Möbel in der Zeit von 1890 bis 1899
Die letzten beiden Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts gehörten, was den
kunstgeschichtlichen Stil anbetrifft, in die sogenannte Moderne. Das betraf auch
die Möbel. Um 1890 schloss das in Deutschland und Österreich die Gründerzeit
ein, eine Zeit, die von Fachleuten als eine Stilverwirrung angesehen wird. Erst
der folgende Jugendstil wurde als Stilepoche wieder anerkannt. In Frankreich
hieß diese Zeit Art Nouveau. Die Übergänge waren fließend, lassen sich nicht auf
genaue Jahreszahlen eingrenzen. Der Historismus (etwa 1850 bis 1900) am Ende des
Jahrhunderts, in den diese Stilepoche fiel, hatte durch die industrielle
Entwicklung in Europa die Manufakturen zurückgedrängt und in vielen
Produktionsbereichen wie Textilien und Möbeln eine Massenfertigung ermöglicht.
Die Möglichkeiten hatten sich vergrößert. Sie hatten auch der Inneneinrichtung
durch die Angebote der Möbelindustrie, die sich schwunghaft entfaltete,
eine neue Richtung gegeben. Um den Prunk der alten Zeiten ins eigene Heim zu
holen, favorisierten die Menschen Möbel aus der Gotik, nannten das Neugotik.
Möbel aus dem Barock wurden in den Nachahmungen zum Neobarock sowie die
Einrichtungsgegenstände des Rokoko im Nachbau als Neorokoko usw. benannt wurden.
Diese Möbel waren durchaus solide gefertigt, nur nicht mehr in akribischer
Handarbeit. Dass sie sich in vielen Haushalten der verschiedenen
Gesellschaftsschichten fanden, lag in erster Linie an der Bezahlbarkeit, wie sie
durch die Massenprodukten möglich wurde. Imitationen waren angesagt, die sich
auch in den Materialien von den Originalen unterschieden. Das Mobiliar war nicht
mehr so edel, durfte auch von geringerer Material sein, Hauptsache, es war für
(fast) jeden bezahlbar und es hatte zudem den Vorteil, dass man sich öfter
einmal etwas Neues anschaffen konnte.
Doch gerade das Jahrzehnt, das um 1890 begann, bewirkte im Möbelgeschmack eine
Wende. Die Kunst des soliden Handwerks war wieder in den Vordergrund gerückt und
wurde zur einfachen Massenherstellung eine ernst zunehmende Konkurrenz.
Allein die Ornamentik der Jugendstil-Möbel erforderte liebevolle Handarbeit.
Typisch für diese Stilepoche waren die floralen Elemente, die mit einer
geschwungenen, natürlichen Linienführung Sanftheit im Ausdruck vermittelte. Die
Blumenmuster verlangten geduldige und präzise Handarbeit, die die Möbel im
Gegensatz zu den preiswerten Massenprodukten sehr teuer machte. Sie waren
dennoch sehr beliebt.
In der Innenausstattung waren die Ideen ähnlich wie in der Architektur der
Gebäude. Wobei es für das Mobiliar eigene Vorstellung gab, die dem Bürgertum
angepasster waren und sich vom höfischen Stil des Adels entfernten.
Schränke beispielsweise hatten dezente Verzierungen, waren von praktischer Art
und erfreuen sich noch heute großer Beliebtheit. Sie hatten meist leicht
geschwungene Füße oder auch Kugelfüße, oft eine durchgehende Schublade über die
ganze Schrankbreite oder bei Kommoden eine obere Schublade.
Aufgesetzte Umrahmungen gaben ihnen einen nostalgischen Anstrich, der sich zwar
an eine vergangene Stilepoche anlehnte, sie aber nur wie ein Zitat darstellte.
Intarsienarbeiten machten ein Möbelstück besonders wertvoll, da man ihm dadurch
die Handarbeit ansehen konnte. Im Allgemeinen wurden die Möbel schlicht und
gerade gearbeitet. Die geschwungenen Elemente waren nicht vordergründig.
Es kam auch zu zahlreichen Stilmischungen. Ein bisschen Renaissance oder eine
Nachahmung eines antiken Möbelstückes waren nicht selten, wobei hier mit dem
Wort „antik“ tatsächlich die frühe Epoche gemeint ist, aus der es keine echten
Überbleibsel gab, außer auf Abbildungen. Alle Möbel, die einer älteren Epoche
entstammen, wurden damals aber schon generell als antik bezeichnet. Der Begriff
steht heute noch für wertvolle, alte Möbel.
Es wurden schon vor 1890 bestimmte Möbelstücke oder sogar ein bestimmter Stil
mit den Namen eines meisterhaften Tischlers (Michael THONET, 1796-1871, Thomas
CHIPPENDALE, 1718-1779) in Verbindung gebracht. Zum Ende des 19. Jahrhunderts
gehörte der Name des italienischen Designers und Architekten Carlo Bugatti
(1856-1940) zu dieser Riege. Bugatti – der Name stand für edle Schlichtheit im
Stil der italienischen Renaissance. Erstmals hatte er seine Möbel 1888 in
Mailand ausgestellt. Dieser Ausstellung folgte eine internationale in London,
die seinen Ruhm und damit den Bugatti-Stil begründete.
Nicht alles, was in diesem Jahrzehnt entstand, war gewöhnlich, Bugatti
beispielsweise war außergewöhnlich.