1936 - düster und
menschenfeindlich
Das Jahr
1936
gehört in eine Zeit, die für Deutschland dunkel aus der
Vergangenheit hervor schaut. Die demokratische Phase,
die nach dem Ersten Weltkrieg zur Weimarer Republik
geführt hatte, war vorbei. Als
Adolf Hitler
im Januar
1933 Reichskanzler wurde, erstarkte auch die
Macht der Nationalsozialistischen Deutschen
Arbeiterpartei, der NSDAP. Nur sechs Jahre später brach
der Zweite Weltkrieg aus.
Doch zunächst läutete der Propagandaminister Joseph
Goebbels das Jahr 1936 ein, in dem er den Menschen die
Lebensmittel-Knappheit erklärte. Er hielt sie nämlich
für eine Belanglosigkeit. Nach seinen Worten könne man
durchaus einmal ohne
Butter auskommen, aber nie ohne Kanonen. Die
Worte verfehlten allerdings ihre beruhigen de Wirkung.
So einsichtig ist kein leerer Magen. Doch da das Jahr
mit einem sportlichen Großereignis begann, hofften die
Machthaber auf genügend Ablenkung. Im
Februar 1936
fanden die IV. Olympischer Winterspiele statt. Der
Reichskanzler Adolf Hitler eröffnete sie in
Garmisch-Partenkirchen und Sportler aus 28 Nationen
kämpften um die Medaillen. Das Jahr blieb sportlich,
denn noch vor dem nächsten großen Wettkampfereignis im
Sommer brachte sich
Max
Schmeling in die Schlagzeilen. Sein
spektakulärer Sieg am 19.6.1936, den er in New York mit
einem k. o. über Joe Louis in der 12. Runde errang,
wurde zu einem Datum, das Freunde des Boxsports noch
heute kennen. Fußballfreunde werden wissen, dass es das
Jahr 1936 war, in dem Sepp Herberger die Deutsche
Nationalmannschaft in seine Obhut nahm. Doch all das
geschah im Schatten eines anderen sportlichen
Höhepunktes. Als am
1. August
vor 100.000 Zuschauern in Berlin die Olympischen
Sommerspiele eröffnet wurden, blickte die Welt auf eine
gigantische Sensation, in der neben dem Sport die
Propaganda im Vordergrund stand. In Erinnerung blieben
unbedingt die vier Goldmedaillen, die Jesse Owens
errang. Damit war der Amerikaner der erste Athlet, dem
so etwas gelungen war. Umstritten ist heute noch, wie
groß die Freude des Reichskanzlers darüber war.
Schließlich war Jesse Owens weder blond noch blauäugig.
Er war ein dunkelhäutiger Spitzensportler, der mit
hervorragenden Leistungen aufwartete. Das war
unstrittig, wenn auch nicht sehr passend im Sinne der
deutschen Propaganda. Doch die Siege der deutschen
Athleten waren ebenfalls überragend. Immerhin holten sie
insgesamt 32 Medaillen heim ins Reich.
Ganz im Zeichen der Olympiade trugen die deutschen
Frauen eine
Frisur,
die unter dem Namen „Olympiarolle“ bekannt wurde. Die
Haare waren im Nacken nach oben eingeschlagen und zu
einer Rolle gelegt worden. Diese Frisur war dem
Haarschnitt einer
Puppe
nachempfunden, die ein Mann namens Franz Döbrich nicht
für die Olympiade, sondern für die Firma Schildkröt
entwickelt hatte. Diese Haartracht wirkte bieder,
entsprach dem Frauenbild der Zeit und fand deshalb
schnell Verbreitung.
Die Zeiten waren bedrohlich, doch viele Menschen waren
von den Reden des Führers begeistert. Er hatte eine
suggestive Wirkung auf seine Zuhörer. Dessen ungeachtet
wurde in Deutschland der Wehrdienst verlängert und
dauerte nun statt einem Jahr zwei Jahre. Die
Kundgebungen am
1. Mai arteten zu riesigen Massenaufmärschen
aus, die ganz im Sinne des nationalsozialistischen
Regimes waren. Sie waren beeindruckend, sie waren
beängstigend, die Menschen jubelten wie in Trance. Zudem
wurde angeordnet, dass Brautpaare zu ihren Glückwünschen
ab sofort ein Buch geschenkt bekommen sollten: „Mein
Kampf“. So brachte sich der Führer mit in die Ehe ein.
