Literatur 1977
Drei Literaturpreise für Reiner Kunze
Kein anderer Lyriker im deutschsprachigen Raum konnte
sich im literarischen Jahr 1977 so bedeutender Erfolge
rühmen wie der aus dem Erzgebirge stammende Dichter
Reiner Kunze: Er wurde nicht nur mit dem wichtigsten
deutschen Literaturpreis, dem Georg-Büchner-Preis
ausgezeichnet, er erhielt ebenso
den
Andreas-Gryphius-Preis und den österreichischen
Georg-Trakl-Preis.
Reiner Kunze zählt zu den bedeutendsten, noch lebenden
Lyrikern des 20. und 21. Jahrhunderts. Seine poetischen
Werke bestechen durch sprachliche Klarheit und
Schönheit, wobei er sich dennoch mit seiner Lyrik
niemals im literarischen Elfenbeinturm einschloss.
Er ließ das aktuelle Zeitgeschehen niemals aus den
Augen, sondern befasste sich stattdessen ausdrücklich
mit seiner politischen Gegenwart und äußerte deutlichen
Protest gegen politische Strömungen, die ihm missfielen.
Kunze hatte zeitlebens intensiven Kontakt zu
tschechischen Künstlern, da seine Frau aus einer zum
Teil tschechischen Familie abstammte. Diese
freundschaftlichen Beziehungen sollten sich prägend auf
das Werk des Dichters auswirken, der sich auch als
literarischer Übersetzer betätigte und viele
Veröffentlichungen tschechischer wie slowakischer
Dichter ins Deutsche übertrug. Aufgrund der
freundschaftlichen Verbindungen protestierte Reiner
Kunze auch, als im Zuge des Warschauer Pakts der
Einmarsch sowjetischen Militärs in die Tschechoslowakei
erfolgte: Er trat aus der SED aus. Diese Vorgehensweise
machte ihn zu einem Verdächtigen für die
Staatssicherheit, die den Schriftsteller fortan
lange
Jahre überwachen ließ. Populär wurde die Stasi-Akte, in
die Reiner Kunze nach der Wiedervereinigung Einblick
nehmen durfte, unter ihrem damals verwendeten Decknamen
„Lyrik“. Kunze veröffentlichte Auszüge daraus in einer
Dokumentation.
Trotz politischer Unruhen, die er als Bürger der DDR und
wegen seiner engen Beziehungen zu tschechischen und
slowakischen Künstlern erlebt und am eigenen Leibe
erfahren hatte, bewahrte sich Reiner Kunze das
Markenzeichen seiner Lyrik: Seine Gedichte ruhen in
sich, sie sind in sich abgeschlossene Kunstwerke von
einzigartiger Schönheit, die mit wenigen, treffend
gesetzten Worten ganze Welten zum Klingen bringen.
Sein Engagement betraf und betrifft nicht nur
politisches Geschehen, er ist Mitglied in zahlreichen
Künstlergesellschaften, Verbänden und Akademien und
stetig bemüht um den Erhalt der deutschen Sprache und
der Literatur.
<<
Literatur 1976
|
Literatur 1978 >>