Das Literaturjahr 2007 -
Französische Schriftsteller schufen im 20.
Jahrhundert zahlreiche experimentelle Werke, die den
normalen Lesefluss deutlich beeinträchtigen oder
irritieren sollten. Von den Dadaisten über die
Surrealisten zur Oulipo-Gruppe um Raymond Queneau
und George Perec herum, zu der auch Italo Calvino
oder Oskar Pastior gehörten, und die „potentielle
Literatur“ schuf, bei der z. B. der Buchstabe E
weggelassen oder ein Roman verfasst wurde, der sich
sowohl von hinten als auch von vorne lesen ließ, war
auch Alfred Jarry einer der Hauptakteure einer
Zerstörung formaler Zwänge und Aufhebung
literarischer Gesetze.
Er schuf Werke wie König Ubu oder Doktor Faustroll,
wobei letzterer Präger der von Jarry erfundenen
Pataphysik war und das Paradox feierte. Das absurde
Wissenschafts- und Philosophiekonzept nahm dabei mit
Freude die modernen
Wissenschaftsmethoden auf den Arm, wobei die
scheinbar logischen Theorien in einen spannenden
Spiritualismus führten. Es galt dabei auch, die
Metaphysik zu überwinden, wobei selbst der Zufall
und der Humor als eine konzeptualistische Größe
berücksichtigt und von Künstlern wie Marcel Duchamp
oder John Cage aufgegriffen wurden. 2007 war der
100. Todestag des kreativen Schriftstellers, der
bereits sehr jung, im Alter von 34 Jahren an
Tuberkulose starb. Er prägte eine Zeit mit, die die
Literatur in neue Richtungen führte. Durch die
Einflüsse von Jarry und co waren dann auch moderne
Bucherscheinungen wie „Das Haus“ von Mark Z.
Danielewski möglich, das 2007 in deutscher Sprache
beim Klett-Cott-Verlag erschien und durch seinen
sprachlich visuellen Aufbau beeindruckte.
Einen einschlagenden Erfolg, der nicht nur zu einem
zweiten und dritten Teil, sondern auch zu Verfilmung
und zur Umsetzung als
Computerspiel führte, hatte der Roman
„Metro 2033“ von Dmitry Glukhovsky. Hier geht es um
das Leben in
Moskau nach einem Atomkrieg, wobei die
Überlebenden unterhalb der Erde in der teilweise
zerstörten Metro agieren und in einzelnen
Gruppierungen einen Krieg gegeneinander führen.
Protagonist ist ein junger Russe namens Artjom, der
die Bedrohung durch schwarze Mutanten bereits als
Vision vorhersieht und in der Metro geboren wurde.
Als er zum ersten Mal die echte Welt erblickt,
erschreckt ihn der Anblick des Himmels. Von ihm
hängt es ab, wie sich die Lage entwickelt. Dabei
muss er bald feststellen, dass die angebliche Gefahr
durch die Mutanten einen anderen Hintergrund hat und
sie im Gegenteil mit ihm telepathisch Kontakt
aufnehmen wollten, um eine Veränderung der
Lebensweise zu bewirken. Mit sprachlicher Brillanz
und spannender Handlung gelang Glukhovsky eine
fiktive Geschichte mit echten Bezugspunkten und
filmreifen Sequenzen, bei denen auch die Philosophie
nicht fehlte. Interessanterweise hatte der Leser bei
diesem Werk Einfluss auf den Entstehungsprozess, da
Glukhovsky Teile bereits vorab im Internet
veröffentlichte und an die Meinung der Leser
anpasste. Die beiden folgenden Teile hießen „Metro
2034“ und „Metro 2035“.
Noch etwas düsterer und faszinierend in Tiefe und
Atmosphäre war „Die Straße“ von Cormac McCarthy, ein
Buch, das wohl eines der besten des Schriftstellers
ist und etliche Preise erhielt. Auch in dieser
Geschichte geht es um eine postapokalyptische Welt,
in der ein Vater mit seinem Sohn zu überleben
versucht. Die Spannung baut sich dabei alleine durch
die Reise der beiden und die überall lauernden
Gefahren auf. Die von McCarthy hervorragend
dargestellte Innenschau der Figuren erlaubt dem
Leser die direkte Wahrnehmung aller Empfindungen der
Protagonisten. Kritiker verwiesen sogar auf eine
biblisch alttestamentarische Wirkung der Erzählung.