Doch es gab Gegner, die die Zeichen der Zeit erkannten
und versuchten, auf die Gefahren aufmerksam zu machen.
Sie riefen zu einer Volksfront gegen das Regime der
Nationalsozialisten auf. Aus
Paris taten
das Emigranten, deren Namen später noch in der
Politik
Aufsehen erregten. Da war beispielsweise der
Sozialdemokrat
Willy Brandt, dessen politische Arbeit nach dem
Zweiten Weltkrieg den Berlinern in Erinnerung geblieben
ist. Immerhin war er von 1957 bis 1966 Berlins
Regierender Bürgermeister, bevor er drei Jahre später
Bundeskanzler wurde. Da war auch Walter Ulbricht, der
u.a. in Paris illegal für die Kommunistische Partei
Deutschlands tätig war. Später nahm man ihn als
Staatsratsvorsitzenden der
DDR mit
Skepsis wahr, denn sein Ausspruch im
Juni 1961,
niemand hätte die Absicht, eine Mauer zu errichten,
stieß die Menschen in Ost und West vor den Kopf, denn
kurz danach, im
August
1961, wurde die Mauer gebaut. Sie wurde seitens
der DDR als Antifaschistischer Schutzwall bezeichnet,
war aber eine deutliche Trennung zweier Deutscher
Staaten und für die Menschen eine Belastung für die
nächsten 38 Jahre. Aber davon ahnte im Jahre 1936 noch
niemand etwas.
In Deutschland kämpften die Menschen um ihr tägliches
Brot und um ihre Arbeit, während im selben Jahr
Spanien vom
Bürgerkrieg erschüttert wurde. Der spanische General
Francisco Franco und die demokratischen Aufständischen
lieferten sich einen unerbittlichen Kampf, bei dem
Franco von der Deutschen Wehrmacht unterstützt wurde.
Die berühmt-berüchtigte „Legion Condor“, deren
Operationen Franco zum Sieg verhalfen, bekämpfte
Zivilisten und verbuchte die ersten Gräueltaten der
Deutschen Wehrmacht für sich. Dagegen hatten die
Internationalen Brigaden, die den Aufständischen aus
aller Welt zu Hilfe gekommen waren, keine Chance.
Nachhaltig blieb die Bombardierung der Basken-Stadt
Guernica in Erinnerung, die deutsche Flieger zu
verantworten hatten.
Pablo Picasso hielt diese Schreckenstat in
seinem berühmten Bild „Guernica“ fest und stellte es auf
der Weltausstellung 1937 in Paris als Wandgemälde aus.
Der Spanische Bürgerkrieg war die Generalprobe, die
eigentliche „Vorstellung“ sollte 1939 beginnen.
Die dreißiger Jahre
hatten nichts vom Charme der sogenannten
Goldenen Zwanziger. Dennoch wurden Filme
gedreht, es wurde Musik gemacht und als in Berlin die
beiden renommierten Schauspieler Marianne Hoppe und
Gustav Gründgens heirateten, sorgte das für heitere
Schlagzeilen. Marika Rökk drehte mit
Johannes Heesters den Operettenfilm „Der
Bettelstudent“. In Sachen
Literatur machte Margaret Mitchells Roman „Vom
Winde verweht“ in Amerika Furore. Der
Film,
der nach dem Roman 1939 entstand, wurde mit 10 Oscars
ausgezeichnet. Er gehört in der Geschichte des Films zu
den größten kommerziellen Erfolgen. Die Geschichte von
Scarlett O’Hara und Rhett Butler kennt heute noch fast
jeder.
Dessen ungeachtet kam es im Deutschland des Jahres 1936
zu Ausbürgerungen von
Schriftstellern und anderen Prominenten. Einer
von ihnen war Arnold Zweig, dessen Bücher bereits 1933
im Zuge der Bücherverbrennung vernichtet worden waren
und der nun seine Staatsangehörigkeit verlor. Das Jahr
von Arnold Zweigs Ausbürgerung war gleichsam das
Geburtsjahr von
Wolf Biermann. Eine üble Skurrilität der
Geschichte, bedenkt man, dass Biermann vierzig Jahre
später aus der DDR ausgebürgert wurde. Literaten wie
Thomas Mann, sein Bruder Heinrich Mann und
Bertolt
Brecht hatten Deutschland schon 1933 verlassen.
