Franz Liszt Leben

 Der Verleger hatte nichts dagegen und nicht selten überließ er seinem kleinen Gast das eine oder andere Stück unentgeltlich, wenigstens dann, wenn sein Partner, Pietro Cappi, nicht da war. Dieser stammte aus einer renommierten Verlegerfamilie und sah es gar nicht gern, wenn Diabelli Noten verschenkte. Doch dieser mochte den kleinen Franz Liszt, freute sich über dessen wissbegierige Art. Außerdem hatte der Junge schon einen gewissen Grad an Bekanntheit erreicht, so dass Diabelli befand, er tue gut daran, den Jungen ein wenig zu protegieren. Franzl dankte ihm die Güte, indem er manches Mal im Saal nebenan für Diabelli und seine Besucher etwas spielte. Während Franzl sich jetzt selbst überlassen war, ordnete Diabelli die Stücke, die er für das Konzert herausgesucht hatte. Er hatte Herrn Léon de St. Lubin gewinnen können. Dieser junge Mann lebte seit drei Jahren in Wien und war ein sehr gefragter Geiger. Seine Fähigkeiten waren derart hervorragend, dass er in kürzester Zeit große Anerkennung, besonders von Beethoven, erfahren hatte. Gerade besah sich Diabelli die Variationen von Pierre Rode. Der achtzehnjährige Lubin hatte sie bereits letzten November zur Neueröffnung des Josephstädter Theaters dargebracht. Diabelli war damals dabei gewesen und hatte die große Virtuosität des Jünglings sehr bewundert. Der war genau der Richtige, um in Franzls erstem Konzert mitzuwirken. Die Türglocke holte Diabelli aus seinen Gedanken. „Oh, Herr Hofkapellmeister, habe die Ehre!“, begrüßte Diabelli den Besucher. Der andere grüßte zurück und schaute dabei zu dem Jungen, der ihn aber gar nicht bemerkte. Diabelli amüsierte sich über den neugierigen Blick von Gyrowetz und rief: „Franzl, geh her, Franzl!“ Der Junge wandte sich um und erblickte den älteren Herrn, der bei Diabelli stand und der ihn, Franzl, durch seine Brille ansah, deren zwei Gläser an einem Stiel befestigt waren. So ein Lorgnon hat Franzl noch nie gesehen. Er ging ein wenig unbeholfen auf den Herrn zu. Es irritierte ihn auch, dass dieser einen Zopf trug und damit aussah, als wäre er aus dem letzten Jahrhundert übrig geblieben. Aber Franzl blieb keine Zeit zum Staunen, denn der Besucher kam ihm ein paar Schritte entgegen. „Du bist also der viel gerühmte Pianist, von dem die halbe, ach, was sage ich, die ganze Stadt spricht.“ Franz strahlte und erwiderte sehr höflich: „Dank’ schön, das ist sehr nett von Ihnen. Ich bin Franz Liszt und komme aus Ungarn.“ Gyrowetz versuchte ein Schmunzeln zu vermeiden, doch seine Augen, die noch eben sehr ernst ausgesehen hatten, spiegelten reine Freude wider. „So, so.“, sagte er. Da mischte sich Diabelli ins Gespräch. Mit einer repräsentierenden Geste zu Gyrowetz stellte er diesen vor. „Herr Gyrowetz, mit Verlaub, ist seit vielen Jahren der Kapellmeister der Hofoper.“ Franz machte eine artige Verbeugung und aus dem kindlichen Mund klang es anmutig, als er erwiderte: „Oh, es ist mir eine große Ehre, Eure Bekanntschaft zu machen.“ Jetzt lachte Gyrowetz gerade heraus. „Mir auch, lieber Liszt, mir auch.“ Und dann verwickelte er den Jungen in ein Gespräch über diverse Musikstücke, verschiedene Komponisten, erzählte zu Franzls großem Erstaunen von Mozart, den er noch gut gekannt hatte, erzählte von Haydn und erwähnte ganz nebenbei Goethe. Auf dem musikalischen Terrain konnte Franzl gut mithalten, denn davon verstand er wirklich viel. Zu Goethe schwieg er, denn der war ihm bis dato nur dem Namen nach bekannt. Dann brachte Gyrowetz das Gespräch auf Hummel und der Kapellmeister erwähnte die Schwierigkeiten von dessen h-Moll Konzert. Franz nahm die Noten, die ihm Diabelli reichte, schaute kurz und winkte ab. „Ach, das ist ja nicht schwer.