Franz Liszt Leben
Anna Liszt konnte ihren beiden Lieben das
Ergebnis der Unterredung
ansehen, als sie durch die Tür traten. Franzl zitterte, ob vor Kälte
oder vor Verzweiflung; die Mutter fragte gar nicht erst. Sie hatte eine
Mittagsmahlzeit bereiten lassen und bat ihren Sohn und ihren Mann zu
Tisch.
Franzl stocherte im Essen herum und war schweigsam, auch der Vater
hatte keinen Appetit. Er erzählte, wie es bei Cherubini gewesen war,
machte seinem Ärger Luft darüber, dass kein Ausländer aufgenommen
werden durfte, der Direktor allerdings selbst kein Franzose war. Dieser
Italiener, dachte er verächtlich, behielt aber in des Sohnes Gegenwart
seine Contenance.
„Franzl“, sagte Anna Liszt, als ihr Mann seinen Bericht beendet hatte.
„Schau, wenn Gott dir eine Tür zuschlägt, dann tut er das nicht ohne
Grund. Er hat etwas anderes mit dir vor. Die Tür, die er dir schon
aufgetan hat, kannst du nur noch nicht sehen.“ Der Junge schaute seine
Mutter fragend an. Dann suchte er den Blick des Vaters. „Deine Mutter
hat wahrscheinlich Recht, Junge. Was heute geschehen ist, wird nicht
das Ende deiner Laufbahn sein.“ Und plötzlich hellte sich sein Gesicht
auf. „Ich habe da auch schon eine Idee.“ Mehr sagte er nicht, sondern
begann mit einem Mal mit großem Appetit zu essen. Anna Liszt sah
liebevoll zu ihrem Sohn. Sie verstand, dass es für Franz Liszt schwer war,
die erste große Enttäuschung seines Lebens zu verarbeiten. Er braucht
Zeit, dachte sie, dann wird auch sein Vertrauen in Gott erstarken. Sie
ermahnte ihren Sohn nicht, etwas zu essen. Diesmal nicht.
Adam Liszt hatte die Enttäuschung längst nicht so einfach hingenommen,
wie er während der Mahlzeit vorgab. Seine Zuversicht war noch eine
unbeholfene und er musste sich eingestehen, dass die Reise nach Paris
wohl ihren Zweck verfehlt hatte. Er beschloss, am nächsten Tag zu den Èrards hinüberzugehen. Die Familie war den Liszt sehr zugetan und sie
wohnten direkt gegenüber. Mit Sébastien Èrard würde er besprechen,
wie es weitergehen sollte. Der würde Rat wissen. Schließlich war er
in Künstlerkreisen ein geachteter und berühmter Mann und sein Ruf
als Klavier- und Instrumentenbauer hatte sich längst über die Grenzen
Frankreichs hinaus verbreitet. Adam Liszt spürte schmerzlich, dass
ihm die Stadt, deren Blendwerk er erlegen gewesen war, nun gar nicht
mehr so wunderbar vorkam. Das kalte Dezemberwetter tat sein Übriges
und er versuchte einfach nur, der Situation Herr zu werden, klare
Gedanken zu fassen und sich Zuversicht einzureden. Den Anflug von
Existenzangst, den er bemerkte und gleich verdrängte, sollte sich seiner
nicht bemächtigen. Ja, Adam Liszt war in der Tat ein tapferer,
unverzagter
Vater und was dem Sohn vielleicht mitunter hart erscheinen musste,
das waren letztlich Handlungen, die er reinen Herzens für seinen Sohn
vollbrachte. Er war geradezu selbstlos und beachtete die ersten kleinen
Anzeichen seiner eigenen, schwächer werdenden Gesundheit nicht.
Franzl konnte in dieser Nacht lange nicht einschlafen. Nicht die Idee
des
Vaters, sondern vielmehr das Gefühl abgrundtiefer, erlittener Schmach
beschäftigte ihn. Zum ersten Mal war er gegen eine Mauer angerannt,
von deren Existenz er nicht einmal etwas geahnt hatte. In seiner tiefen
Empfindsamkeit hatten Cherubinis ablehnende Worte in ihm eine
Wunde gerissen, die er, wäre er nicht seines übermäßigen Erfolges so
sicher gewesen, wohl kaum als so quälend erfahren hätte. Sein großer
Vorwärtsdrang war so von Arglosigkeit durchdrungen, dass Franzl keine
sachlichen, nüchtern Gedanken kannte. Er hätte es nicht besser wissen
können, denn er wusste nichts von der Welt, hatte nur Ahnung von
der Musik. Dinge, die er für einen alltäglichen Umgang mit dem Leben
brauchte, hatte ihm niemand beigebracht. So irrten seine Gedanken
auch völlig richtungslos hin und her, fanden keinen Halt. Und eben diese
Gemütsstimmung grub sich tief in sein Gedächtnis, hinterließ einen
bitteren Geschmack. Wie eine drohende, allmächtige Schattengestalt
sah er Cherubini immer wieder vor sich, hätte zu gern gewusst, ob dieser
wirklich keine Möglichkeit gehabt hatte, eine Ausnahme zu machen.
Vielleicht hatte Cherubini das auch gar nicht gewollt.
Es war weit nach Mitternacht, als Franzl endlich spürte, wie ihn der
Schlaf umfing.
War das Leben so? Franzl dachte nicht mehr darüber nach, er war
eingeschlafen.
.
Ja, das
Leben war so... >>>
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