DDR 1974 – Zwei deutsche Nationalmannschaften zur Fußball-WM

DDR Geschichte 1974
Nach dreizehn Jahren des Bestehens der Berliner Mauer, die im offiziellen DDR-Sprachgebrauch „Antifaschistischer Schutzwall“ hieß, jedoch von den meisten Bürgern natürlich auch nur als Mauer benannt wurde, wenn auch vielleicht hinter vorgehaltener Hand, gab sich das Land selbstbewusst, was sich gleich zu Beginn des Jahres in den Kfz-Länderkennzeichen widerspiegelte. Da wurde nämlich das „D“ durch „DDR“ ersetzt. Im Laufe des Jahres zeigte die DDR auch in Sachen Banknoten Flagge. Alle neuen Geldscheine erhielten im September die aufgedruckte Bezeichnung „Mark der DDR“ als Ersatz für die alte Bezeichnung „Mark der Deutschen Notenbank“. Die Bemühungen um Abgrenzung von der Bundesrepublik nahmen deutliche Formen an.
Nun war die DDR zwar noch längst nicht völkerrechtlich als eigener Staat anerkannt worden, aber dennoch gab es Bemühungen, im deutsch-deutschen Verhältnis „wie Erwachsene“ miteinander umzugehen. Davon zeugte vor allem die Unterzeichnung des Protokolls über die Errichtung „Ständiger Vertretungen“, das der stellvertretende DDR-Außenminister Kurt Nier (*1927) und der BRD-Staatssekretär Günter Gaus (1929-2004) unterschrieben hatten. So geschehen im April 1974. Und im Mai nahmen die Ständigen Vertretungen in Bonn und in der DDR-Hauptstadt Berlin dann ihre Arbeit auf. Die Existenz zweier deutscher Staaten wurde international nicht mehr geleugnet und es waren ohnehin schon die Grundlagen für ein friedliches Nebeneinander gelegt worden. Beide deutsche Staaten gehörten als jeweils eigene Mitglieder seit 1973 der UNO an.
Auf sportlicher Ebene gab es ebenfalls ein Abkommen, das der „Deutsche Turn- und Sportbund“ (DTSB) der DDR und der „Deutsche Sportbund“ der Bundesrepublik miteinander unterzeichneten. Vielleicht führte es zu gemeinsamen Sporterlebnissen. Das würde die Zeit zeigen.
Der April 1974 machte aber auch in anderer Hinsicht, in politischer Hinsicht Schlagzeilen. Der persönliche Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt (1913-1992) – Günter Guillaume (1927-1995) – wurde als DDR-Spion enttarnt und verhaftet. Das war nicht nur für die Bundesrepublik ein harter Schlag, sondern auch für die DDR, die damit einen der engsten Mitarbeiter im Gefüge der bundesdeutschen Regierung verlor. Guillaume hatte bei seiner Verhaftung am 24. April geäußert: „ Ich bin ein Offizier der Nationalen Volksarmee der DDR und Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit. Ich bitte, meine Offiziersehre zu respektieren.“ Was für die Ohren der DDR-Führung vielleicht noch von Stolz gezeugt hatte, wurde für Guillaume letztendlich zum Verhängnis, denn dieser Aspekt war vor Gericht durchaus verwertbar, zumal die sonstige Beweislage eher etwas dünn war. Guillaume wurde schließlich wegen Landesverrats im Folgejahr verurteilt und bekam ein Haftstrafe von dreizehn Jahren. Diese Guillaume-Affäre führte in der BRD zu einer schweren innenpolitischen Krise und belastete auch das Verhältnis der beiden deutschen Staaten ebenso auf massive Weise. Im Mai desselben Jahr trat schließlich auch konsequenter Weise der Bundeskanzler Willy Brandt von seinem Amt zurück. Jedenfalls gab er die Guillaume-Affäre als Grund an, wenngleich es durchaus noch andere Ursachen für seinen Rücktritt gab. Beispielsweise die Ölkrise.
Die DDR, seit einem Jahr mit Erich Honecker (1912-1994) an der Regierungsspitze, ging ihren Weg weiter, als sei nichts geschehen. Vom Nationalen Verteidigungsrat (NVR) wurde der „Schusswaffeneinsatz gegen Grenzverletzer“ bestätigt. Das „erleichterte“ den Grenzsoldaten die Todesschüsse an der Mauer erheblich. Sie waren ja Befehlsempfänger und mussten ihr Gewissen nun damit nicht weiter belasten. An der Grenze Dienst zu tun, war ohnehin eine Ehre und nicht jeder Soldat durfte sie wahrnehmen. Aber diejenigen, die es durften, taten sich nun mit Ausführung des Schusswaffengebrauchs leichter, wenn sie die Flüchtlinge, die ihre DDR nicht zu schätzen wussten, einfach abknallten.
