Die Transsibirische Eisenbahn
Die Fahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn ist
auch heute noch ein einmaliges Erlebnis. Die Reise
geht von
Moskau nach Wladiwostok. Zwischen diesen
beiden Hauptbahnhöfen liegen mehr als achtzig
Zwischenstationen. Die Strecke der Transsibirischen
Eisenbahn ist mit einer Länge von ca. 9300
Kilometern die längste Bahnstrecke der Welt.
Der russische Schriftsteller
Leo Tolstoi beschrieb die Eisenbahn und
ihren Bau in seinen Romanen mit gemischten Gefühlen.
Immer wieder tauchen in seinem Werk Gedanken und
Szenen auf, die die Moderne seiner Zeit, die mit der
Eisenbahn das russische Leben neu gestaltete, mit
Skepsis betrachteten. In seinem Roman „Anna
Karenina“ beispielsweise wird ein Mensch in einem
Bahnhof von einem
einfahrenden Zug erfasst und
getötet. Bei Tolstoi wird das zum Sinnbild für die
Gefahr, die mit diesem „schnaufenden Ungeheuer“ in
Russland Einzug hielt. Doch die technische
Entwicklung nahm trotz aller Zweifel ihren Lauf.
Der Bau der Transsibirischen Eisenbahn erfolgte im
19. Jahrhundert unter dem Zaren Alexander III. Auf
Anraten seines Finanzministers rief er die Planung
und Ausführung der Transsibirischen Eisenbahn, kurz
Transsib genannt, ins Leben, da Sibiriens Reichtümer
und Rohstoffe kaum noch mit den Pferdefuhrwerken
bewältigt werden konnten. Generalgouverneure in
Irkutsk und Omsk sahen für Sibirien wirtschaftliche
Verbesserungen durch die geplante Eisenbahnlinie
voraus und der Finanzminister nahm an, dass damit
auch der Handel mit China erleichtert werden könnte,
worin er sich nicht täuschte. Das Jahrhundertprojekt
wurde in St. Petersburg vom Zaren genehmigt.
Die heutige gewaltige Strecke erlangte die
Transsibirische Eisenbahn erst nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs. Begonnen wurde unter dem neuen
Zaren Nikolai II. in Wladiwostok, jedoch mit einer
sehr mangelhaften und eingleisigen Strecke. Der
Thronfolger setzte den ersten Spatenstich in
Wladiwostok und reiste dann nach Moskau, wobei diese
Reise damals noch drei Monate dauerte. Der zweite
Streckenbeginn wurde am Ural in Tscheljabinsk in
Angriff genommen. Gleichzeitig wurde auch in
weiteren Regionen gebaut, die heute noch als
Bahnverwaltungen existieren und ihren Namen
beibehalten haben. Die erste fertig gestellte
Strecke war die in Ussuri und sie wurde im August
1897 befahren. Fünf weitere Jahre wurde dann an der
Mittelsibirischen Eisenbahnstrecke gebaut, wobei es
immer wieder zu neuen Schwierigkeiten und
Verzögerungen kam.
Das dem Bau zur Verfügung stehende Material war
knapp und minderwertig. Die technischen Ansprüche
wurden immer wieder herabgesetzt, um die
Anforderungen überhaupt erfüllen zu können. Man
passte die Qualität der Materialien und Mittel nicht
den technischen Voraussetzungen an, was nutzbringend
gewesen wäre, sondern die technischen Erlasse wurden
an den Bau angepasst und an das, was dafür gerade
erforderlich war.
Das führte bald dazu, dass die Schienen zu leicht
waren, sich bei unterschiedlichen Wetterbedingungen
verbogen und die Züge nicht in den Gleisen gehalten
werden konnten. Die Bahnfahrt verlangsamte sich
erheblich und es kam immer wieder zu Unfällen.
Aufgrund sehr schlechter klimatischer Bedingungen
kam der Bau allgemein nur schleppend voran. Die
Planung und die Vermessungen waren miserabel, die
Temperaturen lagen im Winter bei minus fünfzig Grad
Celsius, der Boden vereiste, die Arbeit wurde
zeitweise unmöglich, so dass zunächst provisorische
Holzbrücken angelegt wurden, um den Bau
voranzutreiben, die später dann nach und nach durch
Stahl und Stein ersetzt wurden. Etliche Brücken und
Schienen wurden durch wetterbedingte
Überschwemmungen weggespült und mussten ersetzt
werden. Andere Bahndämme wurden von Erdrutschen
heimgesucht und waren unbefahrbar.
Auch für die Menschen, die an der gewaltigen Strecke
arbeiteten, traten Belastungen auf. Sibirische
Arbeiter wurden bald nicht mehr bezahlt und durch
Zwangsarbeiter oder Saison- und Gastarbeiter aus
China, Japan und Korea ersetzt, die für die Hälfte
des vorher gezahlten Lohns arbeiteten. Für diese
wurden erst dann Baracken und Unterkünfte gestellt
und gebaut, insofern sie bereits ein Jahr am Bau der
Eisenbahnstrecke mitgewirkt hatten, häufig eben auch
unfreiwillig, mit etlichen Todesopfern. Sowohl
diese
Bedingungen als auch Kälte, Krankheit und Unfälle
forderten die Leben Zehntausender.
Gerade in der Nähe des Baikalsees wurde der
Streckenbau zu einem kaum überwindbaren Hindernis,
da zwischen Baikalsee und Irkutsk die Steigung zu
stark war, so dass die Strecke unter höheren Kosten
und mit Hilfe vieler Tunnel und Brücken am Ufer der
Angara entlang gebaut werden musste.
1904 konnte die gesamte Strecke zum ersten Mal
befahren werden, ohne Ausweichmanöver durch Fähren
oder Schlittenfahrten. Davor waren die Gleise sogar
über das Eis verlegt worden, um die Versorgung zu
beschleunigen.
Der Russisch-Japanische Krieg brach im gleichen Jahr
aus und die Transsib wurde in erster Linie
militärisch genutzt, konnte den Anforderungen jedoch
nicht gerecht werden. Die Strecke war eingleisig und
schwierig zu bewältigen. Japan war in dieser
Hinsicht klar im Vorteil.
Nach dem Krieg wurde der Bau erneut ausgeweitet. Die
Furcht einer Besetzung Chinas durch Japan trieb die
Arbeiten am Amur voran. Die Strecke konnte 1916
fertiggestellt werden.
Zweispurig wurde die Transsibirische Eisenbahn dann
nach dem
Zweiten Weltkrieg und erst 2002 wurde sie
durchgehend mit elektrischem Strom versorgt.
Die gesamte Strecke von
Moskau bis nach Wladiwostok
dauert bis zu sechs Tagen und sie ist eine echte
Erlebnisreise, während die Fahrgäste an mehr als
achtzig Städten Russlands vorbeikommen und in Form
eines solchen kleinen Abenteuers das Japanische Meer
erreichen.