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Das Modejahr 1912 Mode – Tangofieber und das Opel-Jubiläum


Während viele Menschen dem Tango-Fieber erlagen, reagierte das kaiserliche Regierungsoberhaupt Wilhelm II. brüskiert. Seinen Offizieren konnte der Kaiser das Tango-Tanzen verbieten, doch die zivile Bevölkerung – jedenfalls ein großer Teil davon – schmiegte sich weiterhin aneinander, wiegte sich in der erotischsten Art gemeinsamer, öffentlicher Bewegung. Und siehe: Das Abendland ging nicht unter,
entgegen den Prophezeiungen der Gegner dieses Tanzes. Der Tango hatte sich die Tanzflächen erobert und wenn man einmal von dem faszinierenden Rhythmus absah, war zudem die Kleidung gut anzusehen. Paul Poiret, der gefragte französische Modeschöpfer, kreierte zum exzentrischen Tanz exzentrische Roben. Sie waren dem Tanz angepasst und vollendeten ihn auf gewisse Weise. Das Tangokleid war meist mit einem tiefen V-Ausschnitt versehen. Der Rock war eng geschnitten. Darüber trug Frau eine Tunika. Der Saum des Rockes reichte bis zu den Knöcheln und war mit einem langen Schlitz gearbeitet. Der war seitlich oder vorn angebracht und gab den Tangoschritten das Mondäne. Elegante Pumps waren mit einer Ristspange parkettsicher. Unerlässlich zur Tangokleidung war die Aigrette, die Reiherfeder, bzw. der Reiherfederbusch. Senkrecht nach oben stehend zierte sie den Turban oder auch das Haar und wippte zum Rhythmus des Tanzes mit. Ein faszinierendes Schauspiel! Gehalten wurde die Aigrette mit einem Edelmetallring oder einer Schnur aus Perlen. Poiret schuf auch die dazu gehörenden Pelzmäntel, in deren Weite sich die Damen auf ganz eigene Weise hineinschmiegten. Alles war mondän, alles war exzentrisch, alles war beliebt.
Die Tagesbekleidung, die die Frauen vornehmlich trugen, entsprach ebenfalls den Entwürfen von Poiret. Selbst die Damen, die nicht in Paris, sondern von ihrer Hausschneiderin arbeiten ließen, hielten sich an den Stil des Franzosen. Generell wurden Kleider mit Tunika favorisiert, der überlangen Bluse. Dieses Oberteil war zumeist mit einer schmalen Bordüre verziert, die als Soutache bezeichnet wurde. Am Hals waren diese Kleider geschlossen. Modisch waren sie auch mit einem Stehkragen aus Fischbein. Die Ärmel waren mit einer anliegenden Stulpe gearbeitet. Typisch waren die vielen kleinen Knöpfe, mit denen die Kleider verschlossen wurden. Es waren einfache Knöpfe und es war mühselig, sie zu schließen. Es gab zwar seit 1885 Druckknöpfe, seit 1903 sogar in weiter entwickelter Form, aber diese waren noch sehr teuer und kamen in so großer Anzahl nicht in Betracht, wenngleich das Schließen und vor allem das Öffnen wesentlich erleichtert worden wäre. Der von Hans Prym 1903 entwickelte Druckknopf wird heutzutage noch verwendet. Der Familienbetrieb, den ein Goldschmied bereits im 16. Jahrhundert gegründet hatte, gilt als das älteste industrielle Unternehmen.
Der Rock des Tageskleides kam in den unterschiedlichsten Varianten an die Frau. Asymmetrische Drapierungen, Raffungen, mit oder ohne Volants – Hauptsache, die individuelle Note war erkennbar.
Die Tunika über dem längeren Rock gehörte zum Standardbild der Damenmode jener Zeit. Für besondere Anlässe oder in der warmen Jahreszeit bevorzugten die Damen Prinzesskleider. Doch die Basis ihrer Bekleidung bildeten das Kostüm und das Jackenkleid, wobei die Jacken den Herren-Jacketts nachempfunden wurden und so die modische Strenge erhielten. Das Kostüm hingegen hatte einen eleganten Anstrich, der zumeist durch die samtene bzw. seidene Kragenverzierung entstand. Die Bekleidung, die Schnitte der Mäntel eingeschlossen, war durchweg schmal gearbeitet. Im Gegensatz dazu durften die Hüte ausladend und übergroß sein. Damit sie auf den Damenköpfen Halt hatten, wurden die Modelle mit edlen Hutnadeln befestigt oder auf einen sogenannten Innenhut genäht. Auch hier waren Federgebilde gewaltigen Ausmaßes en vogue.
In der Herrenmode waren keine nennenswerten Veränderungen zu bemerken. Großbritannien als Maßstab blieb konservativ. Die Männer kleideten sich wie im Vorjahr. Während sie ihre Liebe zu Autos pflegten, dachten sie wohl kaum daran, dass die Geschichte des Autokonzerns Opel mit der Herstellung von Nähmaschinen begonnen hatte. Das war im Jahre 1862 gewesen. Und in diesem Jahr feierte diese wichtige Maschine immerhin ihren 50. Geburtstag. Ein Jubiläum, das durchaus festliche Kleidung rechtfertigte. Für die Autos waren die Staubmäntel ausreichend.

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