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DDR Chronik - Die DDR im Jahr 1953


Während die Westmächte bemüht waren, eine gemeinsame Basis zu finden, eine Verteidigungsgemeinschaft einzugehen und sich in vielen Bereichen zusammenzuschließen, hielt in der DDR die Flüchtlingswelle an. Berlin (West) brach aus allen Nähten, denn dort war der größte Sammelpunkt all derer, die ihr Leben im Westen des Landes fortsetzen wollten. Für die Menschen, die in der DDR blieben, wurden die Forderungen, die Produktion zu steigern, immer unerträglicher. Die Führung der SED-Regierung ging mit Ignoranz über die Sorgen ihrer Arbeiterklasse hinweg und veröffentliche stattdessen eine Propaganda des Grauens über das Elend der Flüchtenden, das sie im Westen Deutschland erwartete. Die marode DDR-Wirtschaft musste auf Vordermann gebracht werden, wofür jeder Einzelne gebraucht wurde. Die Anlehnung an die Politik der Sowjetunion wurde immer enger und die SED-Führung schreckte nicht davor zurück, diese Bruderbeziehung, die letztendlich eine politische Abhängigkeit war, immer wieder als das Wichtigste herauszustellen. Klare Freund- und Feindbilder wurden in den Printmedien der Partei gezeichnet. Kritiklos, wenn es den Blick auf die Sowjetunion betraf.
Der Lohn für die ständig steigenden Produktionsnormen bestand in Versorgungsengpässen und Parolen in der Zeitung, die die Bevölkerung motivieren sollten. Das taten die Parolen nicht. Im Gegenteil. Die Unzufriedenheit mit dem Regierungsstil wuchs, auch wenn es offensichtlich war, dass die Wirtschaft nicht von einem Tag zum anderen eine Wunder-Wirtschaft werden konnte. Die Parteiführung ging rigoros vor. Mittelständischen und Kleinbetrieben wurde das Leben besonders schwer gemacht in der Hoffnung, sie durch erhöhte Abgaben zur endgültigen Aufgabe zu zwingen. Wie knallhart man den sozialistischen Aufbau vorantreiben wollte; darüber hatte die Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands im Vorjahr bereits deutliche Aussagen gemacht.
Zum planmäßigen Aufbau gesellte sich die „Sowjetisierung“ der DDR. Daran hatte auch der Tod des Diktators Josef W. Stalin (1878-1953) nichts geändert. Der war zwar ein Schock für die UdSSR und die Länder, die sich dem Sozialismus verschrieben hatten, doch die Veränderungen, die sich in der Sowjetunion anbahnten, wurden von der DDR ignoriert. Von einer Entstalinisierung war die DDR noch weit entfernt.
Stattdessen machten Arbeitervorbilder die Runde. Was der Bergmann Adolf Hennecke (1905-1975) bereits mit seiner Höchstleistungsschicht im Oktober 1948 bewirkt hatte und womit er zum Begründer der Aktivistenbewegung geworden war, machte in diesem Jahr die Weberin Frida Hockauf (1903-1974) auf ihre Weise noch einmal, als sie sich im September 1953 verpflichtete, eine Übererfüllung des Plans zu leisten und 45 laufende Meter Stoff mehr zu weben, als der Plan es vorsah, ein Vorhaben, das weit über das normale Maß hinausging, ihr aber von Seiten der Regierung viel Anerkennung einbrachte. Ihre berühmte Losung „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben.“ – egal, ob sie sie tatsächlich selbst so gesagt hatte oder ob man ihr das Zitat angedichtet hatte – wurde oft und dauernd zitiert, zur Vorbildwirkung und als Maßstab herangezogen. Ihr folgten viele, aber nicht alle. Frida Hockauf wurde einerseits bewundert für ihr Engagement, andererseits verteufelt als Normbrecherin. Ein Übermaß an Einsatz bei bescheidenem Lohn und Knappheit der Versorgung war für viele Menschen Grund genug, mit Streiks auf sich und ihre Nöte aufmerksam zu machen. Diese Vorboten einer Revolte übersahen die Funktionäre.
Noch bevor Menschen wie Frida Hockauf sich um den alltäglichen Kampf um den Aufbau des Sozialismus verdient machten, war für andere im Juni eine Schmerzgrenze erreicht. Zu dem beschleunigten Kurs zum wirtschaftlichen Aufbau des Landes kam noch hinzu, dass die SED keinen Hehl daraus gemacht, dass sie eine Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vollkommen ablehnte.
Als am 28. Mai erneut die Arbeitsnormen um 10,3 % erhöht wurden, drohte das Fass überzulaufen. Die Menschen begannen, sich öffentlich zur Wehr zu setzen. Proteste wurden laut und Demonstrationen zeugten von dem Unwillen der Werktätigen. Das Prinzip „Mehr Arbeit für gleichen Lohn“ sorgte für zunehmende Spannungen.
