Geschichte der Zeugen Jehovas
Die christliche Religionsgemeinschaft „Jehovas Zeugen“
wird im üblichen deutschen Sprachgebrauch meist als „Zeugen Jehovas“ benannt.
Aber auch von offizieller Seite, wie z. B. in Urteilstext einer Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts vom 20. September 2000, taucht die Bezeichnung „Zeugen
Jehovas“ auf. Die Bezugnahme der „Zeugen“ auf Jehova geht auf die Überzeugung
zurück, dass der Name Gottes nicht „Jahwe“, wie von der herrschenden Meinung in
der christlichen Theologie vertreten, sondern „Jehova“ ist.
Die christliche Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas wird von einigen als
„Kirche“, von anderen als „Sondergemeinschaft“ oder als „fundamentalistische
Sekte“ bezeichnet. Ihren großen Bekanntheitsgrad verdanken Jehovas Zeugen vor
allem ihren intensiven Bemühungen durch Gesprächsangebote an der Haustür oder
durch das Anbieten ihres Schrifttums Interesse für ihre religiösen Überzeugungen
zu wecken. Weltweit gehören nach Angaben der Zeugen Jehovas mehr als acht
Millionen Menschen, davon etwa 170.000 in Deutschland, dieser in fast allen
Ländern aktiven Religionsgemeinschaft an.
Religiöse Grundausrichtungen
Der Glauben der Zeugen Jehovas gründet sich auf ihre spezifische Auslegung der
Heiligen Schrift. Danach stellen die Bibeltexte als irrtumsfreies Wort Gottes
absolute Wahrheit dar und damit die unbedingt zu beachtende Richtschnur für
Moral und eigene Lebensgestaltung. Auch werden bestimmte Bibeltexte als
prophetische Hinweise auf das Eintreten einschneidender Zeitereignisse
angesehen. Die konkret vorhergesagten Weltuntergänge (z. B. 1881, 1914, 1975)
sind allerdings nicht eingetreten.
Die Bibeltexte sind nach der Lehre der Zeugen Jehovas nicht zwingend wörtlich
aufzufassen, sondern häufig interpretationsbedürftig. Die durch die
Bibel-Exegese gewonnenen religiösen Vorstellungen sind in vielen Punkten
deckungsgleich mit denen der großen christlichen Konfessionen. In vielen Punkten
gibt es aber auch grundsätzliche Unterschiede. Eine dieser Abweichungen ist die
Ablehnung des Kreuzes als christliches Symbol. Nach Lehrmeinung der Zeugen
Jehovas ist Jesus nämlich nicht am Kreuz, sondern an einem Pfahl gestorben.
Jehova ist für die Zeugen Jehovas der ewige und gerechte Gott voller Liebe und
Weisheit. Er ist Schöpfer der Welt wie sie heute ist. Jehovas Zeugen lehnen in
diesem Punkt Erkenntnisse der modernen Wissenschaften, insbesondere der
Evolutionstheorie, ab. Für die den Langzeitkreationisten zugerechneten Zeugen
Jehovas waren die fünf ersten biblischen Schöpfungstage jeweils nahezu unzählige
Jahre lang. Den biblischen Chronologien der auf Adam und Eva folgenden
Generationen entsprechend ist der sechste Schöpfungstag als Beginn der
Menschheitsgeschichte für Zeugen Jehovas gerade einmal etwa sechstausend Jahre
her.
Zu den wichtigsten Unterschieden der Zeugen Jehovas zu den evangelischen und
katholischen Kirchen gehört die Ablehnung der Dreieinigkeit. Danach gibt es
keinen dreifaltigen Gott, sondern nur einen einzigen Gott, dem dessen Sohn Jesus
als „mächtiges Geschöpf“ beigeordnet ist. Der Heilige Geist, das dritte Element
bei den die Trinitäts-Vorstellung vertretenen Konfessionen, ist für Zeugen
Jehovas Teil Gottes als dessen schöpferische Kraft.
