Heute vor 100 Jahren –
1914 – Der Beginn des Ersten Weltkrieges
Es ist so lange her und doch sind diese
einhundert Jahre geschichtlich gesehen eine winzige
Zeitspanne. Nur wenige Zeitgenossen, höchstens die
selten gewordenen Hundertjährigen, könnten von
dieser Zeit erzählen. Doch was die Großeltern und
Urgroßeltern weiter getragen haben, wird manchmal
noch lebendig – das Grauen des Ersten Weltkrieges.
Das Jahr 1914 hatte verheißungsvoll angefangen.
Hätte es keinen Krieg gegeben, dann würde an dieser
Stelle fast ausschließlich vom Fortschritt berichtet
werden, der auf kultureller, wirtschaftlicher und
technischer Ebene stattfand.
Ob die Reglementierung von Alkohol in Schweden dazu
zählte, sei dahingestellt. Die Einwohner des
skandinavischen Landes im Norden durften seit
Jahresbeginn nur noch zwölf Liter
Spirituosen pro Vierteljahr
kaufen. Diese staatliche Anordnung war
sicher zum Besten der Schweden, aber sie führte die
Menschen doch in Versuchung, ihren Alkoholbedarf
anderswo zu decken. Sie wurden beispielsweise
häufige Besucher in Dänemark. Die staatliche
Verordnung der Alkoholbewegung ging auf die
schwedische Abstinenzbewegung zurück, die 1910 ihren
Höhepunkt erreicht hatte. Mehr als eine halbe
Million Mitglieder gehörten ihr an und sie war eine
Reaktion auf den Zusammenhang der gewaltigen
sozialen Probleme im Land mit dem damit verbundenen
gestiegenen Alkoholkonsum in jener Zeit. Er war
vergleichsweise zu heutigem Trinkverhalten um das
Vier- bis Fünffache höher. Die Abstinenzbewegung
stellte damals im Verbund mit der freikirchlichen
Erweckungsbewegung und der schwedischen
Arbeiterbewegung einen politischen Machtfaktor dar.
Wirtschaftlich war die Reglementierung zwar keine
Lösung, denn der Hauptanteil der Steuereinnahmen des
Staates rührte von den alkoholischen Getränken her.
Bekanntlich löst Alkohol keine Probleme und so sah
sich Schweden in einem Zwiespalt, den es mit der
Kauf-Rationierung zu lösen versuchte.
Ein echter Fortschritt war jedoch, was der
Automobil-Hersteller Henry Ford auf einer
Pressekonferenz im Januar in den USA verlauten ließ.
Er kündigte den Achtstundentag in
seinem Unternehmen
an, der mit einem Mindestlohn von fünf US-Dollar pro
Tag bereits im selben Monat in die Praxis umgesetzt
wurde. Zudem wurde Produktion des „Ford Modell 7“
auf Fließbandfertigung umgestellt, sodass damit auch
der Verkaufspreis sank.
Kaiser Wilhelm II. übergab der deutschen
Öffentlichkeit den „Hohenzollernkanal“ zur Nutzung,
eine Schifffahrtsstraße, die die Flüsse Havel und
Oder miteinander verband. Auch der Rhein-Herne-Kanal
wurde nach einer Bauzeit von acht Jahren freigegeben
und in Mittelamerika wurde die bedeutendste
Wasserstraße der Welt eröffnet – der Panamakanal.
Zu dem Zeitpunkt hatte ein bosnisch-serbischer
Attentäter, Gavrilo Princip, bereits das
österreichisch-ungarische Thronfolgerpaar, den
Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie,
ermordet. Dieses Attentat löste zunächst die
Julikrise aus. Österreich-Ungarn reagierte drei
Wochen später mit einem Ultimatum, in dem an den
Nachbarstaat Serbien derart umfangreiche Forderungen
aufgelistet waren, dass bis zum Fristablauf von 48
Stunden die Erfüllung zwar weitgehend, aber eben
nicht vollständig erfolgt war. Das wiederum hatte
die österreichische Kriegserklärung zur Folge, die
dann zum Ersten Weltkrieg führte, nachdem sich erst
einmal ein Lokalkrieg zwischen Österreich-Ungarn und
Serbien entwickelt hatte. Innerhalb weniger Tage
eskalierte der Lokalkrieg und wurde zu einem
Kontinentalkrieg, an dem Russland nach der
Kriegserklärung Deutschlands vom 1. August 1914 und
Frankreich nach der Kriegserklärung vom 3. August
involviert wurden. Infolge der deutschen
Bündnisverpflichtungen und der militärischen
Planungen – der Schlieffen-Plan – kam es zum
Kriegseintritt Großbritannien und seiner
Kolonialgebiete. Somit wurde der Kontinentalkrieg
zum Weltkrieg zwischen den Mittelmächten und der
Entente. Die bis heute anhaltende Auseinandersetzung
über die eigentliche Kriegsschuldfrage hat immer
noch kein eindeutiges Ergebnis erbracht.
Bereits im Sommer des Jahres 1914 hatte die deutsche
Reichsbank das Einwechseln von Banknoten oder
Scheidemünzen gegen die Herausgabe von Goldmark
eingestellt. Der staatliche Goldbestand sollte
geschont werden. Da aber die Ängste vor einem Krieg
in der Bevölkerung zugenommen hatten, war auch die
Nachfrage nach Bargeld deutlich gestiegen.
