Musik von 1910 bis 1919

Schon vor dem Übergang ins neue Jahrhundert hatte sich die Musik in so viele unterschiedliche Stilrichtungen erweitert, dass längst nicht mehr nur von der Romantik oder der Neuen Schule die Rede sein kann. Dafür ist die Bandbreite zu schnell größer geworden. Auch hatte sich neben der Konzertmusik eine leichtere Musik wie beispielsweise Tanz- und Unterhaltungsmusik herauskristallisiert. Begonnen hatte das schon mit den Walzern von Johann Strauss (1804-1849) und Johann Strauss Sohn (1825-1899, der internationale Anerkennung und den Beinamen „Walzerkönig“ bekam sowie mit den Operetten u. a. von dem ungarischen Komponisten Franz Léhar (1870-1948), um nur einen Vertreter zu nennen.
Um die Jahrhundertwende findet vor allem der Begriff „musikalische Moderne“ vermehrt Anwendung.
Nach der heutigen Unterteilung in U- und E-Musik gab es im Bereich der ernsten Musik vor allem Komponisten des musikalischen Impressionismus wie Claude Debussy (1862-1918), Maurice Ravel (1875-1938) und auch Richard Straus (1864-1949), die mit ihren Werken bzw. Opern diese Richtung prägten. Im musikalischen Expressionismus waren es Komponisten wie Arnold Schönberg (1874-1951) oder Béla Bartók (1881-1945), die in dieser Gegenrichtung zum Impressionismus sämtliche Regeln, die in der Musik bis dahin Verwendung gefunden hatten, auflösten und neue aufstellten, wobei Schönbergs Zwölftonmusik wohl das bekannteste Beispiel ist.
Es gab keinen klaren Übergang von einem musikalischen Stil zum anderen. Die Richtungen beeinflussten sich gegenseitig und auch die Komponisten der Spätromantiker wie beispielsweise Gustav Mahler (1860-1911) hatten mit ihren Werken Bestand.
Neben den Opern- und Konzert-Uraufführungen gab es aber auch Musik, die sich populäre Musik nannte und die jedoch nicht als der Vorläufer der späteren Popmusik anzusehen ist.

Ragtime
In der europäischen Kultur hatte seit den 1890er Jahren eine Musikrichtung Einzug gehalten, die als Ragtime bezeichnet wird, was in deutscher Übersetzung ungefähr mit „Fetzentakt“ wiedergegeben werden könnte, aber eigentlich für „zerrissen, synkopiert und Zeit“ steht – Musik, die den afroamerikanischen Tänzen entlehnt war und musikalisch eine Verwandtschaft mit der Marschmusik des europäischen Raumes hat.
Einer ihrer bedeutendsten Vertreter, der auch als Vollender des Ragtime gilt, war der Komponist und Pianist Scott Joplin (ca. 1867/68-1917). Diesem Afroamerikaner gelang es, die Klaviertradition des romantischen Zeitalters mit der ursprünglichen Folklore-Musik afroamerikanischen Ursprungs zu verbinden. Bereits 1899 veröffentlichte er „Maple Leaf Rag“. Dieses so genannte „sheet of music“ (engl.: Notenblatt) gab der Musik in Deutschland ihren Namen – sheet music. Joplins „Notenblatt“ wurde binnen kürzester Zeit ein Verkaufsschlager. Mehr als eine Million Mal wurde diese neue Art der Unterhaltungsmusik verkauft. Dieser Jazz-Vorläufer war aus dem „Cakewalk“ entstanden, einem Gesellschaftstanz, der aus Amerika nach Europa kam und auch in Deutschland schnell Anhänger fand. Bis ungefähr zum Jahr 1905 war dieser Tanz in den USA sehr modern, eine zweite Blüte erlebte er dann noch einmal, als er in Europa zum angesagten Modetanz wurde. Erst zu Beginn der zwanziger Jahre geriet er in Vergessenheit.
Hinzu kam die Erfindung der Tonkonserve zur Speicherung von Musik und zu ihrer Massenverbreitung. Zu den ersten bekannten Künstlern, die auf Schallplatte „erhalten“ sind, gehört Enrico Caruso (1873-1921). Er nahm am 1. Februar 1904 für die RCA Victor die Arie „Vesti La Giubba“ aus der Oper „Pagliacci“ von Ruggero Leoncavallo (1857-1919) auf, eine Einspielung, die Millionenverkäufe erbrachte. Damit verhalf Caruso nicht nur diesem Medium, sondern auch der Schallplattenfirma zu großem Ruhm, sich selbst natürlich auch. Sein als Volkslied deklariertes „O sole mio“ erlangte Weltruhm. Caruso trug mit seinen Aufnahmen auch zur Verbreitung anderer Volkslieder bei, die damals den Status von „Hits“ hatten. Dass die Schallplatte 1904 bereits doppelseitig bespielbar war, war ohnehin schon eine enorme Weiterentwicklung der Tonträger-Technik, deren Vorläufer u. a. die Stiftwalze aus dem 18. Jahrhundert war. Ihr waren Notenrollen für mechanische Musikinstrumente (um 1883) gefolgt. Später kam die Wachswalze dazu (1886), die Notenrolle (um 1895) für selbst spielende Klaviere (Pianola) und dann entstand 1898 die Schellack-Platte mit ihrer 78er Umdrehung. Im selben Jahr wurde der Tondraht entwickelt und schließlich kam 1904 die doppelseitig bespielbare Schallplatte hinzu. Der Massenherstellung von Musikkonserven waren nun keine Grenzen mehr gesetzt.