Anders als die meisten anderen Christen lehnen die Zeugen Jehovas das
Vorhandensein individueller Seelen, die nach dem Tod ins Himmelreich gelangen,
ab. Stattdessen wird von einer sterblichen Seele als Ausdruck des ganzen
Menschen ausgegangen. Diese Seele stirbt beim Tod. Auferweckung ist für die
Menschen wegen des Opfertodes Jesu möglich, vorausgesetzt sie haben ihr Leben
gemäß der Regeln der Zeugen Jehovas gottgefällig geführt und gehörten so zur
einzig wahren Christenversammlung. Nur diese Menschengruppe würde bei der
Wiederankunft Jesu auferstehen und dann ewig in einem Paradies auf Erden leben.
144.000 besonders Auserwählte werden nach diesem Glauben an der Seite Gottes vom
Himmel aus das Königreich Gottes regieren. Diesem mit einem „Tausendjährigen
Friedensreich“ beginnenden Idealzustand geht eine von Krisen und Chaos bestimmte
endzeitliche Phase der „Letzten Tage“ voraus, die mit einem ultimativen Gefecht
endet: In der Schlacht von Harmagedon wird Christus Satan und alle anderen
Feinde Gottes schlagen.
Organisation und Publikationsorgane der Zeugen Jehovas
Ab
2007 wurde der Zeugen-Gemeinschaft in den deutschen Bundesländern der Status
als Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) zuerkannt. Sie hat dadurch
den gleichen mit Privilegien und besondere Staatstreue (strittig) verbundenen
Rechtsstatus wie die evangelischen Landeskirchen, die katholischen Bistümer,
jüdische Verbände wie die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg oder muslimische
Verbände wie die Ahmadiyya-Gemeinde in Hamburg erhalten.
Die Zeugen Jehovas sind männerorientiert und streng hierarchisch organisiert.
Die Basis-Organisationseinheit ist eine „Versammlung“ genannte Laien-Gemeinde
ohne Priester. Sie wird regelmäßig von „Aufsehern“ genannten Abgeordneten der
übergeordneten Regionalstufen überprüft. Die Aufseher setzen die
Versammlungs-Ältesten ein. An der Spitze der weltweit in einer Vielzahl von
Rechtsformen organisierten Versammlungen steht die als Zentraleinrichtung
fungierende Wachturm-Gesellschaft (WTG) („Watch Tower Bible and Tract Society of
Pennsylvania“) mit Sitz in New York. Es gibt eine Reihe von Zweigniederlassungen
wie die für den deutschsprachigen Raum zuständige „Wachtturm Bibel- und
Traktat-Gesellschaft“ in der Taunus-Gemeinde Selters. Federführend in der WTG
ist die aus neun Männern bestehende „Leitende Körperschaft“, die sich als Gruppe
„treuer und verständiger Sklaven“ Jesu versteht und dessen Anweisungen und
Bibelauslegungen weltweit zu folgen ist. Ihr zugeordnet sind Verwaltungs- und
Verlagsgesellschaften sowie Fachkomitees.
Die WTG bringt neben Bibelübersetzungen und zahlreichen religiösen Schriften vor
allem die Monatszeitschriften „Der Wachtturm“ und „Erwachet!“ in zweistelligen
Millionenauflagen heraus. Auch im Non-Print-Bereich ist die WTG beziehungsweise
sind die Zeugen Jehovas unter anderem mit dem Portal JW.ORG aktiv.
Rituale, Pflichten und Lebensgestaltung
Zeugen Jehovas lehnen die üblichen christlichen Feste und Feiern sowie die
Kindertaufe ab. Getauft werden allein „Verständige“, also Erwachsene und fast
erwachsende Jugendliche. Einzig das Abendmahl wird als religiöse Feier begangen
und zwar einmal im Jahr.
Die Angehörigen einer Versammlung kommen in der Regel zweimal wöchentlich zu
„Zusammenkunft“ genannten Treffen zusammen, die sowohl Gottesdienst- als auch
Studienkurs-Charakter haben. Bei den von Ältesten geleiteten Zusammenkünften
wird gebetet, gesungen und sich intensiv mit Bibelstellen auseinandergesetzt.
Ferner werden Ansprachen gehalten. Regional und überregional werden regelmäßig
Kongresse mit tausenden Teilnehmern veranstaltet.
