Der Élysée-Vertrag – Versöhnung und
Partnerschafts-Bekundung
Während des Zweiten Weltkrieges waren Deutschland und
Frankreich erbitterte Feinde. Nach dem Kriegsende, als
in Deutschland ein neuer Boden für demokratische
Verhältnisse geebnet worden war und die Aufarbeitung der
Geschichte ihren Anfang genommen hatte, war auch die
Zeit reif geworden, mit einer Aussöhnung zwischen den
beiden Ländern einen Meilenstein zu setzen, um ein
friedliches Miteinander zu untermauern. Der
Élysée-Vertrag, der am
22. Januar 1963 unterzeichnet
wurde, war dieser Meilenstein.
Konrad Adenauer
(1876-1967), der erste Bundeskanzler der BRD und
Charles
de Gaulle (1890-1970), der Präsident der Fünften
Republik Frankreichs bekundeten mit ihrer Unterschrift
den gemeinsamen Willen für eine friedliche Gestaltung
des bilateralen Verhältnisses.
Historische Vorgeschichte
Nach dem die deutsche Wehrmacht am 1. September 1939 mit
ihrem Überfall auf Polen den
Zweiten Weltkrieg ausgelöst
hatte, standen sich bald alle europäischen Großmächte
auf einem riesigen Kriegsschauplatz gegenüber. Bereits
am 3. September 1939 erklärten Frankreich und
Großbritannien, die Großmächte im Westen, Deutschland
den Krieg. Was zwei Tage später mit einer französischen
Besetzung des Saarlandes begann, war zunächst eine
symbolische Offensive. Hitlers Vorstoß durch die
Niederlande und Belgien, der der Zerschlagung der
alliierten Kräfte dienen sollte, fiel witterungsbedingt
aus, genauer gesagt, er wurde 29 Mal verschoben, denn
auch die Verluste der Deutschen in Polen waren größer
als erwartet. Noch im selben Jahr hatte die Rote Armee
in das Geschehen eingegriffen, Skandinavien war gegen
Deutschland in den Krieg eingetreten, doch 1940
schließlich verwirklichten die deutschen Truppen den
Plan, durch die Ardennen vorzustoßen. Die Ardennen, das
ausgedehnte Waldgebirge des Rheinischen
Schiefergebirges, war als natürliche Verlängerung der
Maginot-Linie für die französische Regierung und deren
Militärs eine vermeintlich sichere Verteidigungslinie.
An einen Vorstoß der Deutschen glaubten sie nicht, da
diese Linie als unüberwindbar galt. Dennoch kam es
anders. Die deutschen Verbände griffen im Mai 1940 die
neutralen Niederlande, Belgien und Luxemburg an. Die
Alliierten und die Royal Air Force konnten den Vorstoß
nicht abwehren. Belgien und die Niederlande waren
schnell eingenommen. Im Juni überschritten die Deutschen
die Seine und hatten am 14. Juni die französische
Hauptstadt eingenommen. Paris wurde, um der Zerstörung
zu entgehen, zur offenen Stadt erklärt und kampflos
übergeben.
Während Hitler seine Bemühungen um die europäische
Eroberung, gewissermaßen um ein „Neues Europa“, weiter
fortsetzte, einen Angriff auf die Sowjetunion
vorbereitete, fand er auch mehr Verbündete, die auf der
deutschen Seite kämpften. Das französische Vichy-Regime
ging auf formale Bündnisforderung allerdings nicht ein.
In vielen Ländern Europas, die von deutschen Truppen
besetzt worden waren, in denen vor Ort nach
deutsch-nationalsozialistischen Vorstellungen eine
Umgestaltung vorgenommen werden sollte, bildeten sich
immer stärker die Untergrund- und Partisanenbewegungen
heraus. In Frankreich war es die Résistance.
Als Paris mit Hilfe der Alliierten am 25. August 1944
befreit wurde, war allmählich ein Ende des Krieges
abzusehen, zumal die Rote Armee die deutschen Besatzer
auch von Osten her zurückdrängte. Allein Frankreich
hatte rund 600.000 Tote im
Zweiten Weltkrieg zu
beklagen, wovon mehr als 350.000 der Zivilbevölkerung
angehört hatten.
