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1909
Das
Modejahr 1909 Mode – Die Schlichtheit und ihre
Ausnahmen
In aller Stille entwarf eine angehende Mode-Ikone
auf dem Gut eines wohlhabenden Offiziers ihre ersten
Hut-Kreationen: Gabrielle Chanel. Sie war 26 Jahre
alt und noch hatte sie in der Welt der Mode keinen
Namen. Das sollte sich bald ändern. Derweil ging in
Deutschland ein anderer Stern auf. Er war dreizackig
und kennzeichnete von nun an die Automarke Mercedes,
die bis heute nicht aus der Mode gekommen ist.
Aus Paris erschallte der Ruf nach Einfachheit und
wurde tatsächlich gehört. Die Kostüme für den Tag
waren schlicht geschnitten und fanden ihre
Anhängerinnen. Die neue Sachlichkeit war an die
Herrenmode angelehnt, wobei breite Kragen in eckiger
Form den Unterschied betonten. Die Kostümjacken
hatten
entweder einen typischen Frackschnitt oder
den eines Cutaway. Blusen mit Tüll- oder
Spitzenjabots und Westen, die sogenannten Gilets,
komplettierten die Kostüme. Dazu wurden lange, bis
zu den Knöcheln reichende Glocken- oder Bahnenröcke
getragen. Die Mäntel waren ebenfalls schlichter
geworden. Tagesmäntel und Mäntel für sportliche
Gelegenheiten fertigte man aus derben Wollstoffen
ohne wesentliche Ausschmückungen. Braun und Grautöne
waren hierbei am meisten gefragt. Neu war die
Bekleidung für die Freizeit. Bequeme Röcke mit
Trägern waren en vogue. Die Blusen konnten die Damen
wahlweise darüber, je nach Figur auch darunter
tragen.
Von der neuen Sachlichkeit war bei den Abendkleidern
nichts zu merken. Dennoch folgte man der Pariser
Mode. Die Linie von Paul Poiret, die eine Mischung
aus Reformkleid und Empire war, fand immer mehr
Verbreitung, auch in der Nachmittagskleidung, die
vorwiegend zuhause getragen wurde. Diese Kleider
zeichneten sich durch ihren losen Schnitt in
Prinzessform aus, während die Röcke der Abendkleider
generell unter der Brust angereiht waren. Darüber
trugen die Damen zarte Musselin- oder
Spitzen-Tuniken. Die Tuniken konnten aber auch ganz
aus Metallspitzen sein. Ein besonders skurriler
Effekt. Diese übergezogenen blusenartigen Teile
waren wadenlang, mitunter reichten sie sogar bis zu
den Knöcheln, so dass die Schleppe des Kleides kaum
noch zu sehen war, oft nur noch unter dem
Tunika-Saum hervor lugte. Um die hohe Taille
zusätzlich zu unterstreichen, war an der
Unterbrust-Naht eine Schärpe geschlungen. Sie war
fast so lang wie das Kleid selbst. An ihrem unteren
Ende war sie mit Troddeln und Fransen verziert. Die
Kleider waren aus Liberty-Seide gefertigt, einem
feinen Atlasstoff, der nach dem englischen Kunst-
und Stoffhändler Arthur Lasenby Liberty benannt war.
Seine Auswahl an bedruckten und gefärbten Stoffen
wurde sehr geschätzt. Liberty wurde mit seinem
Unternehmen zum Synonym für den Jugendstil und den
entsprechenden Seidenstoff.
Umging man in der Abendgarderobe die Forderung nach
Schlichtheit, so schien sie bei der Fertigung der
Abendmäntel überhaupt kein Gehör gefunden zu haben,
obwohl es wiederum Pariser Modehäuser waren, die
diese erlesenen Abendmäntel kreierten. Sie waren
aufwändig und pompös. Im Rücken waren sie weit
geschnitten, was einen großen Stoffaufwand zur Folge
hatte. Die Materialien selbst bestanden aus teurem
Brokat oder aus erstklassigen Pelzen. Bevorzugt
wurden hierbei beispielsweise Chinchilla und
Hermelin. Zobel und Nerz kamen gleichfalls häufig
zur Verarbeitung.
Die kunstvollen Kreationen, wie beispielsweise das
sogenannte Delphos-Kleid, die Mariano Fortuny
bereits im Vorjahr präsentiert hatte, fanden
allmählich ihren Weg auf die Frauenkörper, wenn auch
nur an die der sehr betuchten Damen. Das
Delphos-Kleid bestach vor allem durch seine
dauerhafte Plissierung und die im Licht
changierenden Farben. Fortuny war ein Modeschöpfer
von praktischer Natur, der gleichermaßen Maler,
Bildhauer,
Ingenieur und Erfinder war. Die
strahlenden Farben, mit denen er seine selbst
plissierten Stoffe versah, präparierte er ebenfalls
nach einem eigenen Verfahren, das er in diesem Jahr
patentieren ließ. Fortunys Techniken – unter dieser
Bezeichnung kennt man sie noch heute – waren ein
Beweis für originellen Unternehmergeist.
Poirets oder Fortunys Kleider ohne Korsett zu
tragen, war für die meisten Damen nicht vorstellbar.
Selbst die Ärzte hatten Zweifel, ob die Damen ohne
dieses Teil noch gerade zu stehen in der Lage sein
würden. Allen Zweiflern zum Trotz: Die Damen konnten
es. Sie begannen es auch langsam zu wollen, denn ihr
Vertrauen in den berühmten Salon für Unterwäsche
wuchs, den Herminie Cadolle 1887 in Paris eröffnet
hatte. Sie präsentierte das zweiteilige Korsett, das
mehr Bequemlichkeit bot. Cadolle ist heute noch der
Name, der für feine Dessous steht und der von der
Familie seit mehreren Generationen geführt wird.
Die Veränderungen in der Damenmode waren gravierend.
Die Herrenmode blieb auf der Strecke. Mann
interessierte sich ohnehin eher für andere Dinge.
Karl Liebknecht zog nach vorzeitiger Entlassung aus
der Festungshaft in den Landtag ein. Kaiser Wilhelm
II. traf den russischen Zaren Nikolaus II. und die
Wirtschaft war durch Rüstungsaufträge im Aufschwung
begriffen. Und was der moderne Herr in die Oper
anzuziehen hatte, wusste er, wenn er sich zur
Premiere des Richard-Strauss-Einakters „Elektra“ auf
den Weg machte. Modisch hatte Mann das erste
Jahrzehnt jedenfalls gut gekleidet überstanden.
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