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DDR Chronik 1987 - Perestroika und Glasnost

Das Jahr der 750-Jahr-Feiern Berlins fing unerfreulich an: Bundeskanzler Helmut Kohl hatte der DDR eine gewaltige „Breitseite“ verpasst. Er hatte die DDR ein „Regime“ genannt, „das politische Gefangene in Gefängnissen und Konzentrationslagern hält“. Das durfte so natürlich nicht stehenbleiben, denn Konzentrationslager gab es tatsächlich nicht. Dass politische „Straftäter“, die das Regime kritisierten, schnell ins Gefängnis kamen, war keine Neuigkeit. Jedenfalls wehrte sich die DDR mit politischen Mitteln und legte offiziell Protest ein. Damit war die Sache zunächst aus der Welt geschafft.
Es gab wichtigere Dinge. Eins davon war die große Berlin-Feier, die im Januar mit einem festlichen Konzert eröffnet wurde und der im Laufe des Jahres zahlreiche Veranstaltungen folgten. Das Ganze wurde fein säuberlich politisch getrennt. Der Osten für sich, der Westen für sich. Eine Einladung des West-Berliner Bürgermeisters Eberhard Diepgen, den Feierlichkeiten „nebenan“ einen Besuch abzustatten, hatte Erich Honecker selbstverständlich abgelehnt. Das war im April. Aber zunächst wurde das 750-Jubiläumsjahr mit einem festlichen Konzert im Ost-Berliner Schauspielhaus eingeläutet.
Als würde sich die DDR fremdschämen für die neue Politik in der Sowjetunion, ließ das Zentralorgan der SED „Neues Deutschland“ beim Abdruck einer Rede von Michail Gorbatschow „Über die Umgestaltung und die Kaderpolitik“ genau die Abschnitte weg, in denen Gorbatschow mit klarer, scharfer Kritik auf seine Amtsvorgänger losging. Das war ehrlich, aber der DDR-Führung nicht angenehm. So etwas schönzufärben, bzw. ganz wegzulassen, war typisch für die DDR, obwohl es ja offiziell keine Pressezensur gab. Dennoch war es ein Irrglaube, dass sich die DDR-Bevölkerung dauerhaft im Dornröschenschlaf befinden würde. Wie wenig das Land von der Sowjetunion lernen wollte, zeigte sich auch, als Kurt Hager, der Chefideologe der SED, in einem Interview mit der BRD-Illustrierten „stern“ die Perestroika mit einem Tapetenwechsel verglich, den man als Nachbar nicht mitmachen muss. Dabei hatte man jahrelang zu hören bekommen, „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“. Dieser Slogan hatte nunmehr seine Gültigkeit verloren. Dabei hatten die Menschen in der DDR endlich einmal neue Hoffnung auf eine positive Veränderung geschöpft.
Aber die vielen wirklich guten Schlagzeilen im Jubiläumsjahr Berlins konnten manche vielleicht über politische Ärgernisse hinwegtrösten. Zu den großen Berlin-Ereignissen gehörte beispielsweise die Eröffnung der neu errichteten Nikolaikirche. Als ältestes Baudenkmal von Berlin legte sie nun als museale Einrichtung Zeugnis ab von Stadtgründung um 1230 und war das Kernstück des nach historischen Vorlagen errichteten Nikolaiviertes. Zugegeben, das Viertel und die Kirche waren wirklich eine ausgezeichnete Leistung und fanden bei jedem Besucher und auch bei den Berlinern selbst großen Anklang.
Das leidige Thema der Mauer kam erneut in die Schlagzeilen, als der US-Präsident im Juni bei einem Besuch in West-Berlin den sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow aufforderte, die Mauer einzureißen und das Brandenburger Tor zu öffnen. Eine Forderung, die jedoch vorerst ihrer Zeit voraus war. Doch auch wenn die Mauer, Ost und West trennte, konnte sie doch eines nicht verhindern, nämlich den Smog. Als in West-Berlin zum ersten Mal die Alarmstufe 1 des Smogalarms ausgerufen worden war, reagierte Ost-Berlin darauf nicht, obwohl auch die Ost-Berliner Luft voller Smog war. Der Smog machte keinen Halt an der Mauer.