Dieser Einblick in die Geschehnisse ist nur ein
winziger. Er verdeutlicht aber, dass nach dem Ende des
Krieges die benachbarten Länder Deutschland und
Frankreich nicht in Freundschaft den Frieden begannen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg
Frankreich gehörte nach dem Krieg zu den Siegermächten.
An eine Versöhnung war längst nicht zu denken. An
Deutschland hing ein Makel, der sich nicht nur in der
zwangsweisen Abwesenheit bei internationalen
Sportveranstaltungen zeigte. Die Deutschen hatten im
Ausland keinen guten Stand. Doch eine Demokratie in
Frieden mit einer nachwachsenden Generation würde ohne
eine Politik der Versöhnung keine Früchte tragen.
Als die Bundesrepublik Deutschland gegründet wurde,
deren erster Bundeskanzler Konrad Adenauer war, als die
Bemühungen, gegen die Kriegsverbrecher vorzugehen
(
Nürnberger Prozess) der internationalen Öffentlichkeit
ein anderes Deutschland präsentierten, wäre ein
friedliches Miteinander Deutschlands mit Frankreich kaum
möglich gewesen, wenn nicht ein diplomatisch weises
Vorgehen der Feindschaft ein Ende gesetzt hätte. Über
Europas Zukunft war von Seiten der Siegermächte bereits
1945 auf der Konferenz von Malta, durch die Potsdamer
Beschlüssen oder auch mit der Gründung der Vereinten
Nationen (1945) eine entscheidende Richtung vorgegeben
worden, die allerdings auch seitens des sowjetischen
Einflusses den Ostblock mit der Gründung der DDR schuf.
Der Krieg war beendet, die Zeit des
Kalten Krieges
begann. Winston Churchill (1874-1965), der britische
Staatsmann, der Großbritannien als Premierminister durch
den
Zweiten Weltkrieg geführt hatte, prägte das Wort
„Eiserner Vorhang“. Die Situation in Europa war auch
nach dem Ende des Krieges durch Spannungen
gekennzeichnet, die sich in einer Ost- bzw. Westpolitik
zeigte. Umso wichtiger war es geworden, dass die Länder
der westlich-demokratischen Welt sich miteinander
verbündeten. Der neue sogenannte Feind war der
Kommunismus geworden.
Konrad Adenauer, der auch von
1951 bis 1955
Bundesminister des Auswärtigen gewesen war, hatte sich
stets für eine Politik mit westlicher Bindung
eingesetzt, hatte eine Europäische Einigung favorisiert
und die teilweise jahrzehntelangen Phasen der
Deutsch-Französischen Erbfeindschaft, wie sie seit
Jahrhunderten immer wieder aufgetreten warem, versucht,
nicht weiter zu schüren. Im Gegenteil. Im Jahr 1950
wurden die beiden Ländern zu treibenden Kräften die
europäische Integration betreffend. Maßnahmen, die von
gegenseitigem Vertrauen zeugten, waren beispielsweise ab
1952 in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl (EGKS) oder auch ab 1958 in den Europäischen
Gemeinschaften zu sehen. Der Weg für eine endgültige
Aussöhnung war frei und schließlich kamen Adenauer und
de Gaulle nach vielen Vorgesprächen im Pariser
Élysée-Palast zusammen, um in diesem festlichen Rahmen,
der dem Vertrag letztendlich seinen Namen gab, zu
unterschreiben, was auch eine Grundlage für ein
gemeinsames Europa wurde – den Élysée-Vertrag.
Die Jahre nach der Unterzeichnung
Die Kooperation, die festgelegt wurde, beinhaltete auch,
dass sich die Staats- und Regierungschefs auf
regelmäßige Treffen einigten, die Beziehungen vertieften
und ein politisch-freundschaftliches Verhältnis
aufbauten.
