Die Epochen der Literatur
Den Beginn der deutschsprachigen Literaturgeschichte
zeitlich genau festlegen zu können, scheitert an dem
Umstand, dass die wahrscheinlich ersten, im
Frühmittelalter verfassten Dichtungen in Liedform oder
anderen nichtschriftlichen Verbreitungsformen
veröffentlicht worden sind. Zu den ältesten schriftlich
erhaltenen Zeugnissen deutschsprachiger Literatur
gehören die in der Tradition altgermanischer Mythologie
stehenden „Merseburger Zaubersprüche“ (9. Jahrhundert).
Ebenfalls aus dem 9. Jahrhundert stammt das von den
Brüdern Grimm Anfang des 19. Jahrhunderts editierte,
älteste erhaltene Germanen-Heldenlied „Hildebrandslied“.
Die Heldenlieder-Gattung und die zum großen Teil in den
Klosterstuben geschriebenen, vorwiegend als fromme
Belehrungswerke konzipierten Reimwerke, wurden ab 1000
durch erste Prosawerke ergänzt.
Mit der Verfeinerung der höfischen Kultur im
Hochmittelalter fanden auch weltliche Themen Eingang in
Dichtkunst und Prosa, wenngleich religiöses Schriftwerk,
wie die „Predigten“ (um 1314) des Meisters
Eckart,
weiterhin von erheblicher Bedeutung bleibt. Zu den
herausragenden Werken dieser literarischen Epoche
gehören die Verslegende „Der arme Heinrich“ (um 1195)
von Hartmann von Aue und die dem Pfaffen Konrad
zugeschriebene, wahrscheinlich aber vom mehreren
anonymen Autoren um 1150 verfasste, monumentale (17.000
Verse) „Kaiserchronik“. Als wichtigste Sammlung
höfischer Lyrik gilt die in der ersten Hälfte des 14.
Jahrhunderts in der Schweiz entstandene, reich
illustrierte „Manessische Handschrift“, in der Werke von
fast 140 Autoren vereint sind.
Die nach französischem Vorbild vorgetragenen
Minnegesänge, eine Lyrik, die sich der Verehrung
anbetungswürdiger Frauen widmete, fällt in die Zeit des
Frühmittelalters. Sie hatte ursprünglich die Anbetung
der Heiligen Jungfrau zum Inhalt, bevor sie zur
Liebeslyrik wurde, die mit Minne das erotische Moment
thematisierte. Als ältester Minnesang lässt sich das
Falkenlied nachweisen, das dem Dichter Kürenberger
zugeschrieben wird, der nur als „Der Kürenberger“
bekannt war.
Walter von der Vogelweide, der Ende des 12. Jahrhunderts
bis etwa in die dreißiger Jahre des 13. Jahrhunderts
lebte, wird als der bedeutendste Mittelalter-Dichter
benannt.
Ab 1450 schlugen sich Humanismus und Reformation als die
entscheidenden geistesgeschichtlichen Entwicklungen der
Renaissance in der Literatur des deutschen Sprachraums
nieder. Wichtig war auch die Erfindung des größere
Auflagen ermöglichenden Buchdrucks. Neben gelehrten
Werken großer Humanisten machten deftig-rebellische
Moralsatiren, wie das in Reimpaaren verfasste „Das
Narren Schyff“ (1494) von Sebastian Brant, und Possen
Furore bei einem breiteren Publikum. Auch Ulrich von
Huttens politisch einflussreiche Schrift
„Gesprächbüchlein“ (1521) und vor allem die epochale
deutsche Bibelübersetzung (1522) von
Martin Luther sind
Höhepunkte dieser Epoche. Typisch für die deutsche
Renaissance sind auch Schwänke, Fasnachtsthemen und
Meistersänge. Erfolgreich waren auch anonym verfasste
Werke, wie zum Beispiel die lebenspralle, zum
Volksbuch-Genre gezählte Historien-Sammlung „Till
Eulenspiegel“ (1512).
Im 17. und beginnenden 18. Jahrhundert, der durch
politische Unsicherheit geprägten Barockzeit, spiegelte
die Literatur zum großen Teil das Lebensgefühl der
Epoche wider, das von der Allgegenwärtigkeit des
plötzlichen Todes und einer damit verbundenen
unmittelbaren Lebenslust bestimmt wurde. Viele der in
dieser Zeit entstehenden Sprach- und
Dichtergesellschaften sind mit ihrem Wirken dafür
hauptursächlich, dass die Lyrik (Sonett, Alexandriner)
die dominierende Literaturform des Barocks wurde. Neben
Martin Opitz, Jakob Böhme und Andreas Gryphius gehörte
Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen zu den
wichtigsten Literaten der Barockzeit. Grimmelshausens
Schelmenroman „ Der abenteuerliche Simplicissimus
Teutsch“ (1668) gilt als eines der wichtigsten Werke
deutscher Sprache.
Für die Literatur der Aufklärungszeit (etwa 1720 bis
1800) war das Leitmotiv der den Bürger bildenden
Belehrung charakteristisch. Im Vordergrund stand die
Abkehr von klerikaler und adliger Bevormundung, die
Freiheit von Angst und Aberglauben. Zu den
herausragenden Autoren dieser Zeit gehören der Philosoph
Gottfried Wilhelm Leibniz ( „Monadologie“, 1714), auch
der vor allem als Literaturtheoretiker einflussreiche
Johann Christoph Gottsched und Christian Fürchtegott
Gellert, der durch seine Fabeln bekannt geworden war.