Obwohl die Zeit in die Phase des Kalten Krieges einzuordnen war, kam es zu diplomatischen Beziehungen zwischen der DDR und den Vereinigten Staaten von Amerika. Und ein wenig Flair aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten brachte auch Dean Reed (1938-1986) ins kulturelle Geschehen ein. Der US-amerikanische Sänger und Schauspieler lebte als bekennender Sozialist seit dem Vorjahr in der DDR und war ein wahres Teenager-Idol. Er erfreute auch die Herzen der noch Jüngeren, als er u. a. 1974 einen bejubelten Auftritt im Berliner Friedrichstadtpalast hatte, zu dem er anlässlich des 25. Jahrestages der „Pionierorganisation Ernst Thälmann“ eingeladen worden war. US-Patriot und Marxist – eine Mischung, die er selbst gern betonte. Mit amerikanischer Lässigkeit konnte er wohl deshalb auch die Menschenrechtsverletzungen in der Sowjetunion werten. Das waren halt „ein paar Fehler und Ungerechtigkeiten“. Er hatte leicht reden, dieser Weltstar und „Sänger des anderen Amerika“, der zwar in der DDR lebte und arbeitete, aber nach wie vor einen US-amerikanischen Pass hatte. Er war eben nicht „eingemauert“.
Im Sommer war die Fußball-Weltmeisterschaft das Thema für alle Deutschen schlechthin. Sie fand in der Bundesrepublik statt und die Nationalmannschaft der DDR nahm als eigenständige Mannschaft daran teil. Den Fußballfans ist wahrscheinlich das legendäre Spiel in Erinnerung, das in Hamburg für Spannung sorgte. Entgegen den Erwartungen von Experten wurde die DDR Gruppensieger durch den Sieg über die BRD-Mannschaft. Das 1:0 war durch ein Tor des DDR-Spielers Jürgen Sparwasser (*1948) gefallen und hatte der DDR-Mannschaft diesen überraschenden Gruppensieg beschert. Dieses Spiel war letztendlich das einzige jemals ausgetragene A-Länderspiel zwischen der bundesdeutschen Elf und der Auswahl der DDR-Fußballer.
Wie sehr sich die Deutsche Demokratische Republik als eigenständiges Land empfand, zeigte sich auch im September 1974, als die Volkskammer eine Änderung in der Verfassung beschloss. Hierbei wurde der Begriff „deutsche Nation“ aus dem Text entfernt. Nach 25 Jahren war wohl „deutsch zu sein“ doch etwas anderes geworden als „DDR-Bürger zu sein“.
Die schulische Erziehung in dem sozialistischen Land hingegen stieß nicht bei allen Bürgern auf Begeisterung, erst recht nicht bei der Kirche, die ja ohnehin einen schweren Stand in der DDR hatte. Die katholischen Bischöfe in der DDR brachten ihre Kritik über das staatliche Erziehungsmonopol in einem Hirtenbrief vom 17. November 1974 deutlich zum Ausdruck. Bewirken konnten sie damit allerdings nichts. Dafür war die politische Linie zu streng.
Nicht wie bei der Guillaume-Affäre, sondern auf offizieller Ebene, vereinbarten im November die zwei Nachrichtenagenturen – ADN (DDR) und dpa (BRD) einen Austausch von Nachrichten. Da konnten die Brüder und Schwestern in der Bundesrepublik sich wenigstens mitfreuen, als sie von der Verlängerung der Urlaubszeiten der Werktätigen in der DDR erfuhren, die von 15 auf 18 Tage im Jahr, bei Schichtarbeitern sogar auf 21 Tage erhöht wurden. Die beste Nachricht für die Rentner, die ihre Lieben im Osten besuchen wollten, war der Wegfall des Mindestumtausches, der im Jahr zuvor verdoppelt worden war. Für alle anderen Reisenden, die in Richtung DDR unterwegs waren, wurde der Umtausch immerhin gesenkt.
Ein krönender Abschluss des Jahres war auf jeden Fall das Abkommen über den Müll. Die DDR wusste offenbar, wie man „aus Scheiße Geld macht“. Für harte Währung und weil sie Devisen ohnehin dringend nötig hatte, übernahm sie weiterhin den Transport des Westberliner Hausmülls in ihr Land. Na, vielleicht fand sich darin ja auch noch etwas Brauchbares, immerhin war es West-Müll.

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