Auch der geniale Wissenschaftler
Albert
Einstein kehrte nicht nach Deutschland zurück,
als klar wurde, dass Hitler die Macht uneingeschränkt
übernehmen würde. Es war keine gesunde Zeit für
Künstler,
Denker und Forscher, deren Grundauffassung
humanistisch war. Dem einfachen Mann war es nicht
gegeben, das Land zu verlassen. Er musste ausharren und
durchleiden, was das Regime für angemessen hielt und
wofür gerade er unerlässlich war.
Die Regierung des Deutschen Reiches versuchte sich mit
einem spektakulären Film in die Herzen und vor allem in
die Köpfe der Menschen zu bringen. An
Leni Riefenstahl – sie war eine enge Freundin
des Reichskanzlers Adolf Hitler – erging
1935
der Auftrag, einen Olympia-Film zu drehen. Riefenstahl
hatte mit Großereignissen Erfahrung. Sie hatte bereits
die NSDAP-Parteitage gefilmt. Doch der Olympia-Film war
etwas Neues, auch in ihrer Laufbahn. Deutlicher konnte
die Propaganda-Vorstellung kaum zur Geltung kommen.
Nicht die Ablichtung oder gar die Dokumentation
sportlicher Ereignisse sollten in diesem Film im
Vordergrund stehen, sondern die Verherrlichung der
Politik des Deutschen Reiches, die Schönheit des
deutschen Menschen. Der Sport war das Mittel zum Zweck.
Der Film wurde ein Monumental-Ereignis, das am 20. April
1938, pünktlich zum Geburtstag Adolf Hitlers,
uraufgeführt wurde. Der Führer war begeistert. Das
Budget von 1,5 Millionen Reichsmark war in seinem Sinne
gut angelegt worden. Der Film wurde nicht nur zu seiner
Premiere von Jubelfeiern begleitet. Das Bild der
Deutschen und ihres Regimes sollte im Ausland günstig
dargestellt werden. Das jedenfalls war Leni Riefenstahl
gelungen. Die deutsche Politik entsprach jedoch nicht
dem sogenannten neuen Deutschland, das auf der Leinwand
gezeigt wurde. Einige sahen den Film richtig oder gar
nicht. In Amerika und in
England
wurde er nicht aufgeführt. Die deutsche Regierung sah
das als Misserfolg an, ließ sich aber von ihren Vorhaben
nicht abbringen. Es änderte sich nichts an der
menschenfeindlichen Politik, die im Hintergrund aller
Alltäglichkeiten dafür sorgte, dass Konzentrations- und
Vernichtungslager gebaut wurden und Juden bereits in
großem Umfang in Misskredit gerieten und abtransportiert
wurden. Sie kamen nie wieder. Deutsch war nicht gleich
Jüdisch.
Technisch war Deutschland auf dem Vormarsch. Der LZ 129,
genannt „Hindenburg“, wurde am 27. Februar 1936 für
Atlantikflüge in Dienst gestellt und am
6. Mai
desselben Jahres ging er zu seiner ersten Luftfahrt mit
Passagieren an Bord in die Luft. Dieser Großzeppelin war
zu jener Zeit das weltweit größte Luftschiff. Das
technische Meisterwerk hatte eine kurze Lebensdauer.
Schon ein Jahr später, am
6. Mai
1937, kam es bei der Landung zu einer
Katastrophe. Im amerikanischen Lakehurst ging das
Luftfahrzeug brennend zu Boden, nachdem es zu einer
Entzündung der Wasserstofffüllung gekommen war. Dabei
fanden 36 Menschen den Tod und das Ereignis beschäftigte
die Menschen nachhaltig.
Eine ganz andere Neuerung wurde flächendeckend in
Deutschland eingeführt, dessen Initiator der
Propagandaminister und Leiter der Reichskulturkammer
Joseph Goebbels war. Er hatte einen Radioapparat, der
als „Volksempfänger“ in die Geschichte einging, bei der
Firma Seibt in Auftrag gegeben. Dort entwickelte der
Elektrotechniker Otto Griessing ein Gerät, das bald in
jedem Haushalt zu finden war. Jedem Deutschen war es
damit vergönnt, die nationalsozialistische Propaganda zu
jeder Tageszeit bequem in den eigenen vier Wänden auf
sich wirken lassen. Das erste Model namens VE 301 – hier
sollte die Zahl an den 30. Januar 1933 erinnern, an die
Machtergreifung Adolf Hitlers – wurde bereits auf der
Funkausstellung in Berlin gezeigt. Sie nannte sich „10.
