Franz Liszt Leben

Bei der Fülle von neuen Eindrücken, der täglichen Beschäftigung mit der Musik und der Aussicht, bedeutende Menschen kennenzulernen, hatte er unmerklich begonnen, seine Kindheit ein wenig hinter sich zu lassen. Auch wusste er sich recht ordentlich zu benehmen, durfte bald häufiger an Soirées teilnehmen und erlangte schnell die Aufmerksamkeit renommierter Künstlerkollegen, eroberte deren Gunst, aber auch schon die Missgunst einzelner. Davon bemerkte er allerdings noch nichts. Sein musikalisches Wissen und seine Fähigkeiten ließen den Knaben reifer erscheinen, wenn er in der Gesellschaft Erwachsener war. Doch über den völligen Mangel an Allgemeinbildung konnte all das nicht hinwegtäuschen. Carl Czerny merkte, dass sein Putzi mürrisch war, wenn es um Fingerübungen oder um Tonleitern ging, die der Junge zwar beherrschte, dessen ständiges Wiederholen er aber überhaupt nicht mochte und deren Bedeutung er nicht einsehen wollte. Stattdessen tat er sie als methodisches Zeugs ab. Vorerst blieb Czerny allerdings unerbittlich. Sein Schützling war ja ansonsten ein sehr eifriger und fleißiger Schüler, zudem ein aufgewecktes Bürschchen. Das Genie in dem Jungen hatte Czerny längst erkannt. Seine Bewunderung wollte er dem Knaben aber nicht zeigen. Noch nicht. An manchen Tagen, wenn Franzl so recht ausgelassen und mit meisterhafter Geläufigkeit seine Finger über die Tasten flitzen ließ, war Czerny geneigt, dem Jungen seine hohe Begabung bewusst zu machen. Aber er hütete sich. Franzl war schließlich noch ein Kind, wenn auch mit musikalischen Fähigkeiten ausgestattet, als wäre er als Pianist geboren worden. Also lobte er ihn in Maßen, damit der Junge nicht übermütig würde. Ganz konnte der bedachtsame Lehrer das jedoch nicht verhindern. Franzl war sich auf kindliche Art seines besonderen Könnens durchaus bewusst, meinte sogar, selbst einschätzen zu können, dass ihm die strenge Methodik des Lehrers nur hinderlich sei. Das gab ihm schließlich den Mut, beim Vater eine vorsichtige Beschwerde darüber zu äußern. Als die Familie eines Abends beisammen saß, nahm der Vater die Gelegenheit wahr, sich zu den Klagen seines Sohnes zu äußern, der ihm rundheraus erklärt hatte, das er das Zeug – und damit meinte er vor allem die Sonaten von Clementi – locker vom Blatt spiele und überhaupt sei das alles zu leicht für ihn und Fingerübungen brauche er schon gar nicht. „Franzl, schau’, Du hast den besten Lehrer, einen, der gewiss genau weiß, was Du für Deine Zukunft und die Musik an Wichtigem brauchen wirst. Er will Deine Technik festigen, damit Du damit nicht auf Abwege gerätst. Du bringst die hervorragendsten Voraussetzungen mit, aber als Meister bist auch Du nicht vom Himmel gefallen.“ Adam Liszt musste sich ein Lächeln verkneifen bei dem Gedanken an den Kometen und die Stunden des Wartens, die er mit dem Schäfermeister János in der Nacht vor der Franzls Geburt verbracht hatte. János hatte damals davon gesprochen, dass etwas Großes heranreifen würde. Liszt hatte seinem Sohn davon erzählt und Franzl wandte jetzt auch prompt ein: „Aber ich bin doch unter einem großen Kometen geboren, das haben Sie selbst gesagt, lieber Vater.“ Liszt schaute seinen Sohn zärtlich an und sagte dann sehr ernst: „Das stimmt wohl, aber Du kannst nur Großes vollbringen, wenn Du Dein angeborenes Talent pflegst und es richtig ausbildest. Es geht Dir sonst verloren. Die Musik ist eine wunderbare Kunst und sie muss mit Fleiß und Ausdauer betrieben werden. Umso größer ist eines Tages die Freiheit, mit der Du Dich in ihr bewegen kannst.“  

Franzl presste die Lippen aufeinander und schwieg...

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