Als Reaktion auf die von ihnen als zu sachlich und
emotionslos empfundenen Frühaufklärer formierten sich
zwei gefühlsbetonte Nebenlinien der
Aufklärungsliteratur. Die vor allem vom schwärmerischen
Friedrich Gottlieb Klopstock („Messias“) dominierte
„Empfindsamkeit“ sowie die knapp zwei Jahrzehnte (etwa
1767 bis 1785) andauernde Bewegung des „Sturm und
Drang“, in der eine ganze Generation von Johann Wolfgang
(von) Goethes Briefroman, „Die Leiden des jungen
Werther“ (1774) und von Friedrich Schillers Drama „Die
Räuber“ (1781) geprägt wurde. Aus dem „Sturm und Drang"
entwickelte sich die an den Idealen der Antike
ausgerichtete, deutsche Klassik, zu deren Großen neben
Schiller und Goethe auch Christoph Martin Wieland und
Johann Gottfried von Herder gehörten.
Der Klassik schloss sich die etwa von 1800 bis 1835
dauernde, Verinnerlichung betonende und das Mittelalter
heroisierende Romantik an, deren Autoren oft kleine
Literaturformen, wie Novelle oder Fragment, bevorzugten,
aber auch oft einen ausgeprägten Hang zu Phantasie und
Ironie pflegten. Typische Vertreter der romantischen
Literatur waren Clemens von Brentano, E. T. A. Hoffmann
und Novalis, der eigentlich Friedrich Freiherr von
Hardenberg hieß. Die „Blaue Blume“, die zum allgemeinen
Symbol der ganzen Romantik wurde, ist seinen
Romanfragmenten „Heinrich von Ofterdingen“ entlehnt.
Den Romantikern folgten nach einer kurzen
literaturhistorischen biedermeierlichen Sonderphase
zwischen 1835 und 1848, zu deren Vertretern unter
anderem Annette von Droste–Hülshoff gehörte, die Periode
des „Bürgerlichen Realismus“. Hierzu wird üblicherweise
bereits ein Teil des Werkes von Heinrich Heine, des
„Letzten Romantikers“ gerechnet.
Der „Bürgerliche Realismus“ (1848 bis etwa 1895) stellte
die bürgerlichen Werte in den Vordergrund. Dabei kam es
den Autoren, wie Conrad Ferdinand Meyer oder Gottfried
Keller, zunächst weniger auf eine Fortsetzung des 1848
gescheiterten Kampfes um Freiheit an, sondern auf die
Unterstreichung eines Wertekatalogs von Tugenden, die
als „gutbürgerlich“ angesehen wurden. In einer späten
Phase werden diese Tugendkonzepte allerdings im
kritischen Gesellschaftsroman von Theodor Fontane,
Theodor Storm und anderen Autoren nicht mehr
uneingeschränkt vertreten, sondern durchaus hinterfragt.
Aus dieser kritischen Haltung heraus entstand um 1880
die Strömung des Naturalismus, bei der die Gesellschaft
nicht mehr durch den Filter bürgerlicher Vorgaben
betrachtet wurde, sondern aus einem unverstellten,
naturalistischen Blickwinkel. Einer der herausragendsten
Naturalisten war Gerhard Hauptmann („Bahnwärter Thiel“,
1888; „Die Ratten“, 1911).
Die Zeit ab
1900 war von einem ausgesprochenen
Stil-Pluralismus geprägt, bei dem neben Naturalismus,
Symbolismus (Rainer Maria Rilke, Stephan George),
volkstümelnde Heimatkunst , „Moderne Epik“ (Heinrich
Mann, Hermann Hesse), Expressionismus, Neue Sachlichkeit
und Avantgarde nebeneinander die Kulturszene
beherrschten. Dabei gebührt dem lediglich von 1910 bis
1920 wirksamen Expressionisms (Alfred Döblin, Gottfried
Benn, Arnold Zweig) in der Literaturgeschichte als
letzte originär deutsche Literaturströmung von Bedeutung
besondere Aufmerksamkeit.
Nach der Machtübernahme durch die Nazis herrschte in
Deutschland die Tristesse der Blut-und-Bodenliteratur.
Die wichtigsten deutschen Autoren zwischen 1933 und 1945
schrieben im Exil (Thomas Mann, Bertolt Brecht).
In der unmittelbaren Nachkriegszeit mit ihrer
„Trümmerliteratur“ und der Gründung der
Autoren-Vereinigung „Gruppe 47“ wurden Autoren wie
Heinrich Böll, Siegfried Lenz, Günter Grass und Martin
Walser bekannt. Im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung
sahen sich die jetzt arrivierten Vertreter der „Gruppe
47“-Generation mit massiver Kritik aus den Reihen
nachrückender Autoren wie Hans Magnus Enzensberger,
Peter Handke, Ingeborg Bachmann oder Peter Weiss
konfrontiert, die sich Jahrzehnte später selbst
gegenüber neuen Schreibern behaupten mussten. Diesmal
gegenüber Pop-Lyrikern und Punk-Literaten des in den
1990er Jahre beginnenden Literatur-Booms mit jungen oder
jüngeren Autoren wie Christian Kracht, Karen Duve, Juli
Zeh und Bernhard Schlink.
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