Literatur 1939 Das literarische Jahr
Ein Weltkrieg stand 1939 nicht mehr außer Frage.
Deutschland wurde durch die Vereinnahmung des
Sudetenlandes und Österreichs zum Großdeutschen
Reich.
Am 31. August wurde zum Angriff auf Polen geblasen,
da Hitler zuvor einen fingierten Überfall auf den
Rundfunksender Gleiwitz initiierte. Damit war der
Zweite Weltkrieg eröffnet.
Bereits im September erklärten England und
Frankreich Deutschland den Krieg. Polen wurde
erobert, die Deutschen rückten vor.
Währenddessen wurde in Amerika die erste günstige
Taschenbuchausgabe von „Pocket Books“ auf den Markt
gebracht, die sich über viele Jahrzehnte bewähren
sollte und den Menschen ermöglichte, für wenig Geld
viel Literatur zu bekommen. Die ersten Ausgaben
waren u. a. „Lost Horizon“ von James Hilton, „Der
Mörder von Roger Ackroyd“ von Agatha Christie,
„Bambi“ von Felix Salten, „Fünf große Tragödien“ von
William Shakespeare, „Der Weg allen Fleisches“ von
Samuel Butler oder „Sturmhöhe“ von Emily Brontë.
Von James Joyce erschien 1939 sein abstrakt
verspieltes Werk „Finnegans Wake“. Der Roman war der
letzte des Schriftstellers und brauchte seine
„Gärungszeit“, ein „Work in Progress“ von ganzen
sechzehn Jahren. In seinen Briefen an verschiedene
Freunde erwähnte Joyce dieses Manuskript häufig,
erklärte, er hätte darin so verborgene Symboliken
und Hinweise verwendet, die, selbst wenn das Werk in
irgendeiner Art und Weise entschlüsselt werden
sollte, dennoch nie zutage treten würden. „Finnegans
Wake“ enthüllte eine Sprache, die nicht existierte
und zu vielfachen Interpretationen aufrief. Auch
verwirklichte Joyce darin eine Art „Sandbuch“, wie
Jorge Luis Borges es so genial in einer seiner
Kurzgeschichten erfand, dass sich bei mehrmaligem
Lesen immer neue Zusammenhänge öffneten, das Buch in
diesem Sinne unendlich wurde.
Von Borges wiederum erschien in diesem Jahr eine
äußerst interessante Kurzgeschichte mit dem Titel
„Piere Menard, Autor des Don Quichote“. Darin
verwies der Spanier darauf, dass es im Grunde nicht
notwendig war, alle Klassiker gelesen haben zu
müssen, um sich ein Bild über die Literatur zu
machen. Er nahm dabei Cervantes Werk auf die
Schippe, ohne ihm die eigentliche Größe als
Schriftsteller zu verweigern. Die Kurzgeschichte war
eine der ersten, die in der typisch Borge’schen
Sprache verfasst war und die seinen späteren Stil
und Ruhm ausmachte.
In eine ähnliche Kategorie fiel der irische
Schriftsteller Flan O’Brian, von dem einige Werke
wahre Größe erreichten und sich durchaus mit dem
viel bekannteren Joyce messen konnte. 1939
veröffentlichte O’Brian den Roman mit dem seltsam
anmutenden Titel „Auf Schwimmen-zwei-Vögel“. Er
ermöglichte damit eine neue Richtung, die des
postmodernen Romans. Das Ganze war als bewusste
Metafiktion angelegt, die auch mit etlichen
fingierten Anmerkungen glänzte. Eigentlich war es
ein Wunder, dass der Roman von einem Verlag
angenommen wurde. Das geschah auch nur auf Anraten
von Graham Greene, der viel von O’Brian hielt.
Natürlich machten sich die Spuren des Zweiten
Weltkriegs beim Verkauf stark bemerkbar und der
gesamte Lagerbestand des Verlags wurde 1940 bei
einem Bombenangriff vernichtet.
Von Ernest Hemingway erschien ein Band mit
Kurzgeschichten, in dem auch die schöne Erzählung
„Schnee auf dem Kilimanjaro“ enthalten war. Ein
Schriftsteller liegt in der afrikanischen Wildnis im
Sterben und lässt sein Leben Revue passieren.
Auch interessant war der von dem Schriftsteller und
Zionisten Arthur Koestler veröffentlichte
historische Roman „Die Gladiatoren“, in dem Koestler
mittels der Geschichte um Spartacus einen Bogen aus
der Vergangenheit in seine Zeit spannte, zumal aus
seinen Händen dann später auch noch
„Sonnenfinsternis“ folgte, in dem Koestler, ein
zuvor überzeugter Kommunist, sich als einer der
Ersten mit dem stalinistischen Terror
auseinandersetzte. Koestler war überhaupt sehr
vielseitig, schrieb über etliche Themen, u. a. auch
über Parapsychologie, scheute sich auch nicht, in
„Der Yogi und der Kommissar“ Gandhi zu kritisieren,
der in seinen Augen z. B. als Vater völlig versagt
hatte. Koestler war mitunter auch der Erfinder der
Holon-Theorie, die später Ken Wilber nutzte und zu
einer beeindruckenden Philosophie als eine
Verbindung von östlichen und westlichen Weisheiten
zusammenfasste. Auch hatte er eine kurze
leidenschaftliche Beziehung mit Simone de Beauvoir,
was ihm möglicherweise sämtliche Sympathien von
Jean-Paul Sartre kostete, zumindest waren sie
einander feind. Beauvoir wiederum ließ Koestler als
Romanfigur in ihrem Werk „Die Mandarins von Paris“
auftreten, neben Sartre, Camus und etlichen anderen.
Koestler war Scriassine und Beauvoir nahm ihn
ziemlich aufs Korn.
Von John Steinbeck erschien 1939 eines seiner besten
Werke, der naturalistische Roman „Früchte des
Zorns“, der von der Zeit der Dürrejahre und der
„Großen Depression“ handelte, als die
Wirtschaftskrise sich in Amerika verheerend
bemerkbar machte.
Den Literaturnobelpreis erhielt 1939 der Finne Frans
Eemil Sillanpää für seine Romane über das finnische
Kleinbauerntum. Nach Sillanpää wurde ein Asteroid
benannt und auch er gehörte zu jenen
Schriftstellern, die dem Alkohol nicht abgeneigt
waren, so dass er ein Jahr nach der Verleihung in
eine Irrenanstalt eingewiesen wurde. Er starb 1964
in Helsinki.
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