Das Literaturjahr 2012 - Schlagzeilen um Günter Grass

Gleich drei Mal dominierte Günter Grass (*1927), der als einer der anerkanntesten Schriftsteller im deutschsprachigen Raum gilt, das Literaturjahr 2012. Sein Prosagedicht „Was gesagt werden muss“ erschien am 4. April zeitgleich außer in der „Süddeutschen Zeitung“ auch in „La Repubblica“, einer der renommiertesten, italienischen Tageszeitungen und in „El País“, der am meisten verkauften Tageszeitung Spaniens. Der Vorwurf, den Grass in seinem politischen Gedicht an Israel richtete, es gefährde mit seinen Atomwaffen den Frieden in der Welt, polarisierte die Gemüter nicht nur in Deutschland. Am 25. Mai meldete sich Günter Grass wiederum literarisch zu Wort und nahm konkreten Zeitbezug zur Finanzkrise in Griechenland. Sein Polit-Gedicht „Europas Schande“ war online zu lesen, noch bevor es tags darauf in der „Süddeutschen Zeitung“ in gedruckter Form erschien. Dass Grass sich auch mit ganz persönlichen Themen beschäftigt, sie in Gedichte fasst und seine Leser nachdenklich stimmt, ist nicht neu. Besonders interessant war es dennoch, als im September 2012 sein Lyrikband „Eintagsfliegen“ erschien. Der Steidl-Verlag hatte das Buch herausgebracht. Anlass war der 85. Geburtstag des Künstlers. Ganz ohne politischen Bezug geht es bei Grass nicht und so ist der Gedichtband auch gleichsam eine Auseinandersetzung mit dem Älterwerden, dem Sterben und seiner kritischen Liebe, die er für Deutschland hegt. Mit Ehrlichkeit, Authentizität und Besinnlichkeit greifen die Verse von Grass des Lesers Hirn an und rumpeln es ganz schön durcheinander. Sie sind bemerkenswert, diese „Eintagsfliegen“, die in ihrer Art letztendlich nachhaltig sind.
Sten Nadolny (*1942), dessen literarisches Schaffen seit mehr als dreißig Jahren seine Leser und die Rezensenten beschäftigt und der mit seinem 1983 erschienen Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ erstmals die Bestseller-Listen stürmte, hat im Mai einen Roman vorgestellt, der kurz darauf den ersten Platz der SWR-Bestenliste inne hatte – „Weitlings Sommerfrische“. Das Buch trägt autobiografische Züge, versteht sich aber keinesfalls als Autobiografie. Vielmehr setzt Nadolny Menschen, denen er im Laufe seines Lebens begegnete, ein literarisches Denkmal. Die Juroren hat er damit ebenso wie seine Leser aufgerüttelt; Nadolny erhielt in diesem Jahr den „Rheingau-Literaturpreis“.
Der Roman „Imperium“, den der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht (*1966) in diesem Jahr herausbrachte, sorgte ebenfalls für große Aufmerksamkeit, nicht nur auf der Frankfurter Buchmesse. Das Buch basiert auf der historischen Gestalt August Engelhardt, der von 1875 bis 1919 gelebt und einen Lebensweg hatte, der dem eines Aussteigers im heutigen Sinne gleichkommt. Krachts Roman erzählt die Geschichte von Engelhardt neu. Alles, was ein gutes Buch ausmacht, findet man im „Imperium“ – Zuversicht, enttäuschte Hoffnungen, eine eigene Lebensphilosophie und schließlich ein „brillantes“ Scheitern. Ein Weltenretter wird zu einem Antisemiten, wird von einem gesund lebenden Vegetarier zu einer körperlichen Ruine. Der Autor, der auch als Journalist tätig ist, bekam für „Imperium“ den Wilhelm-Raabe-Literaturpreis.
Das bereits im Vorjahr erschienene Buch von Stephen King (*1947), „Der Anschlag“, kam als deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Wulf Bergner im Heyne Verlag München auf den Markt. Dass Kings Bücher erste Plätze auf den Literatur-Bestsellerlisten belegten, ist schon fast zur Gewohnheit geworden. Doch die meisten seiner Leser haben ihn, den in Portland geborenen, US-amerikanischen Schriftsteller, vor allem als Autor von Horror- und Unterhaltungsromanen in Erinnerungen. Die Akzeptanz von Kings literarischem Können geht längst über dieses Genre hinaus. In der amerikanischen Presse fielen die Buchbesprechungen für „Der Anschlag“ nicht nur positiv, sondern teilweise sogar euphorisch aus. Dieser Roman ist inzwischen das dreißigste von Kings Werken, das sich im „New York Times Book Review“ auf einem ersten Platz etablierte. Seine diesjährige Veröffentlichung wurde sogar in die renommierte Liste der zehn Jahresbesten gewählt.