Was Adenauer und de Gaulle begonnen hatten, führten die
nachfolgenden Staatsoberhäupter weiter. Bundeskanzler
Ludwig Erhardt (1897-1977), der von 1963 bis 1966
Kanzler war und nach ihm
Kurt Georg Kiesinger
(1904-1988), der dritte Kanzler der BRD, hatten in ihren
Treffen mit dem französischen Oberhaupt immer noch
Charles de Gaulle als Gegenüber. Für Willy Brandt
(1913-1992), dessen Amtszeit von 1969 bis 1974 dauerte,
war Georges Pompidou (1911-1974) der aktuelle Staatschef
Frankreichs. Die Kontakte zwischen Frankreich und
Deutschland wurden in diesen Jahren gepflegt, zeichneten
sich allerdings noch durch eine gewisse Distanzhaltung
aus. Händeschütteln und formvollendetes Protokoll
begleiteten die Zusammenarbeit und die Maßnahmen, die
ausgehandelt wurden. Als sich dann
Helmut Schmidt
(*1918) in der Kanzlernachfolge sah, waren dessn
Beziehungen zum regierenden Valéry Giscard d’Estaing
(*1926), der sein Amt bis 1981 ausübte, auffallend
herzlich. Die beiden arbeiteten produktiv zusammen,
initiierten die Direktwahl des Europäischen Parlaments
und erörterten bereits die Bildung eines Europäischen
Währungssystems. Die lange Ära des
Helmut Kohl (*1930),
dessen Kanzlerschaft ununterbrochen von 1982 bis
1998
andauerte, war auf Seiten Frankreichs mit der Ära von
François Mitterrand (1916-1996) verknüpft, der von 1981
bis 1995 regierte. Sie waren die ersten Politiker beider
Länder, die zusammen das Schlachtfeld von Verdun aus dem
Ersten Weltkrieg besuchten, längst ohne Berührungsängste
durch die Vergangenheit miteinander umgingen und für
Außen- und Sicherheitspolitik plädierten, die einen
gemeinsamen Nenner hatten. In diese Zeit fiel die
Entstehung des europäischen Binnenmarktes im Jahr 1986
und der EU im Jahr 1993 als Deutschland bereits
wiedervereint war. Kohl und Mitterrand hatten im
Zusammenhang mit dem Vertrag von Maastricht
Entscheidendes geleistet und sich der Vereinbarungen des
Élysée-Vertrages würdig erwiesen.
Als Gerhard Schröder (*1944) dann auf Jaques Chirac
(*1932) traf, änderte sich die Intensität der
Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland in
keiner Weise. Was die Vorgänger begonnen hatten, setzten
auch diese beiden Staatsmänner fort. Schröder von 1998
bis 2005 und Chirac von 1995 bis 2007. Ihre Treffen
fanden in den letzten Jahren ihrer Amtszeit in einem
häufigen Turnus statt, auch wenn sie mitunter nur
informellen Charakter hatten. Das gegenseitige
Einvernehmen ging so weit, dass Schröder sich bei einer
Sitzung des Europäischen Rates von Chirac vertreten
ließ.
Die politische Paarung Angela Merkel (*1954) und Nicolas
Sarkozy (*1955) war von einer besonderen Herzlichkeit
geprägt. Diese beiden Politiker hatte der Umgang mit der
Staatschuldenkrise im Euroraum eng zusammengeschweißt.
Die Presse hatte den treffenden Begriff „Merkozy“
geprägt, der ausdrückte, wie das Miteinander zu
verstehen war.
Merkel regierte Deutschland auch im Jahr 2013 noch,
während Sarkozy von François Hollande (*1954) abgelöst
worden war. Immer noch ist die Staatschuldenkrise ein
vordergründiges Thema und immer noch sind die Beziehung
eng und produktiv. Wenn nun 2013 das 50. Jubiläum des
Élysée-Vertrag begangen wird, können sich die Staatsfrau
und der Staatsmann freundschaftlich auf die Schultern
klopfen und mit Stolz auf diese Jahre blicken, in denen
sie selbst – wie ihre Vorgänger – Großes miteinander
geleistet haben.
Doch Frankreich und Deutschland sind sich nicht nur
politisch näher gekommen, auch die Generationen haben
sich angenähert. Städtepartnerschaften, Reisen und auch
der TV-Sender „arte“ sind ein Ergebnis der Bemühungen um
eine echte Freundschaft zwischen den Völkern. Von der
Stunde Null war es ein steiniger Weg, der die Mühe aber
lohnte.
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