Der 2004 im Pariser Vorort Clamart
gestorbene Palästinenserführer Jassir
Arafat ist unbestritten als eine der für
die Entwicklung des Nahost-Konflikts
wichtigsten politischen Persönlichkeiten
in die Geschichte eingegangen. Die
Beurteilung seines Wirkens nach
moralischen und politischen
Gesichtspunkten war immer uneinheitlich
und zeigte deutlich die Polarisierung,
die zeitlebens von dem schmächtig
gebauten Mann, der eine Vorliebe für
große Sonnenbrillen hatte, ausgegangen
war. Jassir Arafat hat aber auch
zeitlebens aktiv dazu beigetragen, es
seinen Zeitgenossen schwer zu machen,
sich ein klares Bild von dem Menschen
und Politiker Arafat zeichnen zu können.
Die kalkulierte Sprunghaftigkeit seiner
Entscheidungen, seine widersprüchlich
erscheinenden Richtungswechsel und die
persönliche Geschmeidigkeit gehörten zum
von ihm sorgfältig gepflegten
Image des
unberechenbaren Taktierers. Bei allen
oft atemberaubenden Volten, mit denen
Arafat in seinem politischen Leben
Gegner überraschte und Mitstreiter oft
überforderte, gab es immer eine
unverrückbare Konstante: Die Etablierung
eines eigenen palästinensischen Staates.
Zum Chamäleon-Image von Arafat gehörte
auch, dass er Journalisten
widersprüchliche oder ungenaue Angaben
zu seiner Biographie machte und so der
Legenden- und Gerüchte-Bildung Vorschub
leistete. So hat er oft behauptet, in
Palästina geboren worden zu sein. Mit
großer Wahrscheinlichkeit wurde er aber
am
24. August 1929 als Mohammed
Jassir Abdel Rahman Abdel Rauf Arafat
al-Kudwa al-Husseini in Kairo geboren.
Sein Vater, der Textilhändler Abdel Rauf
al-Kudwa al-Husseini, gehörte einer
angesehenen Jerusalemer Familie an und
war Anfang der 1920er Jahre nach Ägypten
ausgewandert. Nachdem Mutter Sahwa 1933
gestorben war, kam der kleine Jassir,
der sechs Geschwister hatte, zu
Verwandten nach Jerusalem. 1937 soll er
zu seinem Vater nach Kairo zurückgekehrt
sein und seine weitere Jugend in der
ägyptischen Hauptstadt verbracht haben.
Nach anderen Angaben ist er erst wieder
zum Studieren nach Ägypten gekommen.
In seiner Studentenzeit
(Elektrotechnik-Studium) beschäftigte er
sich intensiv mit der Frage der Zukunft
des unter britischer Mandatsverwaltung
stehenden Palästinas. Für Arafat gab es
nur eine arabische Lösung für das sowohl
von Juden wie von Arabern als Heimstatt
beanspruchten Gebietes. Der junge Arafat
befürwortete auch Gewalt als Mittel zur
Erreichung eines Palästinenserstaates
und beteiligte sich 1947/48 an Aktionen
radikaler Untergrundgruppen gegen Briten
und Juden in Palästina. Nach Abzug der
britischen Mandatstruppen und der
Proklamation des Staates Israel brachen
in Palästina heftige Kämpfe aus. Auch
Arafat kämpfte in einer irregulären
Einheit der Muslimbrüder im
Gaza-Streifen. Nach der Niederlage gegen
die israelische Armee wurden 1,3
Millionen Palästinenser zum Verlassen
ihrer Heimat gezwungen. Dieses für die
Mehrheit der Palästinenser als „Nakba“
(„Katastrophe“) nachhaltig und
generationsübergreifend traumatisierende
Ereignis prägte das politische Denken
Arafats.
Arafat engagierte sich unter anderem als
Vorsitzender der von ihm 1952
gegründeten „Generalunion
palästinensischer Studenten“ für eine
Zerschlagung Israels und der Errichtung
eines Palästinenser-Staates. Kurz nach
Abschluss seines Studiums (1955) kämpfte
er 1956 als Reserve-Leutnant der
ägyptischen Armee im Sues-Krieg gegen
die britisch-französisch-israelische
Allianz.
Danach arbeitete Arafat in Kuwait
überaus erfolgreich als Ingenieur und
Unternehmer in der Baubranche und
brachte es zu Wohlstand. Er verlor aber
seinen politischen Traum nicht aus den
Augen. Mit der Mitbegründung der
„Bewegung zur nationalen Befreiung
Palästinas“ („Harakat at-Tahrrir
al-watani al-Filastini“), kurz „Fatah“
genannt, schuf er sich im 1957 die
organisatorische Basis für seinen Kampf.
