Die DDR-Mode der 70er - Papier ist geduldig
Die Vergänglichkeit der Mode ist bekannt. Dass
sie aber gleich so vergänglich war, dass sie
nach einmaligem Tragen ausgedient hatte, war
neu. Bereits zum Ende der sechziger Jahre kamen
Kleider aus Papier an die Damenkörper, die sich
bis zum Ende der Siebziger behaupteten. Ihren
Ursprung hatten Kleidungsstücke aus Papier im
asiatischen Raum lange vor der Neuzeit. Doch
etwa um 1966 hatte ein amerikanischer Hersteller
von Papier mit einem Inserat für Papierkleider
für einen erneuten, überraschenden Aufschwung
gesorgt, der binnen kürzester Zeit nach Europa
gelangte. Mode zum Wegwerfen. Darauf stürzten
sich die Mode-Journale sofort und die
Papier-Kleider fanden – im wahrsten Sinne des
Wortes – reißenden Absatz, wenn auch nicht
lange.
Die Knappheit von Rohstoffen, die sich auch auf
die Textilindustrie ausgebreitet hatte, brachte
in der europäischen Modebranche findige Köpfe
auf die Idee, Kleidung aus Papier herzustellen.
Die DDR, in der man den Mangel an Rohstoffen nur
allzu gut kannte, machte diese Mode mit, denn
das Land war in den
70er Jahren schon weltoffen
genug, um den einen oder anderen Blick auf
internationale Trends zu werfen. Außerdem war
man ehrgeizig genug, eigene VLIESETT-Kleidung
herzustellen, um den modedurstigen Blick junger
Leute ins eigene Land zurückzuholen.
Das Material war eine Mischung aus 60 Prozent
Zellwolle und 20 Prozent Dederon bzw. Grisuten.
Es war herkömmlichem Papier sehr ähnlich,
allerdings auch in seinen Trageeigenschaften.
Besonders junge Mädchen konnten damit ihren
Mode-Hunger ein wenig stillen. Am liebsten taten
sie das natürlich mit Original-Kleidchen, die
sie auf einfallreichen Wegen aus dem Westen
bezogen.
Aus Vliesett-Papier-Stoff ließen sich sehr
leicht die unterschiedlichsten Modelle fertigen,
die man einmal zum Ausgehen oder für einen
Stadtbummel anziehen konnte. Man konnte damit
auch tanzen, wenn man sich anschließend nicht
allzu ungeschickt hinsetzte. Den Hinweis der
Hersteller-Betriebe, der dem Stoff oder einem
fertigen Modell beigefügt war, musste man
allerdings sehr ernst nehmen. Vom Radfahren und
von diversen Sportaktivitäten wurde dringend
abgeraten. Achtung Reißgefahr! Es war
angebracht, stets eine Rolle durchsichtiges
Klebeband in der Handtasche zu haben, um kleine
Risse sofort auf der Innenseite des
Kleidungsstückes überkleben zu können. In die
Nähe von brennenden Zigaretten sollte man auch
nicht geraten, auch Regen war eine Gefahr für
die Vliesett-Mode.
Doch das Material hatte auch Vorteile, die die
Mädchen durchaus zu schätzen wussten. Wollten
sie die Länge ändern, ließ sich das mit einem
einfachen Schnitt realisieren. Es musste nichts
umgenäht werden. Im Gegensatz zu reinen
Papier-Kleidern konnten die Vliesett-Modelle bis
zu fünf Mal gewaschen werden. So oft hielten sie
aber oft gar nicht durch.
Die Vliesett-Kleider waren einige Jahre ein
echter Renner, doch nur für sehr junge Leute.
Sie waren farbenfroh bedruckt und trotz ihrer
Kurzlebigkeit beliebt. Dass sie wenig
strapazierfähig waren, störte nicht allzu sehr.
Es war leicht, sich aus dem Material Neues zu
schneidern. Beklagt wurden von den weiblichen
Teenagern lediglich die Kosten, die sie sich
etwas niedriger gewünscht hätten. Das sogenannte
Billig-Ersatzmaterial für Stoff war nicht billig
und angesichts der ständigen Neuschöpfungen ging
es der Geldbörse ganz schon ans sprichwörtliche
Leder.
Als das Jahrzehnt zu Ende ging, war auch das
Ende der Vliesettkleidung gekommen. Weder
in
der DDR, noch auf dem internationalen Modemarkt
weinte man dem Papier gewordenen Stoff eine
Träne nach. Auf die Dauer konnte das Material
seine Trägerinnen nicht überzeugen. Es
verschwand im Westen. Es verschwand im Osten.
Als derart geduldig, wie immer behauptet wird,
hatte sich dieses Papier nicht erwiesen. Es war
ein Experiment, das immerhin einige Jahre die
Modeszene in Atem gehalten hatte und als solches
eine Modesünde wert war. Heute wird Papier,
echtes Papier (!) mitunter zur Freude der
Zuschauer auf den Laufstegen der Haute Couture
von den Models präsentiert. Die Kreationen sind
gewagt, für den Alltag vollkommen ungeeignet,
aber dennoch ein Hingucker, der gleichermaßen
eine Hommage an das Recycling ist. Papier ist
also doch nicht aus der Mode gekommen.
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