Franz Liszt Biographie
Ich denke, ich bin für die Musik auserwählt und zum
Priester berufen.
Du hast mir gesagt, ich gehöre der Kunst, nicht der Kirche. Ich werde
darüber nachdenken. L E B E N. Ich habe es noch.
Was hast du heute Morgen, als du deine letzten Atemzüge tatest,
eigentlich gemeint, als du mir sagtest, ich hätte ein gutes Herz und
Verstand auch, aber gleichermaßen die Befürchtung geäußert hast,
die Frauen würden mein Herz beunruhigen und mich beherrschen? Du
kannst es mir nicht mehr erklären. Ehebrechen. Meines Nächsten Weib
begehren. Was hat es damit auf sich? Ich werde meinen Beichtvater
danach fragen. Möge er mir das sechste und neunte Gebot erklären
und falls ich eines davon schon unbewusst übertreten haben sollte, wird
er mir die nötige Buße auferlegen. Vater und Mutter ehren, ja, dieses
Gebot ist mir sehr vertraut und das halte ich auch in aller Innigkeit
ein, wie du weißt. Ach, lieber Vater, der Brief, den ich an die Mutter
schrieb, hat sie zu spät erreicht. Es ist schrecklich, dass alles so
schnell
gegangen ist. Sie konnte nicht mehr von dir Abschied nehmen. Ich
werde sie bitten, nach Paris zu kommen. Natürlich war sie bei ihren
Verwandten in Krems und in Graz gut aufgehoben, während wir beide
durch England und Frankreich und dann wieder durch Frankreich und
England reisten. Meine liebe Mama, meine beste Mutter. Ich werde mich
um sie kümmern, Vater. Sei unbesorgt.
Franz dachte an diesem 28. August des Jahres 1827 noch lange über
die Jahre nach, die er mit dem Vater verbracht hatte, erinnerte sich
an die Triumphzüge durch die Konzerthäuser, die begehrten Soirées
in den Häusern der Aristokratie, die jubelnde Zuhörerschaft, die als
Masse seinem Spiel huldigte und die Gazetten, die sich gegenseitig mit
Lobpreisungen übertrafen. Er dachte an den freundlichen, liebenswerten
Anton Reicha, von dem er im Kontrapunkt unterrichtet worden war,
der ihn bis zur Doppelfuge gebracht und dessen übergroße Liebe zur
Volksmusik ihn begeistert hatte.
Reicha, der aus Prag gebürtig war, zählte schon mehr als fünfzig Jahre.
Franz hatte ihm staunend zugehört, als dieser davon erzählte, dass er
einst Mozarts Schüler gewesen war. Dieser Musiker hatte mit seinem
bescheidenen Wesen einen großen Eindruck auf Franz gemacht und
dass er mit Beethoven in Bonn sogar im selben Orchester spielte,
das hatte Franz erst vom Vater erfahren. Der Unterricht hatte nur ein
halbes Jahr angedauert, als der Lehrer, der auch am Konservatorium
unterrichtete, seinem privaten Schüler erklärte, er könne ihm nun
nichts mehr beibringen. Den Drang, musikalisch Bahn brechendes zu
leisten, hatte er in Franz gar nicht wecken müssen, der war vorhanden.
Sie trennten sich in großer Herzlichkeit und Franz gab seinen
Andachtsübungen wieder den Vorrang, was der Vater allerdings mit
Besorgnis beobachtete.
Franz atmete tief durch. Du warst stets darauf bedacht, mein
musikalisches
Wissen und meine Fertigkeiten zu höchster Form zu steigern. Er wischte
sich eine Träne von der Wange, schaute liebevoll auf das ruhige, leblose
Gesicht des Vaters. Weißt du noch, Vater, als ich mich bei Czerny so
gegen die Übungen von Clementi wehrte? Die Mutter und du, ihr habt
mir versucht klarzumachen, wie wichtig gerade diese Übungen sind.
Und dann, als ich in London mein erstes öffentliches Konzert geben
durfte, waren sie alle erschienen, die großen Musiker, die gesamte
Elite,
die zu jener Zeit in London weilte. Sie alle kamen zu meinem Konzert.
Ferdinand Ries, mit dessen Musik alles begann, weißt Du noch, damals
in Raiding? Friedrich Kalkbrenner kam und Johann Baptist Cramer. Die
Großen ihrer Zeit. Und Clementi kam, Muzio Clementi, dessen Name
mir lange Zeit Unbehagen verursacht hatte, weil ich seine Übungen
nicht mochte, auf die Czerny soviel Wert gelegt hatte.
Dieses
Konzert am 21. Juni 1824 werde ich nie vergessen >>>
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