Die Unterhaltungsmusik des ersten Jahrzehnts
Es waren im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem Operettenmelodien, die zu Gassenhauern wurden und den Stand eines Schlagers im Sinne von Ohrwürmern hatten. Die Menschen waren geradezu süchtig nach Unterhaltungsmusik, die sie von ihrem Alltag ablenken sollte. Vater und Sohn Johann Strauss bedienten diesen Massengeschmack mit einer Unzahl eingängiger Operetten, deren Melodien auch heute kaum etwas von ihrer Beliebtheit verloren haben. „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ oder „Trinke, Liebchen, trinke schnell, Trinken macht die Augen hell“ – diese Lieder aus „Die Fledermaus“ (Johann Strauss Sohn UA 1874) sind nur ein Beispiel für das, was jedes Schulkind nachsingen konnte.
Wiener Operetten gehörten auf jeden Fall in das erste Musikjahrzehnt. Neben den Wiener Melodien hatten sich auch Berliner Lieder etabliert. Die deutsche Hauptstadt war in Sachen Operette das, was Wien für die Österreicher und ihre Operetten war. Berlin wurde mit Kompositionen u. a. von Paul Lincke (1866-1946) versorgt, der 1899 „Frau Luna“ veröffentlichte und damit einen enormen Erfolg hatte. Noch heute kennt fast jeder das Lied „Das macht die Berliner Luft, Luft, Luft“, wenngleich nicht jeder weiß, dass es aus dieser Operette stammt. Auch Eduard Künneke (1885-1953) schuf mit seinen Operettenkompositionen Ohrwürmer, die schnell in aller Munde waren.
Außer den Melodien, die letztendlich in das operettenhafte Bühnengeschehen eingebunden waren, hatte sich auch noch eine andere Vortragsweise entwickelt – das Couplet, dessen bedeutendster Vertreter in jener Zeit Otto Reutter (1870-1931) war. Reutters Couplet „Der Überzieher“ ist noch heute bekannt. Der in Gardelegen (im heutigen Sachsen-Anhalt) geborene Künstler, war nicht nur Sänger und Komiker, sondern auch Texter seiner eigenen Lieder. Bereits zwei Jahre vor der Jahrhundertwende hatte er einen beachtlichen Erfolg mit dem Lied „Ich bin eine Witwe“, zu dem Wilhelm Aletter (1867-1934) die Musik schrieb und das Reutter im amerikanischen Musikverlag The B.F.Wood Music Company Boston auf Schallplatte aufnahm. Abgesehen von Reutters Liedern, die den Zeitgeist widerspiegelten und in humoristisch-satirischer Weise von ihm vorgetragen wurde, gab es auch Salonorchester, die neue Komposition zeitgenössischer Künstler spielten. Dazu konnte getanzt werden, man konnte sich diese Musik aber auch einfach anhören und dazu ein Bier trinken. Es war pure Unterhaltungsmusik.
Schlager, Gassenhauer oder auch Chansons, die ein typisches Berliner Flair ausstrahlten und selbstverständlich im frechen Berliner Dialekt gesungen wurden, trug Claire Waldoff (1884-1957) vor. Sie stammte zwar aus Gelsenkirchen, aber sie wurde stets als eine typische Berliner Künstlerin, als DIE „Berliner Schnauze“ akzeptiert. Claire Waldoff, die zunächst ihr komisches Talent am Theater ausprobierte, ging 1907 schließlich zum Kabarett.
Am Premierenabend des ersten Stückes, in dem Claire Waldoff in einem Eton-Boy-Anzug auftreten und antimilitärische Lieder singen sollte – das Stücktexte hatte Paul Scheerbart (1863-1915) geschrieben – kam es zu einem Verbot, das die kaiserliche Zensur verhängt hatte. Der androgyne Hosenanzug, der einem völlig neuen Frauenbild Ausdruck verlieh, war einerseits schon anstößig, aber die antimilitärischen Lieder waren der Zensur ein absolutes Dorn im Auge. Vor allem sollten sich Frauen nach 23 Uhr nicht im Hosenanzug auf der Bühne präsentieren. Claire Waldoff bekam ein Ersatzlied für den Abend, das ihr Walter Kollo (1878-1940) geschrieben hatte. Mit ihrer einzigartigen, ganz besonderen Stimme und ihrer komödiantischen Ausstrahlung brachte die Waldoff also „Schmackeduzchen“ zum Vortrag, die Geschichte eines liebeskranken Erpels. Mit diesem Lied eroberte sie die deutsche Hauptstadt quasi über Nacht und wurde zum „Stern von Berlin“.
Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts hatte eine musikalische Entwicklung in Gang gesetzt, die in ihrer Vielfalt gerade erst am Anfang stand. Auch das neue Bild eines Berufsmusikers kristallisierte sich heraus, bedingt nicht nur durch die Plattenaufnahmen, sondern auch durch die Unterhaltungskonzerte und Liedbegleitungen in Kneipen, Bars oder Kabarett-Theatern.
Die Komponisten schrieben nun auch gezielt Stücke für ein volkstümliches Musiktheater oder Werke für das Genre der leichten Muse, die es in der Art vordem so nicht gegeben hatte.


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