Eine der Hauptpflichten der Zeugen Jehovas ist die Missionierung von
Nichtgläubigen. Dementsprechend bezeichnen sich die Gläubigen als „Verkündiger“.
Schulung für die Missionsarbeit und die „Predigtdienst“ genannte Straßenmission
beanspruchen die Gläubigen zeitlich erheblich.
Zu den bekanntesten der auf Bibelstellen gründenden Verbote für Gläubige gehört
das Verbot, Blut zu sich zu nehmen. Dabei ist nicht nur der Verzehr von Blut
untersagt. Auch Bluttransfusionen stellen eine Verletzung religiöser
Vorschriften dar. In der Konsequenz begeben sich Zeugen Jehovas im Zusammenhang
mit medizinischen Behandlungen bei Beachtung dieser Vorschrift nicht selten in
Lebensgefahr. Untersagen Erziehungsberechtigte Bluttransfusionen bei
Minderjährigen, so wird ihnen in Deutschland regelmäßig durch Richterspruch die
Vertretungsbefugnis in diesem Fall entzogen. An ihrer Stelle entscheidet dann
das Gericht zum Schutz des Kindeswohls nach den ärztlichen Vorgaben und erlaubt
die Bluttransfusion.
Verstöße gegen die Regeln der Gemeinschaft können den Ausschluss zur Folge
haben. Das bedeutet für die Betroffenen in der Regel nicht nur das Ende ihrer
Mitgliedschaft, sondern auch den Abbruch enger sozialer und verwandtschaftlicher
Beziehungen .
Die Zeugen Jehovas vertreten im Familienbereich überaus
patriarchalisch-konservative bis reaktionäre Einstellungen. Zudem werden
Homosexualität und vorehelicher Sex abgelehnt. Die gängige Praxis, die eigenen
Kinder im Sinne der Religion einzubinden, stösst in der Öffentlichkeit immer
wieder auf erhebliche Kritik. Die Haltung der Zeugen Jehovas zu staatlichen
Organisationen und Rechtsvorschriften ist ebenfalls oft Gegenstand von Kritik.
Die Haltung wird aber auch gelegentlich – so z. B. im Zusammenhang mit der
Verweigerung des Kriegsdienstes - mit Hochachtung bewertet. In manchen Staaten
ist die Jehova-Religionsgemeinschaft verboten.
Geschichte der Zeugen Jehovas
Die Ursprünge der Zeugen Jehovas gehen auf die von dem US-Amerikaner Charles
Taze Russell (1852 – 1916) gegründete Bibelforscherbewegung zurück. Russell war
der Sohn eins Kongregationalisten-Predigers. Zweifel an der Religionsausübung
seines Vaters inspirierten ihn zu einem intensiven Bibel-Studium. Als
18-jähriger organisierte er einen Kreis zur Erforschung der Bibel. Seine
Erkenntnisse veröffentlichte er seit 1879 in der von ihm verlegten Zeitschrift „Zions
Watch Tower“. 1881 gründete Russell die „Zion’s „Watch Tower Tract Society“.
Daraus entwickelte sich eine von Russell als Präsident geleitete chiliastische
Bewegung, an deren Spitze nach Russells Tod ein von ihm testamentarisch
bestimmtes Leitungsgremium rückte. Die bald über die Grenzen der USA
missionarisch tätige Bewegung erlebte in den weiteren Jahrzehnten einige
Spaltungen. 1931 gaben sich die in der Tradition von Russell stehenden
Bibelforscher ihren bis heute geltenden Namen.
In Deutschland wuchs die Mitgliedschaft der „Bibelforscher“ in der Weimarer
Republik von 1918 bis Ende der 1920er Jahre von etwa 5.000 auf ungefähr 25.000
an. Bereits vor 1933 Anfeindungen, insbesondere von rechts, ausgesetzt, wurden
sie in der Nazi-Zeit regelrecht verfolgt. Vor allem ihre Überzeugung von der
grundsätzlichen Gleichheit aller Menschen und die Verweigerung des Kriegsdiensts
brachten sie in Konflikt mit dem NS-Regime. Hunderte kamen ins KZ.