Franz Liszt Geschichte

Adam Liszt saß an seinem Schreibtisch und war in seine täglichen Notizen vertieft. Fast an jedem Abend trug er seine Eindrücke und Gedanken in ein Tagebuch. Seit der kleine Franz auf der Welt war, tat er das emsiger als zuvor. Die Geburt seines Sohnes erfüllte ihn mit großem Stolz. Franz war sein erstes Kind und er selbst war immerhin schon 36 Jahre alt. Er war ein glücklicher Vater und er stellte sich gern vor, was aus dem Jungen werden könnte. Sein eigener Traum, ein Leben als Musiker zu führen, war längst zerronnen. Er hatte eine andere Laufbahn eingeschlagen und seine Beförderung nach Raiding verdankte er seiner zuverlässigen Beamtentätigkeit, durch die sein Ersuchen um diesen Posten bewilligt worden war. Er übte sein Tätigkeit als Wirtschaftsund Rechnungsführer vielleicht nicht mit bedingungsloser Liebe, aber dennoch mit großer Sorgfalt aus. Außerdem war sie recht einträglich. Und nun hatte er sogar einen Sohn, bei dem er hoffte, irgendwann ein Zeichen von Musikalität zu entdecken. Anna Liszt betrat den Raum. Er bemerkte sie nicht. Erst als sie dicht neben ihm stand, schaute er auf. Sie deutete auf das kleine Buch. „Schreiben Sie sich den Tag von der Seele, lieber Adam?“, fragte sie. Liszt nickte. „Ja, denn spielte ich jetzt Klavier, würde ich unseren Sohn aufwecken.“ Dann tippte er auf die Seite im Tagebuch, die er gerade beschrieben hatte und reichte es seiner Frau. Diesmal sollte sie lesen, was er fühlte. Anna Liszt war zunächst ein wenig verwundert, doch ihr Mann nickte ihr aufmunternd zu und also las sie. „Mein Sohn, du bist vom Schicksal bestimmt! Du wirst jenes Künstlerideal verwirklichen, das vergeblich meine Jugend bezaubert hat. In dir wird sich das erfüllen, was ich für mich geahnt habe. Mein Genie, zur Unzeit geboren in mir, wird in dir sich befruchten. In dir will ich mich verjüngen und fortpflanzen...“ Wortlos gab Anna Liszt ihrem Mann das Büchlein zurück. Sie sahen sich einen Moment schweigend an. In ihrer beider Augen war Sorge zu lesen. Der kleine Franz, fast schon ein Jahr alt, wurde immer wieder von schlimmen Fieberanfällen gequält. Die Mutter kümmerte sich rührend um ihr Söhnchen und betete viel. Auch der Vater saß oft lange an dessen Bett und hielt stille Zwiesprache mit Gott. Die schwache Natur seines Sohnes betrübte ihn zusehends. Anna Liszt legte ihrem Mann die Hand auf die Schulter und sagte: „Kommen Sie, das Essen ist angerichtet.“ Adam Liszt nickte und folgte seiner Frau in das Nebenzimmer. Während des Essens war er schweigsamer als sonst. Er hatte Angst um seinen Sohn, sah seine Träume verblassen, die er seit Franzls Geburt genährt hatte. Seine Frau sah ihn an, merkte, dass er ihren Blick nicht wahrnahm. Die Gedanken ihres Mannes waren weit weg. Sie legte ihr Besteck zur Seite. „Adam, wir sind alle in Gottes Hand. Ich glaube fest daran, dass unser Sohn gesund wird. Du solltest das auch tun.“ Liszt schaute seine Frau verwundert an und lächelte. Sie duzte ihn selten. Die liebevolle Vertrautheit, die sie füreinander empfanden, äußerte sich gewöhnlich nicht im Alltag. Da sprach sie auch schon weiter. „Ich kenne Deine Träume, Adam. Und ich weiß, dass Du Dich nicht ganz freiwillig entschlossen hast, um Deine Versetzung in dieses Dorf hier zu ersuchen.“ Ihr Mann war mit einem Mal ganz aufmerksam. Er betupfte sich die Mundwinkel mit der Serviette und erwiderte: „Ach, Anna, nach Raiding zu gehen, in diese Abgeschiedenheit, tausende fürstliche Schafe und deren Hirten zu betreuen, das war wirklich keine leichte Entscheidung. Ein paar Gehöfte, der Bach, nicht einmal eine Kirche, nur Weinberge, Wald ringsum und dann diese riesige Herde. Ich bin Fürst Esterházy, dem ich diesen Aufstieg verdanke, verpflichtet. Was hätte ich denn tun sollen? Die Familie meines Vaters brauchte ja Hilfe und jetzt können wir sie unterstützen. Na ja, und es geht uns ja schließlich nicht schlecht dabei.“ Die Worte klangen, als wollte er sich vor sich selbst rechtfertigen. Er hatte keinen Anlass zu echter Betrübnis, wenn nicht die Musik wäre und seine wehmütigen Erinnerungen. Eisenstadt! Das war seine große Zeit gewesen. „Ja, Adam“, fuhr Anna fort. „Deine Stellung hier ist ausgezeichnet und schau’, ich lebe gern hier, beklage nichts.“ Lächelnd, und um seinen Unmut etwas einzudämmen, fuhr sie fort: „Bis zur Kirche in Unterfrauenhaid ist es ja gar nicht so weit. Es ist der Hof, nicht wahr? Du vermisst den Hof, das rege musikalische Treiben, das Du in der Nähe des Fürsten erlebt hast und...,“ „Ja, Du hast Recht.“, wurde sie sogleich von ihrem Mann unterbrochen, „Am meisten vermisse ich die Musik. Sie hat das Leben in Eisenstadt ausgemacht, hat mich erfüllt. Meine Fähigkeiten waren anerkannt, auch wenn ich nur als Beamter im Dienste Esterházys stand. Du weißt es wohl, ich spielte im Orchester das zweite Cello und bei den Konzerten trug ich, wie alle anderen, die Orchesteruniform.“ Eine Weile war es still im Raum. Liszt hatte sich so in seine Erinnerungen hineingeredet, dass sein Blick ganz verklärt war. Mit einem Mal hatte er einen sehr glücklichen Ausdruck im Gesicht. Leise und voller Ehrfurcht sagte er: „Ich war dabei, als Beethoven die Uraufführung seiner C-Dur-Messe dirigierte.“ Wieder war es still. Und als schüttelte er die Erinnerung von sich ab, fuhr er seufzend fort: „Beethoven, was für ein Meister! Hummel und einstmals Haydn! Ich lebte am Hof in einer ganz anderen Welt, in einer Welt, die voller Musik war. Ich musizierte ständig und mein Klavierspiel war ausgezeichnet. Das darf ich in aller Bescheidenheit sagen. Geige, Gitarre, sogar komponiert habe ich ganz anständig. Denk nur an das Te Deum, das ich dem Fürsten gewidmet habe.“  

Adam Liszt lächelte in sich hinein...

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