Nachdem die Sowjetunion dem harschen Kurs der DDR-Regierung Einhalt geboten hatte, da die Führung in der UdSSR durchaus sah, wohin eine solche Politik führen würde, beschloss die DDR, ein wenig Lockerung walten zu lassen. Viele Inhaftierte wurden freigelassen, der Kampf gegen die „Junge Gemeinde“, die als Tarnorganisation der USA hingestellt und schändlicher Missbrauch des christlichen Glaubens vorgeworfen worden war, wurde gemäßigt. Man ließ Christen aus der DDR mit Sonderzügen zum 5. Evangelischen Kirchentag“ nach Hamburg reisen, gab mittelständischen Bauern ihre Landmaschinen zurück und Inhaber von konfiszierten Betrieben durften einen Antrag auf Rückgabe stellen. Nur für die Arbeiterklasse änderte sich nichts. Für die galt immer noch die erhöhte Norm bei schlechtem Lohn.
Auf zwei Berliner Großbaustellen kam es am 16. Juni 1953 zu Arbeitsniederlegungen. Ein Protestzug formierte sich, um beim Haus des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) seine Forderungen vorzubringen. Die Gewerkschaftsführer ließen sich auf keine Gespräche ein, sondern verweigerten den Protestierenden ihr Gehör. Die Demonstranten gingen weiter bis zum Gebäude der Regierung. Dort teilte man ihnen seitens des Politbüros mit, dass die drastischen Normerhöhungen zurückgenommen werden würden. Doch die Forderungen der Arbeiter gingen längst weiter. In ihrem Unmut forderten sie u. a. auch den Rücktritt der Regierung und verlangten freie Wahlen.
Über diese Ereignisse wurde über den Westberliner Rundfunksender „RIAS“ den ganzen Tag berichtet und landesweit hatte die Menschen in anderen DDR-Städten und Gemeinden Kenntnis über die Berliner Proteste. Am Morgen des 17. Juni kam es in allen DDR-Betrieben zu Streiks und Demonstrationen. Der Schwerpunkt des Aufstandes lag in Berlin und in den großen Bezirkshauptstädten. Staatliche Einrichtungen wurden besetzt, auch die einiger Polizei-Kreisämter ebenso wie zwei Gebäude der Staatssicherheit. Die Revolte hatte keine klare Führung, überall geschahen die Aktionen spontan, angespornt von den Ereignissen in Berlin. Hunderttausende waren beteiligt, andere Angaben sprechen von mehr als einer Million Aufständischer. Die Wut der Menschen uferte mancherorts aus und es gab viele Zerstörungen, Brandlegungen und schweren Gewalttätigkeiten.
Die Polizei war mit dem Ausmaß der Ereignisse heillos überfordert, zumal auch Polizisten zu den Demonstranten übergelaufen waren. Der Schreck innerhalb der DDR-Regierung saß tief. Sie floh aus der Innenstadt Ostberlins nach Berlin-Karlshorst, wo sie den Schutz der sowjetischen Streitkräfte genoss. Über zahlreiche Landkreise und über Ostberlin wurde der Ausnahmezustand verhängt. Mit dieser Aktion der sowjetischen Behörden übernahm die Sowjetunion ganz offiziell die Macht in der DDR. Sie schickte seit dem Vormittag Truppen und Panzer, die zusammen mit der kasernierten Volkspolizei recht schnell dem Aufstand seinen wütenden Schwung nahmen. Es kam zu mehr als 6000 Verhaftungen von sogenannten Provokateuren. Im Prinzip wurde jeder Beteiligte als Provokateur angesehen. Allein die Anwesenheit von Panzern auf den Straßen war für die Menschen acht Jahre nach dem Ende des Krieges so ein Schreckensbild, dass sie kaum Widerstand leisteten. Im Rundfunk der DDR wurde vom Ministerpräsidenten Otto Grotewahl (1894-1964) mit Nachdruck die Rücknahme der Normerhöhungen erklärt. Den Aufstand bezeichneten die SED-Funktionäre als ein Werk, das ausländische, klassenfeindliche Provokateure und faschistische Agenten angezettelt hätten, die es galt zu ergreifen und an die staatlichen Organe zu übergeben, damit sie ihren „gerechten“ Strafen zugeführt werden konnten.
Der Aufstand des 17. Juni war kein von außen gesteuertes Werk. Der Aufstand war unorganisiert und entsprang der maßlosen Überforderungen der Werktätigen seitens der DDR-Regierung. Einfluss von außen könnte lediglich dem Berliner Sender „RIAS“ zugeschrieben werden, der mit seiner Berichterstattung und seinen befürwortenden und sogar anspornenden Kommentaren für eine schnelle Verbreitung des Aufstandes innerhalb der DDR gesorgt hatte. Im Laufe des Tages waren die Unruhen unter Kontrolle gebracht worden, es gab mancherorts an den darauffolgenden Tagen noch kleinere Demonstrationen und Arbeitsniederlegungen, die nicht annährend das Berliner Ausmaß erreichten.