Große Deutsche Funkausstellung“, denn damals war alles,
was deutsch war gleichzeitig groß. Das Modell, das es
dann ab 1938 zu kaufen gab, war der DKE38, der Deutsche
Kleinempfänger, der auch bald den Beinamen
„Goebbelsschnauze“ bekam. Der Entwickler dieses
Volksempfängers hatte mit diesem Gerät die Produktion
des am meisten hergestellten Radioapparates in die Wege
geleitet. Das Regime erwies sich dankbar und überreichte
Otto Griessing 1939 dafür den Funkpreis, der mit 10.000
Reichsmark verbunden war. Griessing nahm ihn
selbstverständlich in angesagtem, schneidigem Dresscode
in Empfang: Er trug eine SA-Uniform. Entgegen der
Behauptung, mit dem Gerät hätte man nur deutschlandweit
Empfang, erwies es sich, dass man durchaus ausländische
Sender hören konnte. Es gab viele Menschen, die mutig
genug waren, heimlich u.a. dem englischen Sender Gehör
zu schenken und sich damit besser über die Ereignisse im
eigenen Land zu informieren. Besonders während des
Zweiten Weltkrieges war das für viele Radiohörer
lebenswichtig, überlebenswichtig.
Niemand rechnete damit, am allerwenigsten der
Reichskanzler Hitler, dass der Tag kommen würde, da
Deutschland in Schutt in Asche liegen würde. Im
Gegenteil. Es wurde gebaut für die Zukunft eines
Tausendjährigen Reiches. Hitler wollte, dass die Größe
seiner Macht Ausdruck in einer pompösen Architektur
fände. Berlin sollte eine würdige Welthauptstadt werden
und vergleichbar sein mit Metropolen wie Rom, das alte
Ägypten oder dereinst Babylon. Der Architekt Albert
Speer wurde 1937 zum „Generalbauinspektor für die
Reichshauptstadt“ ernannt und mit der Errichtung von
Monumentalbauten betraut. Gigantische Bauwerke
entstanden. Sie wirken noch immer bedrückend. Neben den
großen Bauten wurde auch an einer Autobahn gebaut, die
nicht etwa für spätere Truppentransporte benötigt wurde
– die wurden auf Schienen durchgeführt – sondern auf
eine deutsche Zukunft hinweisen sollte, in der der
Mensch ein eigenes Auto besitzen würde. Im September
konnte man stolz auf die ersten 1000 Kilometer der
Reichsautobahn blicken. Die Eröffnung des Teilstückes
bei Breslau war fertig gestellt worden. Führende
Architekten, die es in der Epoche des Bauhauses gegeben
hatte, kamen für die nationalsozialistische Bauweise
nicht in Frage. Ohnehin hatten Künstler wie Walter
Gropius bereits das Land verlassen. Wenige waren in
Deutschland geblieben, hoffend, sich mit
Privat-Aufträgen den Lebensunterhalt verdienen zu
können. Doch das war angesichts der politischen
Situation schwierig, es sei denn, sie passten sich an.
Der Begriff der individuellen, künstlerischen Freiheit
war längst ein Fremdwort geworden. Die monumentale
Architektur erstreckte sich übrigens nicht auf sozialen
Wohnungsbau. Auch Jugendherbergen oder Schwimmbäder
waren von dem Bauboom nicht betroffen. Sie durften
jedoch in unentgeltlicher Arbeit gebaut werden.
Schließlich gab es die Reichsarbeitsdienst-Kolonnen.
Die Fülle zahlreicher großer Ereignisse änderte in
Deutschlands nichts daran, dass die meisten Menschen von
einem Gefühl der Angst heimgesucht wurden. Auch die Mode
bot kaum Ablenkung. Hinzu kam, dass die
Nationalsozialisten auch noch versuchten, eine eigene
Mode zu kreieren, die letztendlich doch nur eine
Nachahmung der Pariser Haute Couture war. Für die Männer
war Mode in jener Zeit uninteressant. Sie waren mit der
richtigen Uniform und einem exakten Scheitel stets
zeitgemäß gekleidet. Die Damen trugen fast zu jeder
Tageszeit ein Kostüm, das die Knie bedeckte. Sie hatten
weder Geld noch Muße, unentwegt nach den neuesten
Kreationen Ausschau zu halten. In allem lag eine
unausgesprochene Bedrohung. Da war im Nachbarhaus eine
jüdische Familie abtransportiert worden und plötzlich
fehlte auch eine Familie im eigenen Haus. Die Übergriffe
kamen immer näher und durften doch nicht offen benannt
werden. Dennoch gab es Menschen, die sich klar
bekannten. Die Meisten aber bangten um das eigene
Dasein. Und als im Herbst Röcke angepriesen wurden, die
ab der Hüftpartie weit geschnitten waren und ein wenig
neue Lebenslust vermitteln sollten, konnte das auch
nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Etwas
zusammenbraute.