1959 gab sich die Fatah den Status einer
politischen Partei. Ihr starker Mann
Arafat war ab 1968 als Vorsitzender auch
offiziell Parteiführer. Die Fatah war
der wichtigste Teil der 1964 als
palästinensische Sammelbewegung
gegründeten PLO.
Der wegen seines autoritären
Führungsstils nicht unumstrittene Arafat
wurde 1968 zum Mythos. Nach dem für die
arabische Sache katastrophalen
Sechstage-Krieg 1967 war die Weltmeinung
in der Palästina-Frage weitgehend
pro-israelisch. In dieser Situation
setzte der von Jordanien aus operierende
Arafat mit seiner Beteiligung an einem
„Schlacht von Karame“ genannten Gefecht
zwischen israelischen Armee-Truppen und
PLO-Einheiten ein blutiges und
prestigeträchtiges Zeichen des
Widerstandes. Die israelische Armee
wollte die PLO-Basis im jordanischen
Karame, von wo aus laufend
Bombenanschläge auf Israel ausgeführt
worden waren, stürmen. Es kam zu
heftigen Kämpfen der Israelis mit
jordanischen und unter dem Befehl von
Arafat stehenden PLO-Einheiten. Obwohl
die PLO-Basis zerstört wurde,
beanspruchte die PLO einen
Verteidigungssieg für sich. In der
arabischen Welt und bei Sympathisanten
im Ausland gewannen Arafat und die
PLO-Kämpfer durch dieses reguläre
Gefecht enorm an Ansehen und Zulauf.
1969 wurde Arafat PLO-Vorsitzender und
blieb es bis zu seinem Tod.
1970 musste Arafat nach blutigen
Auseinandersetzungen („Schwarzer
September“) mit der jordanischen
Staatsführung, die die Präsenz der
zunehmend selbstbewusst auftretenden
Organisationen der Palästinenser im
Lande als Bedrohung der eigenen
Souveränität empfand, Jordanien
verlassen.
Von seinem neuen Hauptquartier aus,
zunächst in Beirut, ab 1982 in Tunis,
rang er weiter um weltweite politische
Anerkennung.
Meilensteine seiner politischen Karriere
waren die spektakuläre Rede vor der
UN-Vollversammlung in New York 1974 im
Kampfumzug und mit Pistole sowie die
Anerkennung des UN-Beobachterstatus.
1988 erkannte er zum Entsetzen vieler
palästinensischer Hardliner das
Existenzrecht Israels im Gegenzug zur
Garantie eines Palästina-Staates in
Westbank und Gaza-Steifen an. 1989
distanzierte Arafat sich endgültig von
der alten PLO-Doktrin von der
Zerschlagung Israels.
Nachdem er die Invasion Kuwaits durch
irakische Truppen 1990 unterstützt
hatte, verlor er die bisher reichlich
geflossene finanzielle Unterstützung der
konservativen Ölstaaten am Arabischen
Golf. Kuwait wies zudem nach Ende des
Krieges 1991 eine halbe Million
Palästinenser aus. Unter dem Druck
dieser für die PLO fatalen Situation
nahm Arafat mit Israel direkte
Verhandlungen auf, die 1994 im
Autonomieabkommen ihren Niederschlag
fanden. In der Folge bekam Arafat
zusammen mit den israelischen Politikern
Rabin und Peres den Friedensnobelpreis.
Im selben Jahr zog Arafat nach Palästina
und wurde dort als Präsident der
Palästinensischen Autonomiebehörde eine
Art vorläufiger Regierungschef. In
dieser Funktion wurden regelmäßig
Korruptionsanschuldigungen gegen Arafat
und Umfeld laut.
Seine nicht vollständig geklärte Rolle
bei der „Zweiten Intifada“ (2000-2005)
brachte ihn wieder zunehmend in Konflikt
mit Israel. Als Reaktion auf
palästinensische Anschläge wurde Arafat,
der nur noch bedingt die Kontrolle über
die gesamte PLO ausübte, wiederholt von
israelischen Sicherheitskräften unter
Hausarrest in Ramallah (Westbank)
gestellt.
Arafat, der eine 34 Jahre jüngere Frau,
Suha at-Tawil (Heirat 1990), und eine
Tochter hinterließ, starb am 11.
November 2004 an einer Gehirnblutung.
Jassir Arafat Seiten,
Steckbrief etc.
n.n.v.