Für die Regierung der DDR war die Revolte gerade noch einmal „gut gegangen“. Doch sie hatte das Vertrauen ihrer Arbeiterklasse, auf die sie beim Aufbau eines sozialistischen Landes angewiesen war, verloren. Sie hatte zwar die gewaltigen Erhöhungen der Arbeitsforderungen zurückgenommen, doch das geschah im Zuge einer Vertuschungspolitik, in der sie diesen „Putschversuch“ allein auf westlichen, also feindlichen Einfluss schob, dem Einhalt geboten werden müsse. Versorgungsmängel und andere Defizite wurden weiter ignoriert. Die Rede war auch von „irregeleiteten Werktätigen“.
Es war durch die Niederschlagung deutlich geworden, dass die DDR ein Bestandteil des sowjetischen Imperiums war. Die Forderung, die DDR-Regierung solle zurücktreten, war hinfällig, weil das einer Ablehnung der UdSSR-Politik gleichgekommen wäre, gegen die man nichts ausrichten konnte. Die Worte von Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924) „Die Menschen halten alles aus, wenn um sie herum Wahrheit herrscht“, hatten für die DDR-Führung keine Bedeutung. Die Kluft zwischen dem gedruckten Wort in der Zeitung und der Alltäglichkeit im Land blieb groß und erschreckend. Die Versorgungslage ebenfalls.
Die Sowjetunion war die einzige ausländische Macht, die in den Aufstand eingegriffen hatte, da es den anderen Siegermächten des Zweiten Weltkrieges nicht möglich war, in das Gebiet der DDR einzudringen. Die Folgen wären verheerend gewesen. Auch die BRD musste zuschauen, ihre Siegermächte (Frankreich, Großbritannien und vor allem die USA) hielten sich aus den Unruhen heraus. Beide deutsche Staaten hatten in ihrem politischen Tun keine freie Hand, sondern mussten sich nach wie vor nach den Vorgaben ihrer Besatzer richten.
Der 17. Juni 1953 hatte in der Bevölkerung eine große Betroffenheit hinterlassen, zumal es auch Todesopfer gegeben hatte. Erfolg hatte sie mit ihrem Aufbegehren nicht gehabt. Zum großen Teil waren die Menschen eingeschüchtert. Wer sich weiterhin gegen die Politik der DDR-Regierung stellte, musste mit schweren Repressalien rechnen, die sich auf alle Lebensbereiche erstreckten.
Die Situation, die unterschwellig noch sehr angespannt war, konnten auch die schmusigen Lieder von der Leipzigerin Irma Baltuttis (1920-1958) oder dem Schlagersänger aus Halle, Fred Frohberg (1925-2000), nicht so recht entschärfen. Die Musikszene war seicht und immer mit einem optimistischen Touch. Zudem ließen es sich viele Menschen nicht nehmen, die Schlager des „Klassenfeindes“ zu hören. Die niederländische Gruppe „Kilima Hawaiians“ traf mit ihrem Lied Herz-Schmerz-Titel „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ den sentimentalen Nerv aller Deutschen.
Auch in Sachen Mode orientierte sich die DDR nicht am internationalen Maßstab und an westlichen Trends. Hosen waren im Straßenbild noch kein Thema für die Frauen. Noch sahen die ohnehin meist berufstätigen Frauen noch ein wenig bieder aus. Angesagt waren Kleider, die entweder einen weiten Rock hatten und mit sehr breiten oder auch sehr schmalen Gürteln verziert wurden oder knielange enge Röcke und Kleider. Vieles war selbst genäht, denn das Angebot in den Geschäften war mehr als dürftig. Auch Stoffe waren nicht in allzu großer Auswahl vorhanden. An echte, gute Materialien war ohnehin nicht zu denken. Die Chemiefaser sollte die Naturseide ersetzen, doch die Produktion gab noch nicht genügend her trotz der Normvorgaben. Damenmäntel waren meist gerade geschnitten. Dazu gehörte ein kleines Hütchen, das von fast jeder Frau getragen wurde. Und am Arm hing die Handtasche. Frau winkelte den Arm an, um sie zur Schau zu tragen. Das war ein typisches Accessoire der fünfziger Jahre. Auch die Farbenvielfalt befand sich noch in den Anfängen. Mut zur Farbe in düsterer Zeit hatten die Modemacher in der DDR nicht. Aber immerhin organisierte man Betriebsmodenschauen, die von den Damen zahlreich besucht wurden. Das Interesse an Mode ging – wie überall auf der Welt – an den politischen Ereignissen vorbei, bot eine willkommene Abwechslung und tat dem Selbstbewusstsein gut.
Das 1953er Jahr in der DDR war aufregend, es hatte aber auch gezeigt, dass sich die Menschen nicht alles gefallen lassen, selbst wenn sie anschließend großteils wieder in ihren Alltag zurückkehrten, in dem sie immerhin Arbeit und Brot hatten.
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