigen
Staatsinquisition ihre Arbeit durchaus erschweren
konnte. Von der Regierung erlassene Maskenverbote
blieben wirkungslos, bis man schließlich im
achtzehnten Jahrhundert aus der Not eine Tugend machte und das
fremdenverkehrsfördernde Potenzial der reizvollen
Tracht erkannte und nutzte. Ungefähr zur selben Zeit
hatten die Portugiesen den Karneval nach
Brasilien gebracht. Die einheimische
Bevölkerung passte ihn ihrem Geschmack an. Das
Ergebnis kann man regelmäßig in Rio de Janeiro
bestaunen. Im nördlicheren Europa hatte die
närrische Zeit - nicht zuletzt unter dem Einfluss
von Reformation und Gegenreformation - gemäßigtere
Formen angenommen und war teilweise in weltlich
motivierte Feierlichkeiten übergegangen. Am Karneval
beziehungsweise der Fastnacht hielten (mit wenigen
Ausnahmen wie der Stadt Basel) nur Landstriche
katholischer Konfession fest. Neben dem bunten
Treiben in den Straßen wurden in Deutschland seit
dem achtzehnten Jahrhundert, inspiriert durch das
Beispiel Venedigs, Maskenbälle veranstaltet, wobei
die "fünfte Jahreszeit" nach und nach zu einer
Domäne des Bürgertums wurde.
Als nach den Napoleonischen Kriegen weitläufige
katholisch geprägte Gebiete unter preußische
Herrschaft fielen, hielt dort ein gesteigertes
Ordnungsdenken Einzug, das auch vor dem Karneval
nicht Halt machte. In Köln etablierte sich ab 1823
ein - im wahrsten Sinne des Wortes - Paradebeispiel
für organisierte Fröhlichkeit, welches sich im Laufe
von über 180 Jahren nur in Details verändert hat.
Erst nach dem
Ersten Weltkrieg wurden alte
Fastnachtsbräuche, die nur noch in wenigen Gegenden
präsent waren, im großen Stil wiederbelebt. Seither
unterscheidet man je nach Region und Art des Feierns
zwischen Fastnacht und Karneval, wobei man in
einigen Regionen an der Bezeichnung "Fasching"
festhält.
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Während des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte der
Brauch deutschlandweit einen wahren Boom. Inzwischen
gibt es kaum noch einen Ort, an dem auf
Straßenumzüge oder Kostümfeste gänzlich verzichtet
wird. Es wurde sogar schon über ein Städtchen in
Bayern berichtet, dessen Hotels und Pensionen
zahlungswilligen Karnevalsflüchtlingen "Asyl"
gewähren.
Davon abgesehen, dass viele Völker (oft unabhängig
vom christlichen Kontext) ähnliche Traditionen
pflegen, werden Karneval und Fastnacht heute zumeist
im deutschsprachigen Raum begangen. Nennenswerte
Ausnahmen bilden beispielsweise Großereignisse in
Rio de Janeiro und Santa Cruz de Tenerife,
Maskenfeste in Venedig sowie der Mardi Gras in New
Orleans.
Faschingskostüme