“ „Na, na, junger Mann“, versuchte Gyrowetz den, wie es ihm schien, Übereifer des Knaben zu bremsen. „Was für eine kühne Rede!“, setzte er hinzu und Diabelli, der sich schon oft von Franzls ungewöhnlichem Prima-Vista-Spiel hatte überzeugen können, nickte dem Jungen aufmunternd zu. Er freute sich schelmisch auf Gyrowetz’ Verblüffung. Sie gingen nach nebenan, Franz Liszt setzte sich an das Instrument und spielte. Makellos. Fehlerfrei. Staunend und voller Begeisterung applaudierte der fachkundige Gast und versprach, das bevorstehende Konzert zu besuchen. Der lang ersehnte Tag war da. Als Franz die Bühne betrat und sich ans Klavier setzte, hatte er das Gefühl, kurzzeitig ein Tuscheln zu hören. Er wusste nicht, ob es aus dem Orchester zu ihm drang oder ob es die Zuhörer waren, die voller Erwartung flüsterten. Das Geräusch verstummte allerdings sofort, es wich einer geradezu atemlosen Spannung als Franzl zu spielen begann. Auch die Musiker des Orchesters waren voller Neugier und ließen sich von dem Spiel des kleinen Solisten aufs Äußerste beeindrucken. Alle Schwierigkeiten, alle Feinheiten, mit denen er schon Gyrowetz und Diabelli große Bewunderung abgerungen hatte, meisterte er, als wäre es gerade dieses Stück, das ihm am meisten vertraut war. Ein ähnliches Gefühl beschlich die erlauchte Zuhörerschaft, als er den zweiten Satz von Beethovens A-Dur Symphonie mit dem Motiv einer Kantilene aus Rossinis „Zelmira“ miteinander derart in Einklang brachte, dass der Eindruck entstand, beides wäre aus einer Feder komponiert. Ja, das war wohl auch so, doch es war Franzls Feder, die während des Spielens seine Finger lenkte, beglückt nach Herzenslust fantasieren zu können. Die „Allgemeine Musikalische Zeitung“ nannte ihn einen Zauberer, schrieb von einem jungen Virtuosen, der aus den Wolken gefallen sei und zu höchster Bewunderung hinreißt. Sein freies Fantasieren wurde als Caprice bezeichnet, aber dennoch hoch gelobt. Die Krönung der Begeisterung drückte der Satz aus: Est Deus in nobis. *3 Ein Gott ist in uns Noch vor Jahresfrist folgten mehrere Konzerte, zu denen Franzl geladen war und jedes Mal erregte sein außerordentliches Talent große Bewunderung. Am freien Spiel hatten die Zuhörer ebenso viel Freude wie Franzl. Man übertraf sich darin, ihm Themen vorzugeben und für den Jungen war es das reinste Vergnügen, spontan darüber zu improvisieren. Wenige Tage vor Weihnachten war Adam Liszt mit seinem Sohn einer Einladung nach Pressburg gefolgt. Fast auf den Tag genau war es vor drei Jahren gewesen, als sich gerade dort der Erfolg des Jungen öffentlich gezeigt hatte und die Bewilligung des Urlaubs durch Fürst Esterházy das musikalische Schicksal des Jungen entschieden hatte. Adam Liszt versäumte nicht, seinen Sohn auf der Fahrt nach Pressburg in stolzer und pathetischer Form darauf aufmerksam zu machen. Natürlich erinnerte sich Franz an jenes erste öffentliche Konzert, das ihm schließlich auch die erste Rezension eingebracht hatte. Aber diese Erinnerung war verblasst, angesichts der vielen Eindrücke, die er in Wien aufgenommen hatte.

Besonders beeindruckt hatte ihn Metternich >>>

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