Geschichte der NATO

Nach dem 1947 geschlossenen Interamerikanischen Verteidigungspakt („Rio-Pakt“) ist die seit 1949 bestehende NATO das zweitälteste militärische Bündnis von erheblicher Bedeutung. Die englische Abkürzung „NATO“ steht für „North Atlantic Treaty Organization“. Im französischen Sprachraum wird der Pakt in der Regel als „OTAN“ („Organisation du traité de l’Atlantique Nord“) bezeichnet. Für die Gründung der NATO kurz nach dem Zweiten Weltkrieg war ursprünglich in der Planungsphase die im Nachhinein als abwegig empfundene Befürchtung vor einem erneuten militärischen Erstarken Deutschlands ausschlaggebend. Mit dem Ausbruch des Kalten Krieges ab spätestens 1947, in dessen Zentrum der durch den Zweiten Weltkrieg zeitweise überdeckte fundamentale Gegensatz von USA und Sowjetunion stand, änderte sich die Ausrichtung des angestrebten Bündnisses entscheidend.

Gründungsphase
Vorläuferorganisation der NATO war der offiziell noch gegen eine mögliche neue deutsche Militärmacht gerichtete Brüsseler Pakt (BTO) von 1948, in dem sich Großbritannien, Frankreich und die Benelux-Staaten zu einem Bündnis zusammentaten. Tatsächlich war der Pakt aber als
Vorstufe für ein die USA einschließendes Großbündnis gegen die zunehmend als Bedrohung empfundene Sowjetunion konzipiert. Nach entsprechenden, unter dem Eindruck der sowjetischen Berlin-Blockade stehenden Verhandlungen der BTO-Staaten mit den USA sowie sechs weiteren Staaten (Kanada, Italien, Norwegen, Portugal, Dänemark und Island) wurde am 4. April 1949 in der US-Hauptstadt Washington der Nordatlantik-Vertrag, die Gründungsakte der NATO, unterzeichnet. Kernpunkt des Vertrags ist Artikel 5, nach dem die NATO-Mitglieder unter Berufung auf das in Artikel 51 der UNO-Charta 1945 festgeschriebene Recht der kollektiven Selbstverteidigung, bei einem Angriff auf eines der NATO-Mitglieder zum Beistand berechtigt sind („Bündnisfall“). Diese Berechtigung stellt allerdings keine unmittelbare Verpflichtung dar, zu bestimmten militärischen Aktionen überzugehen. Statt eines Automatismus, wie in früheren Bündnissystemen üblich, stellt der Nordatlantikvertrag den NATO-Mitgliedern - zumindest formal - frei, welche Maßnahmen sie für geeignet halten, dem Bündnisfall zu entsprechen.

Beitritte
1952 sind die Türkei und Griechenland der NATO beigetreten. Drei Jahre später folgte die Bundesrepublik Deutschland, die mit diesem Schritt wieder Wehrhoheit erhielt und endgültig in die „westliche Staatenfamilie“ aufgenommen wurde. 1966/67 trat Frankreich aus der militärischen Einbindung der NATO aus, blieb aber NATO-Mitglied. 1982 wurde Spanien NATO-Mitglied. Der ersten Osterweiterung 1999 (Polen, Tschechien, Ungarn) folgte 2004 die im postsowjetischen Russland als massiver Affront aufgenommene zweite Osterweiterung, durch die die drei baltischen Staaten, Rumänien, Bulgarien, die Slowakei und Slowenien NATO-Mitglieder wurden. Mit der Aufnahme von Albanien und Kroatien 2009 stieg die Mitgliederzahl auf 28 an.

Organisation
Die NATO ist von Anfang an nicht nur als militärisches Bündnis, sondern auch als supranationale politische Organisation, in der das Konsensprinzip gilt, aufgebaut worden. Wichtigstes politisches Entscheidungsgremium ist der Nordatlantik-Rat, der seit 1967 seinen Sitz in Brüssel hat. An Spitze des Nordatlantik-Rates steht der NATO-Generalsekretär, der traditionell stets ein Europäer ist. Seit dem 1. Oktober 2014 nimmt der Norweger Jens Stoltenberg diese Funktion wahr. Als bisher einziger deutscher NATO-Generalsekretär fungierte von 1988 bis 1994 Manfred Wörner.
Höchstes militärisches Gremium ist der NATO-Militärausschuss in Brüssel. An der Spitze der militärischen Befehlskette als dem NATO-Hauptquartier SHAPE in Mons, Belgien, vorstehender „Supreme Commander“ befiehlt stets ein US-Amerikaner. Seit 2013 ist Luftwaffengeneral Philip Breedlove oberster NATO-Soldat.