Im Sommer wurde auch die letzte „Tour de France“ vor
dem Beginn des Krieges ausgetragen. Zum zweiten Mal
hintereinander gewann sie der belgische
Radrennfahrer Philippe Thys (1890-1971). Er war der
Erste, dem es gelang, die „Tour de France“ dreimal
zu gewinnen, nur dass zwischen seinem Sieg ihm Jahr
1914 und dem im Jahr 1920 der Krieg lag. Damit waren
dem bis heute jüngsten Tour-Sieger die besten Jahre
und Möglichkeiten genommen worden. Das
Attentat von
Sarajevo fiel zeitlich in die „Tour de France“,
deren Verlauf damit nach der ersten Etappe
überschattet war. Sie wurde zwar noch bis zum Ende
durchgeführt, dann aber erst wieder im Jahr 1919.
Auch die letzte
Vorkriegs-Eiskunstlauf-Weltmeisterschaft, die für
die Damen im Januar in St. Moritz ausgetragen worden
war und für die Herren im Februar im finnischen
Helsinki, musste dann kriegsbedingt eine Pause
einlegen. Bei den Damen hatte die Deutsche Thea
Frenssen (1895-1980), die im Paarlauf mit Julius
Vogel und im Einzellauf an den Start gegangen war,
jeweils den vierten Platz belegt.
Die Sorge wegen des drohenden Krieges, die seit dem
Attentat von Sarajevo und der Mobilmachung in
deutschen Landen kursierte, hatte den Menschen
dennoch nicht alle Lebensfreude genommen. Im
Gegenteil. Viele von ihnen, auch in Künstlerkreisen,
waren geradezu in eine Kriegseuphorie ausgebrochen.
Operetten wurden uraufgeführt, Schlager wurden
gesungen, Bücher wurden geschrieben und auch in der
Malerei und der bildenden Kunst herrschte kein
Stillstand. Der Bildhauer und Maler Ernst Barlach
zum Beispiel, der ein glühender Patriot war und die
kriegerischen Auseinandersetzungen zunächst als
befreiend empfand, schuf 1914 seine Bronze-Skulptur
„Der Rächer“ und etliche Lithografien. Die
Ernüchterung folgte im darauf folgenden Jahr, als
der Reservist Barlach eingezogen worden war und den
Krieg in seinem unbarmherzigen Grauen hautnah
erlebte. Die Begeisterung wich dem blanken Entsetzen
und hatte die Abkehr von allem Kriegerischen zur
Folge, was sich in seinen Werken widerspiegelte.
Ernüchtert waren nach den ersten Gefallenen die
meisten Menschen sehr schnell.
Ohnehin teilten nicht alle die allgemeine
Anfangs-Begeisterung. Von Walter Kollo, mit einem
Text von Rudolf Bernauer und Rudolph Schanzer,
entstand das schlagerhafte Lied „Die Taube“, das auf
den Flugzeugtyp „Rumpler-Taube“ Bezug nahm und in
aller Munde war, jedenfalls im
Volksmund. Die damals
schon in Berlin als Kabarettkönigin benannte Claire
Waldoff sang 1914 von ihrem Hermann, „Hermann heeßt
er“. „Wien, Wien, nur du allein“ sorgte für den
romantischen Hauch in der Schlagerwelt. Und zu den
Größen des damaligen Revuetheaters gehörte auch Otto
Reutter, der sich mit seinen Couplets, deren Texte
er dem Alltag der kleinen Leute abgelauscht zu haben
schien, großer Beliebtheit erfreute. Im Bereich der
Oper war Igor Strawinsky mit „Die Nachtigall“
vertreten und Arnold Schönberg hatte seine
Tondichtung „Pierrot Lunaire“ geschaffen.
In Italien, das sich politisch neutral zeigte, wurde
im Dezember 1914 das Automobilunternehmen Maserati
gegründet, das Sport- und Rennwagen herstellte und
das weit über die Jahre des Ersten Weltkrieges
hinaus Furore machte.
Das Jahr, das nach seiner anfänglichen Begeisterung
– immerhin befand man sich im zweiten Jahrzehnt des
21. Jahrhunderts – und den ersten Opfern des Krieges
und dann zu immer größeren Opferzahlen führte,
überlebten auch die Schriftsteller Paul Heyse und
die Österreicherin Bertha von Suttner nicht.
Was den Völkern noch bevorstand, hatte wohl u. a.
der US-amerikanische Erfinder Garrett Morgan richtig
eingeschätzt. Er erhielt 1914 ein Patent auf die
Gasmaske. Schon im Folgejahr, 1915, wurde erstmals
durch deutsche Truppen Chlorgas als chemische Waffe
eingesetzt.
Und Martha – das letzte Exemplar der Wandertaube,
das im Zoo von Cincinnati gelebt hatte und ihren
Namen zu Ehren der ersten US-amerikanischen First
Lady Martha Washington erhielt – zog es am 1.
September vor, auszusterben. Nicht gerade eine
Erfolgsmeldung.
Weitere Infos