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Musikjahr 1927 – Der Beginn der Comedian Harmonists

Am 18. Dezember 1927 begann die Geschichte eines der berühmtesten Vokalensembles des 20. Jahrhunderts. Der junge Berliner Sänger Harry Frommermann hatte im Berliner Lokal-Anzeiger eine Annonce aufgegeben, mit der er Sängertalente für sein Projekt „Melody Makers“ suchte. Aus den nach Sichtung der eingehenden Bewerbungen von Frommermann gebildeten „Melody Makers“ wurden 1928 die bald Riesenerfolge feiernden „Comedian Harmonists“.
Ein anderer Musikgeschichte schreibender 1927er Start fand auf der anderen Seite des Atlantiks im Broadway-Lichtspielhaus „Warners' Theatre“ am 6. Oktober statt. Mit Al Jolson in der Hauptrolle erzählte der Spielfilm „The Jazz Singer“ (deutscher Titel: „Der Jazzsänger“) die Geschichte von „Jakie Rabinowitz“, dem im New Yorker Juden-Viertel Lower East Side aufwachsenden Sohn eines strenggläubigen jüdischen Kantors. Der junge Jakie entscheidet sich gegen den Willen seines Vaters für eine Karriere als Show-Star. Es kommt zum Bruch. Mit viel Drama kommt es schließlich am Totenbett des Vaters doch noch zu einer Versöhnung und der sich jetzt „Jack Robin“ nennende Sohn kann mit Vaters Segen seinen Durchbruch zum Broadway-Star genießen. Die Geschichte deckte sich teilweise mit der Biographie des Hauptdarstellers. Al Jolson war 1886 als „Asa Yoelson“ im Russischen Reich geboren worden. Sein Vater war wie der Film-Rabinowitz-Vater ein strenggläubiger Kantor gewesen, der 1894 mit seiner Familie in die USA emigriert war. Auch Al Jolson überwarf sich mit seinem Vater. Um 1911 gelang ihm der Durchbruch als Musical-Star. Aber nicht Al Jolson war die eigentliche kino- und musikhistorische Sensation des hochkitschigen Filmes. „The Jazz Singer“ wurde als erster Tonfilm in Spielfilmlänge (89 min) und zugleich als erster Musical-Film berühmt. Diese das Ende der Stummfilmzeit einläutende Sensation wies neben den sich auf wenige Sätze beschränkenden Sprechszenen zehn Gesangsnummern auf. Darunter außer den beiden jüdischen Traditionals „Kol Nidre“ und „Kaddish“ die Al-Jolson-Hits „Toot Toot Tootsie“ und gleich zweimal das jedes Mutterherz zerreißende „My Mammy“ sowie das flott-sentimentale „Blue Skies“.
Mit seiner Version des 1926 von Irving Berlin geschriebenen „Blue Skies“ landete Ben Selvin mit seinem Orchester 1927 in den USA einen Nr.1.-Hit. Der eingängige, nach dem simplen Liedform-Schema AABA aufgebaute Song „My Blue Heaven“, den George Whithing und Walter Donaldson 1924 veröffentlicht hatten, schaffte es 1927 sogar gleich mit zwei Interpreten auf Platz 1 der US-Billboard-Charts. Zunächst gelang es der hitverwöhnten Gruppe Paul Whiteman & His Orchestra im Juli den Top-Platz mit „My Blue Heaven“ zu besetzen. Im Dezember folgte Gene Austin mit seiner „Heaven“-Variante, die sich in Schellack gepresst insgesamt beeindruckende fünf Millionen Mal verkaufte. Einer der bekanntesten, noch im 21. Jahrhundert mit dem hektischen, überdrehten Lebensgefühl der für die meisten Zeitgenossen gar nicht so goldenen „Goldenen Zwanziger“ assoziierten Hits des Jahres war Ben Bernies „Ain't She Sweet?“, das unzählige Male gecovert worden ist. Die berühmteste Nach-Zwanziger-Version dürfte von den Beatles (1961) stammen. Getragener, aber 1927 ähnlich erfolgreich, kam der 1926 als Filmbegleitmusik geschaffene, von Big-Band-Leiter Guy Lombardo und seinen Royal Canadians vorgetragene Walzer „Charmaine“ daher.
Country-Star Vernon Dalhart, der bereits den Tod von Super-Stummfilmstar Rudolf Valentino 1926 durch die Lancierung des Hits „There's A New Star In Heaven“ geschickt kommerziell genutzt hatte, versuchte 1927 diesen Kniff auch nach dem Atlantik-Solo-Flug von Charles Lindbergh. Das Kalkül ging auf: Das mit reichlich Marschmusik und Patriotismus-Pathos unterlegte „Lindbergh, The Eagle Of The USA“ wurde ein Verkaufschlager. Mit „Lucky Lindy“ schob Dalhart 1927 gleich noch einen weiteren Lindbergh nach.
Dalharts bald zum Country-Superstar aufsteigende, gerne jodelnde Sängerkollege Jimmi Rodgers hatte 1927 mit „Sleep, Baby, Sleep“ seinen ersten großen Erfolg. Vergleichbaren Beifall bekam die 1927 gegründete, in der Tradition der Appalachen-Old-Time-Musik aufspielende Carter Family mit „Wandering Boy“ und „Poor Orphan Child“.
1927 war auch das Jahr, in dem mit „Show Boat“ das erste eigentliche Musical, bei dem Handlung, Text und Musik eine organische Einheit bildeten, dem Publikum vorgestellt wurde. Die US-Produktion wurde vor allem wegen der millionenfach verkauften Hits „Ol´ Man River“ und „After The Ball“ (Walzer) bekannt.
Mit „East St. Louis Toodle-Oo“ brachte Duke Ellington 1927 seine erste große Jazz-Komposition heraus. Auch das Publikum war begeistert von dem „Jungle Style“-Stück, das bis auf Platz 10 der Billboard-Charts vorrückte.
In Deutschland hatte 1927 die Lehár-Operette „Der Zarewitsch“ Erfolg und Claire Waldorf begeisterte ihr amüsierwilliges Publikum mit dem Gassenhauer „Wie praktisch ist die Berlinerin“. Das Saxophon-Orchester Dobbri lud mit dem Foxtrott „Heut ist die Käte ete-petete!“ zum gutgelaunten Schwofen ein und im Songspiel „Mahagonny“ von Bert Brecht und Kurt Weill wurde 1927 zum ersten Mal der Evergreen „Moon Of Alabama“ gesungen.

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