Modeschmuck erlebte seine erste große Blüte

Die emanzipatorischen Veränderungen im zweiten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts ließen auch das Bedürfnis nach Schmuck schwinden. Jedoch nicht ganz, aber das, was die Frauen trugen, war schlicht.
Coco Chanel, die Pariser Modeschöpferin der Haute Couture, hatte Glasperlen salonfähig gemacht. Sie ersetzten die echten Perlen und wurden als überlange Ketten getragen, die zudem mehrfach um den Hals geschlungen werden konnten. Die schmückten einen langen Pullover ebenso wie ein Abendkleid, das in den zwanziger Jahren, vor allem in den Goldenen Zwanzigern (1924 bis 1929), tiefe Einblicke gewährte. Der Rückenausschnitt war mitunter genauso tief wie das vordere Dekolletee. Da die Kleider einen geraden Schnitt hatten, wurde die weibliche Silhouette mit einer überlangen Kette noch mehr betont. Damen, die sich für den Abend anzogen oder zum Tanzen gingen, komplettierten ihr Aussehen gern auch mit einem Diadem. Dieser Stirnreif konnte in der vorderen Mitte noch eine Verzierung haben, die nach unten gerichtet die Stirn betonte oder nach oben gerichtet den Blick auf die Frisur zog. Er konnte aber ganz einfach gestaltet sein. Ein Beiwerk mit, der der Trägerin einen besonderen Hauch von Würde verlieh, war er allemal. Und ein raffinierter Gegensatz zur Verruchtheit, die in den Goldenen Zwanzigern begeistert ausgelebt wurde.
Waren es in den Jahren zuvor noch echte und entsprechend teure Schmuckstücke, die die Damen bevorzugten, so waren die 20er Jahre charakteristisch für ihren Ideenreichtum an unechtem Schmuck, der mit dem Wort „Modeschmuck“ durchaus keinen minderwertigen Status hatte. Er konnte von Frauen aller Bevölkerungsschichten erworben werden. Die Damen waren nicht mehr nur auf Geschenke des anderen Geschlechts angewiesen.
Es wurden neue Materialien verarbeitet, die so in der Schmuckbranche noch nie Verwendung gefunden hatten – Holz, Kunststoff, Glas und Metall. Hier war in der Herstellung dennoch die Kunstfertigkeit der Produzenten gefragt, denn auch der Modeschmuck durfte dem echten Schmuck zum Verwechseln ähnlich sehen. Dennoch war unechter Schmuck legitim und passend zur Mode der Zeit sogar en vogue.
Auch die Männer schmückten sich mit ansehnlichem Beiwerk. Die Armbanduhr, die die Taschenuhr am Band abgelöst hatte, galt durchaus als edles Schmuckstück, wenngleich Funktion und Genauigkeit nach wie vor von vordergründigem Interesse waren. Man durfte der Uhr aber ansehen, dass sie wertvoll war. Das galt auch für die Siegelringe, mit denen sich die Herren ausstatteten und die so groß waren, dass sie mit Sicherheit auffielen. Die Form der Siegelringe war meist viereckig, selten rund. Klobig und meistens mit einem echten Edelstein versehen, waren diese Neuanfertigungen oder Erbstücke ein echter Hingucker, der doch unverkennbar als Männerring zu erkennen war. Die Funktion eines Siegelrings, den man tatsächlich zum Verschließen eines Siegels benutzen konnte, war zwar nicht mehr so wichtig, der Name blieb diesem Herrenring aber erhalten. Zum Herrenschmuck gehörten auch Manschettenknöpfe. Die gab es in zahlreichen Varianten. Edel und teuer, mit Perlmutt oder einem Edelsteinchen, die Möglichkeiten, Geld dafür auszugeben, waren vielfältig. Auch die Krawattennadel, die von den Herren der besseren Gesellschaft noch getragen wurde, konnte eine sehr unauffällige, aber kostspielige Investition sein. Sie war aber längst nicht mehr der typische Standard der Zeit.
Der Schmuck der Damen, der trotz der reduzierten Üppigkeit dennoch edel war, fand seine Ergänzungen zudem in dem modischen Beiwerk, das der Mode des zweiten Jahrzehnts eigen war. Die Armbanduhr – die Damen trugen inzwischen ebenfalls einen solchen funktionalen Zeitanzeiger – war, wenn sie von Frauen getragen wurde, längst nicht so groß wie die Herrenuhren. Sie war eher einem Armreif oder Armband nachempfunden. Ein zierliches Lederband oder ein Metallreif mit oder ohne Diamanten besetzt, hielten die Uhr am Arm. Man musste oder sollte zweimal hinschauen, wenn man eine sehr teure Uhr erkennen wollte. Zunächst wirkte die Uhr unauffällig.
Je nach Gelegenheit und Tageszeit wurden lange Schals aus Seide oder auch Federboas als schmückende Accessoires gewählt. Tücher waren mit langen Fransen umsäumt, um übergroße Ausschnitte zu überdecken. Handschuhe gehörten sowieso zum unerlässlichen Beiwerk der Garderobe. Die Mode jener Zeit gab sie als langes Kleidungsstück vor, so dass sie gleichzeitig ein Schmuck für die Unterarme, gegebenenfalls auch für die Oberarme waren. Ein Ring über dem Handschuh war auch möglich.
Schmuckstück oder modisches Accessoires – Frau, die etwas auf sich hielt, hatte in jedem Fall einen Fächer und vor allen Dingen eine überlange Zigarettenspitze. Das öffentliche Rauchen bei Frauen, das zwar die ältere Generation empörte, war charakteristisch für den Taumel des Aufbegehrens, der typisch für die Goldenen Zwanziger war.
In der Mode, also auch im Bereich des Schmuckes, war es vor allem der Stil „Art déco“ (frz., arts décoratif = verzierende Künste), der etwa 1920 die Formgebung in allen Lebensbereichen umfasste. Das Design orientierte sich an industriellen Formen. Es war schnörkellos und wirkte in seiner Einfachheit modern. Eine aufwändige Herstellung schloss ein Art-déco-Schmuckstück trotzdem nicht aus. Die Schmuckhersteller in den 20ern kreierten geometrische Varianten, brachten auch völlig überraschende Formen hervor, die der Trägerin durchaus Mut abverlangten, wenn sie damit in die Öffentlichkeit ging. Aber Auffallen war in jener Zeit das Credo schlechthin. So gesehen war es gewollt, dass der Schmuck zur Garderobe ein optischer Blickfang war, zumal er die Gesellschaftsschicht der Trägerin nicht eindeutig betonte. Modeschmuck erfüllte auch die Wünsche der einfachen Bürgerinnen, von denen die jungen ohnehin in den Strudel der Goldenen Zwanziger eingetaucht waren.

Das 20. Jahrhundert