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Das Modejahr 1903 Mode – Ein gesunder Rücken war unmodern


Schnelllebig war sie nicht – die Zeit am Beginn des neuen Jahrhunderts, auch wenn der technische Fortschritt auf dem Vormarsch war. Die Damenbekleidung war modisch offenbar in einer Sackgasse angekommen. Noch immer „erpresste“ das Sans-Ventre-Korsett den Rücken und den Bauch der Damen. Doch einige Frauen konnten sich der massiven, öffentlichen Befürwortung des Reformkleides nicht ganz entziehen und nahmen es wenigstens wahr. Das „gerade Kreuz“, sich dafür zu entscheiden und es zu tragen, hatten sie allerdings noch nicht. Gut Ding wollte Weile haben. Das Interesse am gesunden Rücken war einfach noch zu gering. Da die Mode den Bauch selbst bei schlanken Frauen verpönte, quetschten sich die Damen weiterhin in ihr Korsett. Die Kleider hatten zudem eine Länge, die durch die Schleppe das Laufen sehr erschwerte. Es blieb Frau nichts anderes übrig, als die Röcke zu raffen. Aber um welchen Preis? Knöchel und Waden wurden sichtbar. Also mussten besondere Strümpfe getragen werden, die die Blicke auf sich zogen und durch verzierte, schmucke Verarbeitung auffielen. Inkrustierte, mit Auflegearbeiten versehene Strümpfe aus Seide wurden unumgänglich. Die Damen trugen sie gern. Wenn schon Bein gezeigt wurde, dann sollte dies modisch abgemildert werden, denn die Zeit war prüde und verschmähte nicht nur den Bauch, sondern auch die Koketterie.
Zur Sans-Ventre-Garderobe trugen die Frauen in ihrer künstlichen Schlankheit gefältelte Jabots aus feinen Spitzenstoffen. Das bewirkte, dass der Bauch optisch noch mehr verschwand. Kleider für den Tag und vor allem für den Abend wurden ganz aus Spitze gefertigt. Ein kurzer Mantel oder ein Bolero waren dazu passend. Schwarz-weiße Kreationen galten als sehr schick. Alle Varianten von Loch- und Schnurstickereien kamen zur Geltung, Musselin- und Charmeuse-Stoffe wurden verarbeitet. Kleine und große Falten verzierten die Kleider, wobei die Fältelung an der Hüfte ausgespart wurde, um die zierliche Figur nicht zu beeinträchtigen. Den größten Aufwand betrieben die Damen mit ihrer Abendgarderobe. Eingelegte und aufgesetzte Stoffteilchen – Applikationen und Inkrustationen – wurden in grenzenloser Vielfalt aufgebracht. Bordüren und Stoffblumen, Pailletten und Faltenaufputz waren typisch für die Abendroben. Das Dekolleté war tief ausgeschnitten. Die Ärmel konnten zwangsläufig erst am äußeren Stoffrand angesetzt werden. Hier war erstklassige Schneiderkunst gefragt, damit das Oberteil nicht von den Schultern rutschte. Der einzige Schmuck zu solchem Gewand war eine Halskette, die aus vielen Perlenreihen bestand.
Es waren zumeist französische Kreationen, die die Damen mit Vorliebe trugen. Charles Frederick Worth – er gilt als der Begründer der Haute Couture – gehörte zu den bevorzugten Modeschöpfern. Auch die Modelle von Jacques Doucet und seinem Schützling Paul Poiret erfreuten sich großer Beliebtheit. Poiret machte nicht nur durch seine Kleider auf sich aufmerksam, sondern auch durch die wöchentlich wechselnden Dekorationen seiner Schaufenster, die von höchstem, kreativem Können zeugten.
In der Mode für den Tag nahm das Kostüm einen immer größeren Stellenwert ein. Es war bequemer als die Sans-Ventre-Kleider und bestach durch den der Männermode entlehnten Stil, der an eine Uniform erinnerte. Der Saum war knöchellang, die Taille durch einen Gürtel betont. Auch dieses Kleidungsstück war der schlanken Linie vorbehalten.
In modischer Hinsicht wurde auch der Mann wieder berücksichtigt. Eine Empfehlung aus Paris setzte sich durch: der Tagesanzug mit langem Schoß und Taillennaht. Er war ausnehmend elegant, umso mehr, wenn er mit einem Spazierstock komplettiert wurde. Natürlich trug der Mann von Welt einen Hut, vornehmlich einen Zylinder. Die Hemden der jüngeren Generation hatten bereits einen gesteiften Umlege-Kragen. Ältere Herren hielten am Vatermörder fest. Dieser steife Stehkragen, der vorn offen war, konnte separat an das Hemd geknöpft werden. Scharfe Ecken, die diesem Kragen den Namen gaben, ragten bis über das Kinn. Seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts hielt sich dieser Kragen schon, obwohl er unbequem war. Mann musste den Kopf damit hoch erhoben tragen, damit die Ecken ihn nicht allzu sehr piesackten. Dass viele Herren die Welt von oben herab betrachteten, war allerdings nicht nur die Schuld der Mode, sondern hing auch mit der Männer-Rolle in der Gesellschaft zusammen.

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