Diese ungeliebte Grenze zwischen zwei politischen Systemen war im Jahr 1987 zu Pfingsten ein wahrer Pilgerort geworden. Tausende DDR-Bürger waren gekommen, um ein Konzert auf der anderen Seite der Mauer, vor dem Reichstagsgebäude, wenigstens entfernt miterleben zu können. Popgrößen wie David Bowie und „Genesis“ traten dort auf und die kannte man natürlich auch im Osten des Landes. Die Fans wurden gnadenlos von der Volkspolizei niedergeprügelt. Das akustische Erlebnis, das durch permanente Lautsprecherdurchsagen und Ausweiskontrollen gestört wurde, entwickelte sich in kurzer Zeit zu einer spontanen Protest-Demonstration, die sich gegen den Staat an sich richtete und gegen die Bevormundung der Bürger. Es hatte alles friedlich angefangen und endete am dritten Pfingsttag mit brutaler Polizei-Gewalt. In der DDR sollte es weder Perestroika (Umgestaltung) noch Glasnost (Offenheit, Transparenz) geben. Die politische Führung beharrte darauf, dass alles beim Alten bleiben sollte. Die Bedürfnisse der Bevölkerung nach mehr Freiheit, echter Freiheit, wurden einfach ignoriert. Die brutale Gewalt der Polizei konnte nicht viel gegen die „politisch-negativen Elemente“ ausrichten. Diese ließen sich nicht mehr einschüchtern, leisteten öffentlich Widerstand. Tausende Gleichgesinnte verursachten derart eine große Niederlage für die SED-Führung und ihre Handlanger. In der Folgezeit hagelte es zunehmend Ausreiseanträge. Das Verhältnis der Beteiligten zu ihrem Land war unheilbar zerstört worden. Das Konzert in West-Berlin war zu einem Schlüsselerlebnis für die Ost-Berliner und die aus dem Land angereisten Gäste geworden. Der Ruf „Gorbi, Gorbi“ und „Die Mauer muss weg!“ hatten am dritten Tag das Berlin-Feier, die im Januar mit einem ganz Maß des „Ungehorsams“ hervorgebracht. Und das Pfingstereignis war nun endgültig zum Ost-Berliner Stadtgespräch geworden. Eine enorme Polizeipräsenz, versteckte Wasserwerfer und Stasi in zivil, so hatte die DDR auf den Protest reagiert, Menschen festgenommen, die ursprünglich gekommen waren, um ihre musikalischen Idole zu hören. Mehr nicht. Die DDR-Medien leugneten natürlich alle Übergriffe der Polizei. Das schürte noch mehr Ablehnung gegen die Führung. Immerhin hatte es Tausende Augenzeugen gegeben. Es waren durchaus keine Hirngespinste westlicher Korrespondenzen. So erreichte der Unmut der Bevölkerung allmählich eine neue, viel ernstere Stufe.
Im November fand dann in der Gethsemanekirche in Berlin-Prenzlauer Berg ein „Dialog zur Mündigkeit des Staatsbürger“ statt, an dem rund 700 Menschen teilnahmen. Die politischen Führungskräfte von Staat und Partei blieben dieser Veranstaltung allerdings fern.
Das Jahr 1987 war auch das Jahr der Abschaffung der Todesstrafe inder DDR. Heimliche Hinrichtungen, auch ohne Gerichtsurteil, waren bis dahin noch möglich gewesen. Lange dachte die DDR nicht ans Umdenken. Erich Mielke, der Stasichef, gestatte zwar Gerichtsverhandlungen, allerdings nur die „ganz kurzen“. Überläufer, Verräter und ähnliche subversive Elemente sollten abgeschreckt werden. Da war Fairness nicht angesagt.
Als die Todesstrafe in der DDR offiziell abgeschafft wurde, war das kein Ergebnis eines Umdenkprozesses. Die Obrigkeit ließ sich dafür feiern und machte ein Propagandaereignis daraus. Das Land hatte einmal mehr seine Position zur Wahrung der Menschenrechte in ihrer Gesamtheit bekundet. So hieß es offiziell in der „Aktuellen Kamera“, der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens. Was für eine Blasphemie! Die Worte Menschenrechte und DDR in einem Atemzug genannt, war ein Widerspruch, an dem man sich leicht verschlucken konnte.


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