Schmuck konnte man nicht essen, aber gegen Brot eintauschen


Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges, den die meisten Deutschen noch im ersten Siegestaumel erlebten, war Grund genug, die modischen Bedürfnisse zurückstellen. Die Lebensmittel- und Kleidungsrationierung ließ ohnehin keine Ausschweifungen im Konsumbereich zu. Alles war knapp und das Wichtigste war, dass sich die Menschen ernähren konnten. Allein das war schwer genug. Dennoch war der Blick nach vorn gerichtet. Es würde eine Zeit nach dem Krieg geben, für die man sich auch schon während der schweren Jahre vorbereiten konnte. Hier ist nicht die Pariser Haute Couture gemeint, die sich um die allgemeine Materialknappheit kaum zu kümmern brauchte. Gemeint sind die kleinen speziellen Geschäfte, die auch in Deutschland in den Anfangsjahren des 40er Jahrzehntes entstanden. Werkstätten, in denen Juweliere mit dem noch Vorhandenen Goldschmiedekunst betrieben und in denen auch Modeschmuck aus diversen Materialien gefertigt wurde. In der Kriegszeit selbst gab es dafür allerdings wenig Absatz bei den Juwelieren. Die ranghohen Militärs waren trotz aller Knappheit in der Lage, ihre Gefährtinnen mit Schmuck auszustatten. Die zahlreichen Deportationen jüdischer Mitbürger, deren Schmuck und andere Wertsachen man vorher konfisziert hatte, machten es den Offizieren und all denen, die politisch das Sagen hatten, leicht, sich an jüdischem Schmuck zu bereichern. Selbst wenn diese Stücke, die fast immer einen großen Wert hatten, nicht getragen wurden, so boten sich doch auf dem Schwarzmarkt einen guten Gegenwert. Schmuck war generell lukratives Zahlungsmittel für jede Art von Tauschgeschäfte.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahm auch der Drang, sich modisch zu kleiden oder einfach ein wenig hübsch zu machen, wieder zu. Selbst das speziell gebunden Kopftuch der Trümmerfrauen zeugte von diesem neuen, lohnenswerten Lebensgefühl.
Die Besatzungsmächte des Alliierten Kontrollrates, die als höchste Regierungsgewalt in Deutschland eingesetzt waren, hatten im September 1945 eine Proklamation erlassen, in der die zusätzlich an Deutschland gestellten Forderungen aufgelistet waren. Dazu gehörte für alle Personen, die in Deutschland wohnhaft waren, unter anderem die Ablieferung von Gold, Silber und Platin. Verwertbarer Edelmetalle und Devisen wurden später von den Besatzungsbehörden bei den Reichsbankanstalten, die als Verwahrer für die Besatzungsmacht fungierten, abgeholt. Zurückgegeben wurde nichts, es blieb als Reparationszahlung in den Händen der Alliierten. Doch das Verbot, privat Edelmetall zu besitzen, war nicht effektiv. Es gab ohnehin nur noch wenige Privatpersonen, die wertvolle Edelmetalle besaßen. Von denen wurde die Abgabepflicht ignoriert. In den fünfziger Jahren gab es dann keine Einschränkungen mehr. Die Mode war nach dem Krieg von einem großen Mangel an allem gekennzeichnet. Das Bedürfnis nach echtem Schmuck wurde durch das Bedürfnis nach einem Mode-Schmuckstück zunächst verdrängt. Damit hatte die Pariser Modeschöpferin Coco Chanel bereits in den
zwanziger Jahren für Furore gesorgt. Für Modeschmuck gab es eine Vielzahl einfacher Materialien, die fantasievoll umgearbeitet werden konnten. Seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts gab es Bakelit, ein Kunststoff, der vor allem für Gebrauchsgegenstände genutzt wurde. Aber neben Glas, Email und Metall fand er auch in der Schmuckverarbeitung Verwendung. Kleine Geschäfte, die teilweise schon in den ersten Kriegsjahren ihre Existenz gegründet hatten, kamen nun zum Zuge und verkauften ansehnliche Schmuckstücke, die für alle Bevölkerungsschichten bezahlbar waren. Es waren keine Prunkstücke, die Frau in jenen Jahren neu kaufte, es waren Accessoires, die vor allem das Gefühl vermittelten, etwas Neues zu haben, modisch wieder mithalten zu können. Und wem tatsächlich noch Erbstücke oder eigener echter Schmuck geblieben war, holte ihn nun wieder ans Tageslicht und sei es, um auf dem Schwarzmarkt ein Pfund Butter gegen eine Brosche einzutauschen.
Die ersten Nachkriegsjahre waren in allen modischen Belangen von Zweckmäßigkeit gepaart mit Mangel durchsetzt. Selbst Nähen war an der Tagesordnung. Und wer ein wenig Geschick hatte, konnte sich auch ein kleines Schmuckstück selbst anfertigen. Es gab nichts, was im negativen Sinne billig aussah. Alles brachte zum Ausdruck, wie froh die Menschen waren, in besonderem Maße die Frauen, weil sie ihre Männer, Söhne und Brüder wieder hatten. Viele waren es ja nicht. Der Krieg hatte ein Heer von Witwen hinterlassen, die sich mit einer kleinen Brosche vielleicht ein wenig leichter in der neuen Zeit zurechtfanden. Die Hoffnung auf die Rückkehr eines geliebten Menschen war jedenfalls so gut wie erloschen.

Das 20. Jahrhundert