Biografie
Jan Carl Raspe Lebenslauf
Kurze Zeit, nachdem Jan-Carl
Stefan Raspe am
24. Juli 1944 im österreichischen Seefeld
geboren worden war, verstarb sein Vater. Jan-Carl
wuchs im Ostteil Berlins auf, von wo er kurz vor dem
Mauerbau zu Verwandten nach Westberlin zog. Nach dem
Abitur studierte er Chemie und Soziologie, wobei er
sich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund
(SDS) und in der oft als Politkommune bezeichneten
Kommune 2 engagierte. Wie so viele andere prägten
auch ihn die Eindrücke der Eskalation zwischen
marxistischen Gruppen der Studentenbewegung und den
staatlichen Institutionen, die ihn von letzteren
nachhaltig entfremdeten. 1970 schloss er sich der
gerade entstandenen
RAF
an und wurde einer der führenden Köpfe der
sogenannten ersten Generation.
Inzwischen verschärfte sich die ohnehin schon
angespannte Lage zwischen der RAF und dem Staat
weiter - in der Folge diverser Anschläge und
Überfälle hatte die Bundesregierung erst einen
"Extremistenbeschluss" und dann ein
"Schwerpunktprogramm Innere Sicherheit"
verabschiedet, während die RAF das Strategiepapier
"Das Konzept der Stadtguerilla" herausgab. Daraufhin
entschloss sich die RAF zu ihrer Mai-Offensive.
Raspes technischer Erfindungsgeist und
handwerkliches Geschick prädestinierten ihn für den
Bau von Sprengsätzen. Zwischen dem 11. Mai und dem
24. Mai 1972 erschütterten fünf Sprengstoffanschläge
die Republik. Der erste und der letzte galten
Einrichtungen der US-Armee in Frankfurt und
Heidelberg. Außerdem waren das Augsburger
Polizeipräsidium und das Münchener
Landeskriminalamt, das Auto eines mit Ermittlungen
gegen die RAF befassten Richters am
Bundesgerichtshof sowie das Springer-Hochhaus in
Hamburg betroffen. Vier Menschen verloren dabei ihr
Leben, mehr als dreißig wurden verletzt.
Am 1. Juni wurde Jan Carl Raspe zusammen mit
Andreas Baader
und
Holger Meins
nach einer Schießerei in Frankfurt festgenommen.
(Kurz darauf wurden auch
Ulrike Meinhof
und
Gudrun
Ensslin verhaftet, so dass sich der harte
Kern der ersten RAF-Generation vollständig in
staatlichem Gewahrsam befand.)
Nach fast drei Jahren Untersuchungshaft begann in
Stammheim ein spektakulärer und höchst umstrittener
Gerichtsprozess, bei welchem den Angeklagten neben
anderen auch Hans-Christian Ströbele und Otto Schily
als Strafverteidiger zur Seite standen. Im April
1977, nach 192 Verhandlungstagen, wurden die noch
lebenden Ensslin, Raspe und Baader zu lebenslangen
Haftstrafen verurteilt. Meins war schon 1974 den
Folgen seines Hungerstreiks erlegen, und Meinhof
hatte sich 1976 das Leben genommen.
Inzwischen hatte sich eine zweite RAF-Generation
etabliert, die sich das Ziel gesetzt hatte, mittels
Entführungen und Mordanschlägen die Verurteilten
freizupressen. Diese Bemühungen gipfelten im
sogenannten Deutschen Herbst, namentlich in der
gewaltsamen Verschleppung des Arbeitgeberpräsidenten
Hanns Martin Schleyer sowie der in Kooperation mit
palästinensischen Untergrundkämpfern durchgeführten
Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut". Damit
hatten sich bereits zwei "Generationen" der RAF mit
der Ansicht, dass der Zweck die Mittel heilige, in
die Sackgasse des Terrorismus begeben. Eine dritte
sollte während der
achtziger Jahre von sich reden machen,
ohne jedoch eine ähnliche Wirkung wie ihre Vorgänger
zu entfalten.
Die Aktionen des Deutschen Herbstes verfehlten ihr
Ziel, denn in Bonn galt inzwischen die Devise, dass
der Staat sich keiner Erpressung beugen dürfe. Auf
die Forderungen der Entführer Schleyers wurde nicht
eingegangen, und die "Landshut" wurde am
18. Oktober 1977 gegen 1.30 Uhr von GSG
9-Beamten gestürmt. Die Nachricht verbreitete sich
rasant um die Welt und wurde natürlich auch in
Stammheim gehört. Um 7.41 Uhr fand das Wachpersonal
den aus Mund, Nase und Ohren blutenden Jan Carl Raspe auf seinem Bett sitzend vor. Mit einer der
drei Schusswaffen, die vom Rechtsanwalt Arndt Müller
im Jahr zuvor in den Hochsicherheitstrakt
eingeschmuggelt worden waren, hatte er sich in den
Kopf geschossen. Zwei Stunden später verstarb er auf
dem Operationstisch. Er wurde zusammen mit Ensslin
und Baader, die in der selben Nacht Selbstmord
begangen hatten, in Stuttgart beigesetzt.
Schnell kamen Spekulationen auf, die drei könnten
ermordet worden sein. Weniger haarsträubend
verschwörungstheoretisch wirkt allerdings die
Vermutung, das Wachpersonal habe die Zellen abgehört
und somit im Vorfeld von den Selbstmordplänen
gewusst. Diese These wurde bislang trotz
stichhaltiger Anhaltspunkte weder abschließend
belegt noch widerlegt.