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Literatur 1946 Das literarische Jahr


Während der Krieg für die meisten Länder beendet war und es an den Neuaufbau ging, verschärften sich die Bedingungen 1946 in der Sowjetunion, die nun ganz und gar unter Stalin die kommunistische Zukunft aufbaute, der so viele Menschen zum Opfer fielen. Zum ersten Mal kam der Begriff „Eiserner Vorhang“ auf.
In Nürnberg standen dreiundzwanzig NS-Ärzte vor Gericht, um für ihre Taten unter dem Hitler-Regime Rechenschaft abzulegen. Sieben Todesstrafen wurden ausgesprochen, andere erhielten Haftstrafen oder wurden sogar freigesprochen.
Iwan Bunin veröffentlichte in diesem Jahr seine Erzählungen „Dunkle Alleen“ in Paris. Während in den Jahren davor die meisten Emigranten vor den Nazis nach Amerika flüchteten, beschlossen Bunin und seine Frau weiter in Frankreich zu bleiben. Einen Tag, bevor der Journalist Andrej Sedykh ebenfalls die Reise nach Amerika antrat, besuchte er die beiden in ihrer Wohnung und wurde von Bunin auf den kleinen Erzählband aufmerksam gemacht. Er würde, so Bunin, über die Liebe handeln, er wüsste allerdings nicht, wie er ihn veröffentlichen könnte. Sedykh bot an, das Manuskript mit nach Amerika zu nehmen. Dort konnte er Bunins Erzählungen bei der russischen Literaturzeitung „Neues Land“ unterbringen.
1946 endlich erschien das Buch dann auch in Frankreich und hatte sofort großen Erfolg.
Ebenfalls in Paris brachte Simone de Beauvoir „Alle Menschen sind sterblich“ heraus, ein Buch über die Qual der Unsterblichkeit. Der Tod war nach dem Krieg häufiges Thema in der Kunst und Literatur und ereilte u. a. Gertrude Stein, die im Alter von 72 Jahren an Magenkrebs starb.
Da Jean Genet den Vorschuss für einen zweiten Roman von seinem Verlag schon kassiert hatte, obwohl sein erster zu der Zeit noch gar nicht erschienen war, machte er sich an die Arbeit. Ihm tobten einige Ideen im Kopf herum, doch 1943 wurde er erst einmal verhaftet und musste eine Gefängnisstrafe antreten. Die Anklage lautete auf Bücherdiebstahl.
1946 war er auf Bewährung draußen. Sein Buch „Wunder der Rose“ konnte gedruckt werden und bildete den Anfang zu Genets Schriftstellerkarriere.
Ein anderer Franzose machte 1946 auch auf sich aufmerksam, obwohl er eigentlich gar kein richtiger Schriftsteller war. Viel lieber spielte er Jazztrompete oder arbeitete als Schauspieler, verkehrte jedoch bald schon im intellektuellen Kreis um Sartre, bis dieser mit seiner Frau anbändelte. Boris Vian wurde mehr durch einen Skandal bekannt, der um sein erschienenes Buch „Ich werde auf eure Gräber spucken“ aufkam.
Vian hatte gewettet, den Roman als „Pastiche“ zu verfassen, was bedeutete, dass er ihn als Imitation eines anderen Künstlers anlegte. Er hatte schon zuvor mit verschiedenen Techniken herumgespielt, seine Werke waren oftmals durch Witz, Parodie und Wortspielereien gekennzeichnet. Hier nun verwendete er übertriebene Gewalt und Ungereimtheit und gab an, sein Roman wäre eine Übersetzung eines angeblichen schwarzen Schriftstellers mit dem Namen Vernon Sullivan.
Vian wurde wegen Unmoral verurteilt. Im gleichen Jahr erschien auch sein bekanntestes Werk „Der Schaum der Tage“, eine surrealistisch literarische Verfremdung, die zwar erfolglos zu seiner Zeit blieb, aber bald schon zum Kultbuch nächster Generationen werden sollte.
1946 erschien auch der wunderbare Roman „Alexis Sorbas“ des griechischen Schriftstellers Nikos Kazantzakis. Dieses von ihm bekannteste und buddhistisch angehauchte Werk voller Lebensfreude und Selbstfindung wurde mit Anthony Quinn verfilmt, der dafür wiederum einen Oscar bekam. Der Tanz und die Musik aus dem Film wurden ebenfalls berühmt, dabei war dem Schauspieler der wirkliche Volkstanz der Griechen viel zu mühselig, so dass er einen ganz eigenen und leichteren erfand, der mit Freude nachgeahmt wurde.
Das Buch basierte auf wirklichen Umständen. Kazantzakis hatte während des Ersten Weltkrieges den heiligen Berg Athos besucht und dort Georgios Sorbas kennengelernt, einen Arbeiter, der so frei und unabhängig in seinem Wesen war wie die Figur des Romans. Kazantzakis fühlte sich von diesem Menschen stark beeindruckt und bot ihm eine Stelle als Vorarbeiter in dem Braunkohlebergwerk an, das er gepachtet hatte. Als das Bergwerk nach mehreren Einstürzen schließen musste, reisten die zwei Männer in den Kaukasus.
Beide verband über die Jahre eine tiefe Freundschaft, die über Briefe aufrechterhalten wurde. Als Sorbas starb, fühlte Kazantzakis sich an ihn erinnert und verpflichtet, diesen Charakter festzuhalten. So entstand sein Werk und eroberte etliche Leserherzen.
Aber auch der Schriftsteller Kazantzakis war ein starker Charakter und interessanter Mensch. Auf seinem Grabstein standen die bezeichnenden Worte:
„Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.“
Eine ähnliche Einstellung zum Leben hatte auch Hermann Hesse. 1946 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Kein anderer Deutscher hatte sich zuvor so intensiv mit der östlichen Philosophie auseinandergesetzt, die Selbstverwirklichung und Selbstwerdung in seinen Romanen verarbeitet und zur Autoreflexion aufgerufen. Die bekanntesten Werke „Der Steppenwolf“, „Siddhartha“ und „Das Glasperlenspiel“ sind Ausdruck dieser geistigen Vertiefung und Sinnsuche.

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