Die IV. Olympischen Spiele in London
Es waren im Jahr 1908 nicht nur die IV. Olympischen
Spiele, die deutlich mehr Aufmerksamkeit erreichen
konnten als in den Jahren zuvor, es war auch die
Geschichte von Dorando Pietri (1885-1942), dem
italienischen Marathonläufer. Er wurde 1908 zum
tragischen Helden der Olympiade in London. Pietri
hatte schon 1906 bei den sogenannten Olympischen
Zwischenspielen in Athen teilgenommen, konnte dort
jedoch wegen Erschöpfung seinen Marathonlauf nicht
beenden. Im Jahr 1908 war er wieder am Start.
Pietri
konnte auf den letzten Kilometern die Führung
übernehmen, weil der Südafrikaner Charles Hefferon
(1878-1932) schwächer geworden war. Hinter ihm als
zweiter war Pietri fast während des ganzen Laufs
platziert gewesen. Er kam dann mit einem großen
Vorsprung im White City Stadium an, das mit 75.000
Zuschauern besetzt war. Pietri hatte nur noch eine
Stadionrunde vor sich bis zum Ziel. Er war
allerdings dermaßen erschöpft und ausgelaugt, dass
er fast in die falsche Richtung gelaufen wäre, wenn
ihm nicht die Kampfrichter den Weg gewiesen hätten.
Dennoch brach er entkräftet zusammen. Auf den
letzten 350 Metern brach er insgesamt fünf Mal
zusammen, konnte sich zwar immer wieder hochrappeln.
Letztendlich mussten ihm dann einige Ärzte und
Kampfrichter über die Ziellinie helfen. Schon zehn
Minuten später kam der Zweitplatzierte, der
US-Amerikaner John Hayes (1886-1965), im Stadion an.
Dass Pietri trotz seiner Zusammenbrüche und der
Hilfeleistungen dritter Olympiasieger geworden war,
fand das amerikanische Team unfair und beschwerte
sich derart massiv, dass Pietri den Olympiasieg
tatsächlich aberkannt bekam und John Hayes der
offizielle Gewinner des Marathonlaufs wurde. Dennoch
wurde Pietri für seine kämpferische Leistung geehrt
und zwar von der britischen Königin selbst. Von ihr
erhielt Pietri einen goldenen Pokal. Dieses Ereignis
ging weltweit durch die Presse. Somit gewannen der
Marathonlauf und auch die Olympischen Spiele an
Popularität. Nicht zuletzt hatte daran auch der
Schriftsteller Arthur Conan Doyle, der Autor der
Sherlock-Holmes-Romane großen Anteil, denn er
schrieb einen sehr ausführlichen und emotionalen
Bericht, der am 25. Juli 1908 in der „Daily Mail“
veröffentlicht wurde. Doyle verfasste auch einen
Leserbrief, der einen Spendenaufruf für Dorando
Pietri enthielt. Doyles großes Engagement für
Pietris Kampfgeist und die Tragik der Ereignisse
trugen einmal mehr dazu bei, dass nicht nur der
Läufer, sondern auch die Disziplin einen deutlichen
Wahrnehmungsschub erhielt. Noch im selben Jahr kam
es im November wegen des enormen Publikumsinteresses
zu einem Zweikampf im Madison Square Garden, der
zwischen Pietri und Hayes ausgetragen wurde. Mit
rund 70 Metern Vorsprung gewann Pietri den Lauf.
Auch zwei Jahre später gewann Pietri ein zweites
Wettrennen gegen Hayes.
Die IV. Olympischen Spiele wurden vom 27. April bis
zum 31. Oktober 1908 ausgetragen und je nach
Jahreszeit wurden die entsprechenden Disziplinen
veranstaltet. In der Zeit vom 19. bis zum 31.
Oktober beispielsweise wurden bei den
„Winterspielen“ innerhalb der Olympiade die
Wettbewerbe im Eiskunstlauf ausgetragen, aber auch
Fußball und Boxen. Eiskunstlauf war zum ersten Mal
eine olympische Disziplin. Goldmedaillengewinner bei
den Herren war der Schwede Ulrich Salchow
(1877-1949). Ebenfalls im Jahr 1908 errang Salchow
den Weltmeistertitel.
Ein spektakuläres Autorennen
Es wurde das längste Autorennen der Welt, das im
Jahr 1908 um die Welt führte. Start war in New York
am Times Square gewesen. Zu den Abenteurern, die
sich auf die 20.000 Kilometer lange Strecke begeben
hatten, gehörte auch der 32-jährige Oberstleutnant
Hans Koeppen, der letztendlich das Rennen als Erster
beenden konnte, aber dennoch nicht als Sieger gekürt
wurde.
Fast 19 Wochen war er unterwegs gewesen. Die Strecke
führte durch Amerika, durch Asien und Russland und
dann durch Europa bis nach Paris. Das Jahr 1908 war
noch kein Jahr, in dem Automobile mit einem
Benzinmotor selbstverständlich waren. Im Gegenteil.
Die Strapazen auf der riesigen Strecke glichen mehr
einer Expedition in unbekanntes Terrain als einem
Autorennen. Als die Fahrer durch Amerika fuhren, war
dort noch tiefer Winter. Pferde wären da auf jeden
Fall das bessere Fortbewegungsmittel gewesen. Die
Fahrer mussten ihre Benzintanks selbst mitführen,
bekamen höchstens vier Stunden Schlaf und
durchlebten die Grenzen der Belastbarkeit. An
manchen Tagen legten sie höchstens 30 km zurück.
Dass Hans Koeppen zwar als Erster das Ziel
erreichte, dennoch das Rennen nicht gewann, hatte
mit den Regeln zu tun, die ihn wegen eines
Zugtransports in den USA mit einer Zeitstrafe von 15
Tagen abstraften. Diese 15 Tage waren genau der
Rückstand gewesen, die der US-Amerikaner George
Schuster hatte, der als Sieger des längsten
Autorennens der Welt hervorging. Ruhm und
Anerkennung wurden Hans Koeppen dennoch zuteil durch
sein Buch „Im Auto um die Welt“, das er 1909
veröffentlichte. Und sein Auto ist heute im
Deutschen Museum in München zu besichtigen.