Das Werk berührte und wühlte zugleich auf. Der
dazugehörige Film wurde bei den Filmfestspielen in
Venedig zwei Jahre später uraufgeführt.
Die bereits
1942 in Auschwitz ermordete Schriftstellerin
Irene Nemirovsky wurde gute 60 Jahre später
wiederentdeckt. Insbesondere beeindruckte ihr Werk
„Suite francaise“, das zwar unvollendet blieb,
jedoch emotional vom Kriegsgeschehen, darunter von
der Flucht französischer Intellektueller aus
Paris
und vom Leben unter der Besetzung der Deutschen
erzählt, wobei deutsche Offiziere nicht immer ein
grausames Gesicht zeigen. 2007 erschien von
Nemirovsky „Die Hunde und die Wölfe“, einer der
letzten Romane der Schriftstellerin vor ihrem Tod.
Hier geht es um verschiedene Erzählebenen mit der
Basis literarisch bekannter Motive, darunter Dantes
„Göttlicher Komödie“ oder Stücke von Shakespeare.
Erzählt wird das Leben der Ada Sinner, die in einem
Judenghetto in der Ukraine aufwächst, nach Paris
emigriert und in den 30er Jahren aus Frankreich
ausgewiesen wird.
Zu den großen Erzählerinnen gehörte auch Doris
Lessing, von der 2007 „Die Kluft“ erschien und die
im gleichen Jahr mit dem Literaturnobelpreis geehrt
wurde. Das Werk wirkte wie eine Spielerei mit der
Schreibmaterie, bestehend aus Autobiografie, Roman
und Essay, und hinterließ bei Kritikern und
Rezensenten dann doch eher einen ernüchternden
Eindruck. Es strotzte vor Klischees, die besonders
die Geschlechterrollen und die häufig damit
verbundenen ideologisch geprägten Vorurteile
betrafen. Männer handeln, Frauen sind. Lessing
unternahm den Versuch, eine Welt jenseits der
Rivalität und Intrigen zu zeigen und zu den
Ursprüngen der Menschheit zurückzukehren. Es geht um
eine Gesellschaft ohne Männer, in der die Frauen das
Sagen haben und die Geburt männlicher Nachkommen auf
einmal das Leben durcheinander bringt, wodurch die
Gemeinschaft in Gefahr gerät.
Den Nobelpreis erhielt Lessing für ihr Engagement
innerhalb der feministischen Literatur und durch
ihre Rolle als „Epikerin weiblicher Erfahrung“.
Mit dem Deutschen Buchpreis wurde die Autorin Julia
Franck für ihren Roman „Die Mittagsfrau“
ausgezeichnet. Thematisiert werden darin
verschiedene Zeiten, so die Ereignisse nach dem
Ersten Weltkrieg, die Weimarer Jahre, das Leben im
Naziregime und in den Wirren der Nachkriegszeit.
Viele Geschichten des Romans basieren dabei auf
wahren familiären Begebenheiten der Autorin. So
wurde ihr Vater tatsächlich nach Kriegsende von der
eigenen Mutter auf einem Bahnsteig ausgesetzt. Sie
forderte ihn auf zu warten und kam nicht wieder
zurück. Franck selbst versuchte herauszufinden, was
ihre Großmutter veranlasst hatte, ihr Kind zu
verlassen und es ihr Leben lang zu verleugnen. Sie
fand zwar keine Antworten, da diese bereits
verstorben war, schrieb dafür jedoch ihre eigene
Interpretation des Ganzen.
Buch Bestseller 2007 Deutschland
Daniel Kehlmann – Die Vermessung der Welt
Andrea Maria Schenkel – Tannöd
Donna Leon – Wie durch ein dunkles Glas
Tommy Jaud – Millionär
Andrea Maria Schenkel – Kalteis
Cornelia Funke – Tintentod
Julia Franck – Die Mittagsfrau
Joanne K. Rowling – Harry Potter und die Heiligtümer
des Todes
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