Nordatlantik-Raum-Verteidigung
Als erste Verteidigungs-Doktrin der NATO wurde 1950 vom Nordatlantik-Rat das „Konzept zur Verteidigung des nordatlantischen Raums“ aufgestellt. Damals spielte die im Aufbau begriffene NATO noch lediglich eine relativ untergeordnete Rolle in den Militärplanungen der das Bündnis dominierenden USA. Kernstück des Konzepts war die dauerhafte Stationierung einer strategischen Bomberflotte in Europa. Vor allem aber sah das Konzept den planmäßigen Aufbau von militärischen Ressourcen der europäischen Bündnispartner vor, um einer befürchteten Aggression der Sowjetunion begegnen zu können.

Vorneverteidigung
1952 wurde das Konzept der Nordatlantik-Raum-Verteidigung
durch die Vorneverteidigung abgelöst. Danach sollte ein feindlicher Angriff in Westdeutschland
an der Rhein-Linie solange aufgehalten werden, bis genügend eigene Kräfte mobilisiert worden wären, um selbst in die Offensive zu gehen. 1955, im Gründungsjahr des Warschauer Paktes, wurde dieses Konzept durch die ausdrückliche Option des Einsatzes atomarer Gefechtsfeldwaffen ergänzt.

Massive Vergeltung
Die Überlegenheit des Warschauer Paktes an konventionellen Waffen und Truppen sowie die Überlegenheit der USA im Atomwaffenbereich führten 1957 zur Aufstellung der NATO-Doktrin „Massive Vergeltung“. Danach musste der Warschauer Pakt bei einem Angriff sofort mit massiven US-Nuklearschlägen rechnen.

Flexible Response
In den 1960er Jahren wurde die umstrittene, von US-Präsident Eisenhower favorisierte „Massive Vergeltung“ als Reaktion auf die Vergrößerung der sowjetischen Atom-Arsenale zur bis zum Ende des Kalten Krieges 1990/91 geltenden Strategie der „Flexiblen Erwiderung“ gewandelt. Jetzt stand beim militärischen Krisenmanagement das Bemühen im Vordergrund, auf jede Aktion des Gegners mit einer angemessenen Erwiderung zu reagieren, die aber nicht zwangsläufig zu einem die Welt vernichtenden Atomwaffen-Schlagabtausch führen sollte.

Nach dem Kalten Krieg
Nach der Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und nach der Auflösung von Warschauer Pakt und der Sowjetunion 1991 schien der NATO für kurze Zeit die Existenzberechtigung entzogen worden zu sein. Neue Konfliktfelder mit den SU-Nachfolgestaaten ließen allerdings politische Forderungen nach Auflösung der NATO nicht mehrheitsfähig werden. Außer durch auf Abschreckung basierende Konzepte bemühte sich die NATO ab 1991 vermehrt durch Dialog und Zusammenarbeit Konflikte bereits im Vorfeld entschärfen zu können.

Bündnisfall 2001
Am 12. September 2011 erklärte der Nordatlantik-Rat zum ersten Mal in der Geschichte der NATO den Bündnisfall für gegeben an. Die Terroranschläge vom 11. September 2001 auf die New Yorker Twin Towers und das Pentagon hatten zu dieser Reaktion geführt. Durch den Bündnisfall sind die NATO-Staaten auf NATO-Ebene in die Lage versetzt worden, den USA in ihrem „Krieg gegen den Terror“ Beistand zu leisten. Die in der Öffentlichkeit und unter Völkerrechtlern nicht unumstrittene Erklärung des Bündnisfalls ist bis heute (Stand Dezember 2014) nicht aufgehoben worden.