Eine unbeschwerte Zeit waren die dreißiger Jahre
wahrlich nicht. Wenigstens konnte eine Meldung aus
Großbritannien den Menschen ein wenig Bewunderung
abringen, denn der britische Thronfolger König Eduard
VIII. verzichtete auf seinen Thron. Warum? Er bestand
auf einer Heirat aus Liebe, die dem Königshaus nicht
gefiel. Doch wer in Deutschland mit einer Jüdin oder
einem Juden verheiratet war, hatte ein Problem.
Die Menschen in Deutschland waren trotz der schweren
Zeit bemüht, sich nicht das letzte Lachen nehmen zu
lassen, zumal durchaus nicht jedem klar war, wohin die
Reise gehen sollte. Künstler und Sänger wurden im Sinne
des Regimes für ablenkende Unterhaltung benutzt. Zu den
bekanntesten
Gesichtern der Leinwand gehörten Willy
Fritsch, Heinz Rühmann, Marika Rökk und Zarah Leander.
Einige wussten, worauf sie sich einließen. Andere ahnten
es und wieder andere schwammen einfach mit dem Strom.
Während die BBC in Großbritannien mit der Ausstrahlung
erster Fernsehsendungen begann, war in Deutschland nach
wie vor das Kino der Ort, an dem bunte Kostümfilme aus
dem musikalisch-heiteren Genre gezeigt wurden, die
gedreht worden waren, um die Menschen von der aktuellen
Politik abzulenken. Doch es gab auch andere kulturelle
Ereignisse. Beispielsweise die
Bayreuther Festspiele.
Sie fanden alljährlich im August statt. Als enger
Duz-Freund der Schwiegertochter von
Richard Wagner,
Winifred Wagner, besuchte Hitler das Opernfestival
regelmäßig bis 1940. Winifred Wagner hatte bereits 1930
die Leitung der Festspiele übernommen. Was Richard
Wagner dazu gesagt hätte, ist ungewiss. Er konnte sich
nicht wehren gegen die Propaganda, für die Hitler seine
Musik benutzte, denn Wagner war bereits 1883 verstorben.
Seine Witwe, Cosima Wagner, deren antisemitisches Denken
offenkundig war und die die Festspiele bis 1906 geleitet
hatte, tat nichts dagegen. Tatsache ist, dass Bayreuth
in den Jahren des Nationalsozialismus keinen guten Ruf
in der Welt hatte. Winifred Wagner hatte alles getan, um
das Festspiel-Ereignis zu einem Kult-Ereignis der
Nationalsozialisten zu machen. Glücklicherweise hat sich
das nach dem
Zweiten Weltkrieg vollkommen geändert. Wenn
der Ruf Bayreuths heute gefährdet ist, dann höchstens
wegen schlechter Inszenierungen allzu moderner
Regieauffassungen. Aber das ist Ansichtssache und
weltpolitisch oder historisch nicht relevant.
Die Ereignisse des Jahres 1936 waren alle auf ein Ziel
ausgerichtet: Deutschland zu neuer Größe in der Welt zu
verhelfen. Unvermeidbar mündeten diese Bestrebungen am
1. September 1939 mit dem Einmarsch in Polen in den
Zweiten Weltkrieg.
Die Jahre vorab sind in der Rückschau fast
ausschließlich düster. Doch ein Rückblick ist keine
Wertung. Wenn ein Mann wie der Hollywood-Star Robert
Redford heute, im Jahre 2011, seinen 75. Geburtstag
feiert, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wie lang oder
wie kurz die Zeitspanne seit 1936 ist. Diese Zeit liegt
weit zurück, anderen scheint es, als wären die dreißiger
Jahre erst kürzlich gewesen. Es ist relativ. Es ist eine
Frage des Erlebens, eine Frage der Sicht.
Jüngere, die heute zurück blicken, blieben gewisse
Entscheidungen erspart. Wenn man sich dessen bewusst
ist, kann man die Gnade der späten Geburt gar nicht
genug lobpreisen. Doch erinnern sollte man sich in jedem
Fall, auch wenn man nicht alles selbst erfahren musste.
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