Bei der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, die vom 10. bis 14. Oktober stattgefunden hatte, war Neuseeland das literarische Gastland. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der im Rahmen der Buchmesse vergeben wird, ging 2012 an den chinesischen Schriftsteller LIAO YIWU (*1958). Sein Roman „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“ hatte ihm ab 2009 weltweite Beachtung gebracht. In seinem Heimatland hingegen sind seine Bücher verboten. Seine kritische Haltung zur China-Regierung ist den Mächtigen im eigenen Land ein Dorn im Auge. International stieg seine Anerkennung bis hin zu Ehrungen. Bevor er in diesem Jahr den Friedenspreis in Frankfurt erhielt, hatte er bereits im Jahr 2011 den Geschwister-Scholl-Preis bekommen.
Den weltweit bedeutendsten Literaturpreis erhielt ebenfalls ein Chinese. An den Autor Gun Móyè (*1955), der unter seinem Pseudonym MO YAN bekannt ist, ging der Nobelpreis für Literatur. Sein historischer Roman „Die rote Sorghumhirse“ (oder „Das rote Kornfeld“), der 1987 erschien, war noch im selben Jahr von dem chinesischen Regisseur Zhang Yimon verfilmt worden. 2009 erschienen von Mo Yan „Die Sandelholzharfe“ und „Der Überdruss“. In einer Einschätzung des Schriftsteller-Kollegen Martin Walser (*1927) zu der Nobelpreis-Vergabe liegt die Betonung ganz klar auf der Faszination, die Mo Yans Humanität auslöst, wenn er kriegerisches Geschehen in einer unglaublichen Objektivität darstellt. Er weist keine Schuld zu, er erzählt, er beeindruckt, er bringt den Leser fast unmerklich in ein historisches Gleichgewicht. Mo Yan gehörte in internationalen Kollegenkreisen zu den unstrittigen „Wunschkandidaten“ für den Literaturnobelpreis.
Zu den zahlreichen Verstorbenen des Jahres 2012 im literarischen Genre gesellte sich der Jurist und Schriftsteller Herbert Rosendorfer. Der am 19. Februar 1934 in Südtirol geborene, mit vielen Preisen geehrte Künstler, der unermüdlich schreibend tätig war, seinen Werken eine geniale Ironie beizumischen verstand und durch ein unglaubliches Wissen der Leichtigkeit seines Stils starke Fundamente gab – starb am 20. September 2012 in seinem Geburtsort Bozen.
Immer wieder schreiben Prominente aus Kultur, Sport und Politik ihre Biographien, bzw. lassen sie schreiben. Inwieweit sie sich im literarischen Genre etablieren können, inwieweit sie im puren Unterhaltungswert stecken bleiben, möge der Leser selbst entscheiden.
Einige Beispiele von 2012 seien hier genannt: Im April erschien „Die exklusive Biografie“, die Ulf Lüdeke über Terence Hill schrieb. Der Autor gewährt seltene Einblicke in das Privatleben des Schauspielers und bietet dem Leser auf 240 Seiten einen interessanten Lebenslauf. Auch Bud Spencer brachte in diesem Jahr wieder ein Buch auf den Markt. „Bud Spencer – In achtzig Jahren um die Welt – Der zweite Teil meiner Autobiografie“ schließt an den ersten Teil „Bud Spencer – Mein Leben – meine Filme“ an, der 2011 erschien und den ersten Platz auf der SPIEGEL-Bestsellerliste erreichte.
Erstmals als deutsche Ausgabe erschien im Februar 2012 „Cash – Die Autobiografie“. Patrick Carr hatte sie gemeinsam mit Johnny Cash (1932-2003) verfasst. Für Fans der legendären Musik-Ikone ist das Buch ein Muss.
Für Sportfreunde ist die Veröffentlichung „50 Jahre Bundesliga – Wie ich sie erlebte“ des Moderators und Sportjournalisten Gerhard Delling auf jeden Fall eine bemerkenswerte Neuerscheinung. Lothar Matthäus wartet mit seiner Autobiografie „Ganz oder gar nicht“ auf. Und schließlich erschien im Oktober rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse „Total Recall“, die Autobiografie von Arnold Schwarzenegger im Verlag Hoffmann und Campe.
Bestseller 2012
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